Lokalpolitiker an der Konferenz in LuganoSein Vorgänger starb – jetzt bekommt er eine grosse Bühne
Die Schweizer Ukraine-Konferenz findet in seiner Stadt statt. Für Lega-Politiker Michele Foletti ist es der erste grosse Auftritt als Bürgermeister. Noch vor einem Jahr sah seine Welt ganz anders aus.
Una grande opportunità. Eine grosse Chance sei das für Lugano. «Die ganze Welt wird sehen, wie schön es am Lago di Lugano ist.» Wenn Bürgermeister Michele Foletti über die am Montagmittag beginnende Ukraine-Konferenz redet, drückt auch seine Vergangenheit durch.
Foletti, seit letztem Jahr im Amt, war in einem früheren Leben Journalist, im Tourismussektor tätig, später fürs Marketing des Casinos zuständig.
Ihm muss man die Vorteile einer solchen Konferenz nicht erklären – unbezahlbares Standortmarketing. Über 200 Journalisten aus vielen Ländern sind gemeldet. Auch wenn die politische Bilanz der Konferenz mager ausfallen dürfte. Lugano wird gut dastehen. Die Palazzi, die Palmen, der Lago. Alles wird für ein Millionenpublikum hübsch ins Bild gerückt. Bella figura.
Die Jungen gehen weg
Lugano kann die Gratiswerbung gebrauchen. Die Stadt beklagt seit Jahren eine grössere Ab- als Zuwanderung. Gerade die dynamische Generation der 30- bis 45-Jährigen wandert ab: nach Zürich, nach Mailand. Die Löhne und Chancen sind in den Metropolen schlicht grösser.
Für Michele Foletti befindet sich Lugano darum in einer Zeit der Transformation. Vorbei die goldenen Jahre, als vermögende Italienerinnen und Italiener im Sottoceneri ihr Geld parkierten und vor Ort für florierende Geschäfte sorgten (Die Hintergründe zu den goldenen Jahren). Heute will Lugano eine Stadt der Studenten sein; die Università della Svizzera italiana (USI) wird stetig ausgebaut. Und Lugano soll attraktiver für Konferenzen und Sitzungen werden. Die «Ukraine Recovery Conference» kommt da gerade richtig.
Die Konferenz ist für den Lokalpolitiker der nächste grosse Schritt. Michele Foletti begann in den 90er-Jahren seine politische Karriere, durchlief alle Stufen, zuerst auf kommunaler Ebene, dann auf kantonaler. Einmal präsidierte der im Jahr 1966 Geborene den Grossen Rat, zweimal die Finanzkommission. Dies immer im Namen der Lega, der vom einstigen Polti-Derwisch Giuliano Bignasca gegründeten Tessiner Polter-Partei.
Foletti zählt zum inneren Kreis der Lega, zu den sogenannten Colonnelli, gehört dort aber zu den Gemässigteren. Fremdenfeindliche Äusserungen gibt es vom gebürtigen Luganese keine.
Und er war zur Stelle, als im letzten Jahr Dramatisches in seiner Heimatstadt geschah. Marco Borradori, amtierender Bürgermeister von Lugano, war beim Joggen zusammengebrochen. Herzinfarkt. Er starb kurz danach. Folleti, der Vize, war die wählbare Option.
Bei seinem Amtsantritt sagt er: «Wenn man sein Amt auf diese Weise antritt, gibt es nichts zu feiern. Es geht nur um Verantwortung. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, gut zusammenzuarbeiten.»
«Wenn man sein Amt auf diese Weise antritt, gibt es nichts zu feiern. Es geht nur um Verantwortung.»
Das klang adäquat, gemässigt, staatsmännisch. Der Neue hatte nach dem Tod des beliebten Borradori die richtigen Worte gefunden. Seither ist der Lega-Politiker durch sein Gespür für Finanzen aufgefallen. Nur einmal gab es einen Zwischenfall, als eine unbekannte Frau den Bürgermeister beim Aperitivo abpasste und ihn vor aller Augen laut beschimpfte. Foletti blieb ruhig und rief die Polizei.
Und nun die grosse Bühne für den Bürgermeister der grössten Stadt im Tessin. Michele Foletti wird wohl eine gute Figur abgeben. Bella figura. Das ist dem zum Süden, zum grossen Mailand hin ausgerichteten Sottoceneri noch immer wichtig; wichtig auch für eine Wiederwahl in zwei Jahren.
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