Revision OpferhilfegesetzProfessionelle Hilfe für Gewaltopfer soll zu mehr Verurteilungen führen
Der Bundesrat will, dass Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt ihre Verletzungen künftig auch dann rechtsmedizinisch dokumentieren dürfen, wenn sie nicht sofort eine Anzeige erstatten. Die Untersuchung soll umsonst sein.

- Der Bundesrat plant, das Opferhilfegesetz zu überarbeiten.
- Opfer sexueller und häuslicher Gewalt sollen Verletzungen dokumentieren lassen können, ohne sofort Anzeige erstatten zu müssen.
- Die Kantone sollen den niederschwelligen Zugang zu medizinischer Dokumentation gewährleisten.
- Bereits heute gibt es in einigen Kantonen entsprechende Angebote.
Der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihr eigenes Zuhause: Über 19’000 Fälle von häuslicher Gewalt werden in der Schweiz jährlich registriert. «Das sind mehr als Verkehrsunfälle», sagte Bundesrat Beat Jans anlässlich der Medienkonferenz zur Revision des Opferhilfegesetzes. Zweimal im Monat enden Fälle von häuslicher Gewalt im Schnitt tödlich. Allein im Kanton Zürich kam es in den letzten Wochen zu drei Femiziden.
Heute kann eine Frau, die Opfer von sexueller oder häuslicher Gewalt geworden ist, ihre Verletzungen in vielen Kantonen nur dann rechtsmedizinisch dokumentieren lassen, wenn sie auch Anzeige erstattet. Das soll sich ändern. Mit der Überarbeitung des Gesetzes will der Bundesrat erreichen, dass jedes Opfer Anspruch auf eine entsprechende Untersuchung hat – unabhängig davon, ob es gleich eine Strafanzeige erstattet oder dies erst zu einem späteren Zeitpunkt tun will. Zudem soll die rechtsmedizinische Dokumentation kostenlos sein.
Diese Möglichkeit einer niederschwelligen Beweiserhebung könne in Zukunft zu mehr Anzeigen von häuslicher und sexueller Gewalt führen, sagt Jans. «Auch die Zahl der strafrechtlichen Verurteilungen könnte sich dadurch erhöhen.»
Kantone sind in der Pflicht
Es gibt mehrere Gründe, weshalb heute viele Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt zögern, sofort eine Anzeige zu erstatten. Betroffene Personen sprechen oft von Abhängigkeit vom Täter, Angst vor einer Stigmatisierung, Misstrauen gegenüber der Justiz, Schuld- und Schamgefühlen oder unklaren Erinnerungen. Auch stehen Opfer nach einer sexuellen Gewalttat meist unter Schock und haben mit emotionalen und psychischen Belastungen zu kämpfen. Bevor sie sich bereit fühlen, den Schritt zu einer Anzeige zu machen, brauchen sie Zeit.
Für ein späteres Beweisverfahren müssen Verletzungen und Tatspuren aber möglichst rasch forensisch dokumentiert werden. Unabhängig davon, ob Gewaltopfer später eine Strafanzeige machen oder nicht, brauchen sie nach der Tat auch eine entsprechende medizinische Behandlung und Betreuung.
Die Kantone sollen sicherstellen, dass genügend Angebote zur Verfügung stehen und der Zugang zu einer spezialisierten Behandlung rund um die Uhr gewährleistet ist. Sie können entweder neue spezialisierte Zentren einrichten oder bestehende Strukturen erweitern. Die Kantone werden im Gesetzesvorschlag auch dazu verpflichtet, die Bevölkerung über entsprechende Hilfsangebote zu informieren.
SP begrüsst Vorgehen des Bundesrats
Bereits heute gibt es in einigen Kantonen Spitäler oder spezialisierte Stellen, wo Opfer von sexueller Gewalt Zugang zu einer rechtsmedizinischen Dokumentation erhalten, ohne dass sie zuvor Anzeige erstatten müssen. Dazu gehören das Universitätsspital Lausanne, das Zentrum für sexuelle Gesundheit des Inselspitals Bern oder das Universitätsspital Genf.
Im Kanton Zürich wird derzeit ein Pilotprojekt mit sogenannten «Forensic Nures» durchgeführt. Diese Pflegefachpersonen haben eine spezielle Ausbildung in Gewaltmedizin. Auch sie dürfen ohne Anzeige rechtsmedizinische Untersuchungen durchführen. Ein landesweit einheitlicher Standard soll in Zukunft sicherstellen, dass alle Opfer – unabhängig von ihrem Wohnort – die gleiche Unterstützung und Dokumentation erhalten.
Erste Auswertungen des Universitätsspitals Lausanne zeigen, dass rund 24 Prozent der Opfer zu einem späteren Zeitpunkt Anzeige erstattet haben. Weil die Verletzungen frühzeitig rechtsmedizinisch sichergestellt wurden, wurde das spätere Beweisverfahren vor Gericht dadurch massiv erleichtert.
Die Revision des Opferhilfegesetzes geht auf drei Motionen der Nationalrätinnen Tamara Funiciello (SP), Jacqueline de Quattro (FDP) sowie der ehemaligen SP-Ständerätin Marina Carobbio zurück. «Es ist erfreulich, dass der Bundesrat Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt besser schützen will», wird Funiciello in einer Medienmitteilung ihrer Partei zitiert. Die SP werde sich dafür einsetzen, dass das Gesetz rasch umgesetzt werden könne.
Bis Ende Januar können sich Parteien, Kantone und Organisationen zu den Vorschlägen des Bundesrats äussern. Das federführende Bundesamt für Justiz rechnet derzeit damit, dass die Gesetzesänderung Anfang 2028 in Kraft treten könnte.
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