Reportage aus dem Walliser BrandgebietSie jagen Glutnester mit Spezialkameras – dann graben sie glühende Strünke aus
Eine Woche nach Ausbruch des verheerenden Grossbrands in Bitsch sind Soldaten, Feuerwehr und Helikopter Tag und Nacht im Einsatz. Eindrücke von der Front.
«Hier!», ruft der junge Mann vor dem Bildschirm. Mit zugekniffenen Augen blickt er auf die Landkarte vor sich. Der Anblick erinnert an ein Gamerstübchen: In der rechten Hand bedient er einen Joystick, mit der linken drückt er Knöpfe. Und er ist tatsächlich auf der Jagd – nur im echten Leben.
«Da ist das Glutnest.» Er zeigt auf einen weiss flackernden Punkt unterhalb einer Felsflanke. Weiss, weil der Soldat mit einer Wärmebildkamera nach heissen Stellen sucht. Im Nachtmodus, also in Schwarzweiss, erkennt er sie deutlich besser. «Das ist vermutlich ein abgebrannter Baum, der wieder zu glühen beginnt.»
Ein zweiter Mann streckt seinen Kopf Richtung Bildschirm – und greift nach einem roten Stift. Auf seinem Schoss liegt eine ausgedruckte topografische Karte. Mit den Koordinaten seines Kollegen und einem Lineal markiert er darauf einen roten Punkt, der sich zu Dutzenden weiteren gesellt.
Es ist Samstagmorgen kurz nach 7 Uhr, hoch über dem Walliser Dorf Bitsch. Sieben Soldaten mit müden Augen sitzen in einem geschützten Duro der Schweizer Armee. Weitere sieben in einem zweiten Fahrzeug nebenan.
Nacht für Nacht beobachten die Infanteriedurchdiener mit ihren Wärmebildkameras, was am gegenüberliegenden Hang des Tals geschieht. Dort, etwa 3,5 Kilometer Luftlinie entfernt, brach am vergangenen Montag ein verheerender Waldbrand aus.
Zwar sieht man keine Flammen oder hohe Rauchsäulen mehr. Doch im Innern des Waldes glimmt und glüht es weiter.
Pro Nacht über 50 Brandherde
Zahlreiche Glutnester halten über 100 Feuerwehrleute, Soldaten und Gemeindevertreter rund um die Uhr in Bewegung. Die heisse Glut könnte jederzeit einen neuen Flächenbrand auslösen. Am Sonntagmorgen um 5.30 Uhr zum Beispiel wird ein Feuer auf einer Fläche eines halben Fussballfelds ausbrechen – drei Stunden wird es dauern, bis der lokale Brandherd wieder unter Kontrolle ist.
Pro Nacht sind es teils über 50 «Hotspots», die die Soldaten auf der Karte markieren – stets von Hand. «Das liegt am Fahrzeug», beantwortet Fabio Sager fragende Blicke. Der Leutnant führt die Suchtruppe. Das System im geschützten Geländewagen kann keine digitalen Karten verarbeiten.
Trotzdem, sagt Sager, könnten sie die Glutnester mittlerweile «ziemlich genau lokalisieren». Das habe auch ein Informationsflug eines mit Infrarotkamera ausgestatteten Super-Puma-Helis der Armee bestätigt. Dieser flog am Freitagmorgen über das Gebiet.
Ab und zu geht wieder ein Baum in Flammen auf. Was den Soldaten anfangs noch Adrenalin durch den Körper jagte, beobachten sie mittlerweile gelassen. Sie wurden nämlich angewiesen, erst dann Alarm zu schlagen, wenn ein Baum weitere in Brand steckt. Dann melden sie die Koordinaten sofort der Zentrale im Tal, die sie an die Löschhelikopter weitergibt. Die Helis fliegen nachts nur noch, wenns brenzlig wird.
Frühmorgens geht die von Hand bearbeitete Karte jeweils ins Tal, wo kühle Köpfe wie Reto Zehnder die Brandherdjagd des angebrochenen Tages koordinieren.
Mit Schlauch, Spritze und Helikopter
Zehnder sitzt in einem Klassenzimmer in Bitsch. Hier in Turnhalle und Schulhaus werden die wichtigen Entscheide gefällt: Welche Glut löschen sie per Helikopter? Wo schicken sie die Feuerwehrtrupps, die zu Fuss losziehen?
«Erste Priorität hat der Schutzwald», sagt der stellvertretende Feuerwehreinsatzleiter Zehnder, während er mit dem Finger auf eine überarbeitete Karte mit roten Brennpunkten zeigt. «Wir müssen jeden Morgen priorisieren, welche Glutnester wir angehen.»
«Wir» – das sind zivile Löschhelikopter, die von morgens um 6 bis abends um 9 grosse sowie schwer zugängliche Nester bekämpfen. Sie holen jeweils Nachschub im nahe gelegenen Stausee Gibidum oder in speziellen Löschwasserbecken. Mit zwei Helis, die je 1000 Liter Wasser fassen können, hat die Air Zermatt nun wieder die Hoheit. Sie hatte mitten im Flammeninferno mit dem Abzug gedroht, weil die Armee mit zwei Super Pumas aufgeboten wurde. Diese fliegen nicht mehr, die Luftwaffe steht aber für erneute Löscheinsätze auf Abruf bereit.
«Wir» – das sind aber auch rund 80 Feuerwehrleute. Sie ziehen Wasserleitungen an Hotspots und eliminieren Brandherde mit Schläuchen und Motorspritzen.
Steine, so heiss wie eine Bratpfanne
Zuschauen ist tabu – das Gelände ist gesperrt, für Private, aber auch für Journalistinnen. «Es ist nach wie vor sehr gefährlich», sagt Feuerwehrmann Reto Walker, als er am Telefon von seinen Einsätzen erzählt. Er war die letzten Tage unzählige Stunden im Gelände unterwegs – und rettete damit auch seinen eigenen Hof in Ried-Mörel oberhalb von Bitsch.
«Wir hatten Brandnester, die knapp 30 Meter von den Häusern entfernt waren!», sagt Walker. Dennoch erlebte er die letzten Tage kaum als hektisch: «Dank den Koordinaten der Soldaten können wir Glutnester sehr effizient angehen.» Die meisten Einsatzkräfte würden das Gebiet gut kennen und wüssten, «wenns gefährlich wird». Etwa, wenn der Wind zu stark bläst. «Da mussten wir auch schon abbrechen.»
Was die Feuerwehrleute dort leisten, ist Knochenarbeit. Einerseits wegen der Hitze. Um die 200 Grad warm soll der Boden noch sein. «Die Steine sind abends um neun Uhr noch so heiss, dass wir Spiegeleier drauf braten könnten!», sagt Walker. Einem Kollegen sei sogar einmal die Schuhsohle geschmolzen.
Glutnester lassen sich nicht einfach mit einem Kübel Wasser löschen. «Wir müssen graben, bis wir die Wurzeln erwischen», sagt Walker. Mit Wasserbeilen – einer Art Hacke mit Schaufel dran – graben sie diese frei, um sie dann einzuwässern. Dann gehts weiter zum nächsten Brandherd.
Die Arbeiten dauern noch Wochen, wenn nicht Monate
Von Normalität kann in Bitsch noch lange nicht die Rede sein. Gefühlt im Halbminutentakt fahren Fahrzeuge von Zivilschutz und Armee durchs Dorf. Am Sonntag können immerhin die evakuierten Bewohner von Oberried zurück in ihre Häuser.
Unter Kontrolle ist das Feuer gemäss Christian Kummer vom Gemeindeführungsstab aber noch nicht. Ab Montag übernimmt er die Gesamteinsatzleitung. «Es ist zwar alles gut aufgegleist», sagt Kummer, während er einen Löschhelikopter am Hang beobachtet.
Aber wenn man wieder ins Gebiet reingehe, sei es «krass», zu sehen, wie viel Wald schon verbrannt sei. Ihn berühre aber auch, wie eifrig die Einsatzkräfte weiterkrampften. «Wenn sie wegen Nebel einmal warten müssen, werden sie richtig kribbelig.»
Die Feuerwehrleute und Krisenmanager müssen noch eine Weile durchhalten. Die Löscharbeiten dauern noch Wochen, wenn nicht Monate. Eine Wurzel kann mehrere Wochen lang brennen.
So werden auch die Soldaten im Duro weitere Nächte damit verbringen, nach Glutnestern zu suchen. Offiziell bewilligt ist ihr Auftrag zwar nur bis kommenden Freitag. Eine Verlängerung wäre aber möglich.
Gegen neun Uhr morgens heissts für die Durchdiener aber so oder so: Ab ins Bett. Dann ist die Temperatur bereits zu hoch, als dass mit der Wärmebildkamera Brandherde lokalisiert werden könnten.
Vor der Ruhepause gibt Leutnant Sager seinen Leuten noch einen Motivationsschub mit auf den Weg: «Ich habe gerade die Rückmeldung erhalten, dass unsere Trefferquote letzte Nacht bei 100 Prozent lag. Wir kommen vorwärts.»
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