Debatte im NationalratObligatorischer Bürgerdienst bleibt chancenlos – obwohl Weltlage grosse Sorgen macht
Im Parlament findet die Service-citoyen-Initiative keinen Anklang. Der SP-Gegenvorschlag, nur noch 38 Stunden zu arbeiten, fällt ebenso durch.

Militärdienst leisten oder nicht? Diese Frage hat eine neue Bedeutung bekommen, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Europa – und auch die Schweiz – diskutiert seither über Wehrfähigkeit und Aufrüstung.
In diese Stimmung fällt die Debatte zur Service-citoyen-Initiative. Diese fordert, dass Frauen und Männer einen Einsatz für die Allgemeinheit und die Umwelt leisten müssen. Dies kann ein Dienst bei der Armee oder ein anderer, gleichwertiger und anerkannter Milizdienst sein.
Am Dienstag hat sich nun gezeigt: Im Nationalrat stösst die Idee auf wenig Gegenliebe. Ausser der GLP lehnen alle Fraktionen das Anliegen ab. Auch der Gegenvorschlag aus SP-Kreisen weckt wenig Begeisterung.
Eingereicht hat die Initiative im Oktober 2023 ein überparteiliches Komitee. Die Präsidentin Noémie Roten sagt, der Service citoyen sei jetzt wichtiger denn je: «Er macht unsere Gesellschaft resilienter, wappnet uns gegen Krieg sowie Umweltgefahren.» Im Komitee sitzen vor allem Vertreter, die sich in der Mitte des politischen Spektrums verorten. So auch Charles Juilliard, Vizepräsident der Mitte Schweiz. Immer weniger junge Schweizer seien bereit, Zeit für den Dienst am Vaterland zu leisten, sagt er: «Der Service citoyen wäre eine Möglichkeit, die Armee und den Zivilschutz zu stärken.»
«Alimentierung der Armee gefährdet»
Solche Argumente überzeugen auf bürgerlicher Seite niemanden. Zu gross ist die Sorge um die Alimentierung der Armee. Mitte-Nationalrat Martin Candinas sagt im Rat sogar, die Initiative sei in der aktuellen Lage «brandgefährlich»: Die Armee brauche die fähigsten Personen und «darf nicht geschwächt werden». Auch für SVP-Nationalrat Thomas Hurter fehlt der Sicherheitsbezug, die Initiative wolle für die Umwelt und die Allgemeinheit etwas tun. Aber: «Es bleibt unklar, wie der Sollbestand der Armee sichergestellt wird.»
Aber auch von links steht die Initiative in der Kritik, nicht zuletzt, weil sie erstmals einen obligatorischen Dienst für Frauen einführen will. FDP-Ständerätin und Initiantin Johanna Gapany sagte im Vorfeld: «Als Frau sehe ich darin auch eine Gelegenheit, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu überwinden.»
Linke Politiker sehen in der Initiative aber alles andere als ein Gleichberechtigungsprojekt. SP-Nationalrat Fabian Molina entgegnet im Rat: «Frauen werden zu einem allgemeinen Zwangsdienst verpflichtet, während bestehende Probleme wie Lohnungleichheit und die überproportionale Übernahme von Care-Arbeit nicht angegangen, sondern vielmehr verstärkt werden.»

«Freiwilligenarbeit kann nicht erzwungen werden»
Viele Parlamentarier, die den Grundgedanken der ehrenamtlichen Arbeit befürworten, lehnen auch darum den staatlich verordneten Bürgerdienst ab. «Zwang ist ein schlechtes Werkzeug, soziales Engagement zu stärken», sagt SP-Nationalrätin Linda De Ventura. Balthasar Glättli von den Grünen ergänzt: «Ehrenamtliche Arbeit muss freiwillig sein – das lässt sich nicht verordnen!»
Die SP hat vorab einen indirekten Gegenvorschlag eingebracht. Sie schlägt vor, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen. Damit sollte mehr Raum für freiwilliges gesellschaftliches Engagement geschaffen werden. Bei den Initianten stiess der Vorschlag auf Unverständnis. Noémie Roten sagte dazu: «Die SP hat bewusst versucht, die Debatte über unsere Initiative zu kapern, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Interessen zu lenken.» Ähnlich argumentierten auch die Vertreter der Mehrheit im Nationalrat.
Staatsrechtliche Bedenken gegen die Initiative
Schliesslich hat die Initiative auch Grundrechtler gegen sich. Denn die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert eine grundrechtliche Schranke für Dienstpflichten: «Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten», heisst es darin. Als Ausnahmen gelten Dienstleistungen militärischer Art sowie zivile Ersatzdienste.
Auf Anfrage sagt Staatsrechtler Reto Müller von der ZHAW, die Initiative wolle zu viel. Die Pflicht würde neben Dienstleistungen zugunsten der Sicherheit in Armee und Zivilschutz auch Leistungen zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt umfassen. «Das Zwangsarbeitsverbot der EMRK richtet sich aber gegen solche allgemeinen Dienstleistungen.» Auch der Bundesrat lehnt die Service-citoyen-Initiative ab.
Klar ist: Das Thema bewegt. Nicht weniger als 38 Redner wollen sich am Dienstag dazu äussern – der Nationalrat wird darum erst am 19. März entscheiden, ob er die Initiative unterstützt. Angesichts der Kräfteverhältnisse wäre alles andere als ein klares Nein eine grosse Überraschung. Entscheiden wird aber in letzter Instanz die Stimmbevölkerung.
Fehler gefunden?Jetzt melden.