Kontrolle im InternetSchweizerinnen und Schweizer sollen vor Elon Musk geschützt werden
Der Bundesrat will eigentlich mehr gegen Hassrede und Desinformation im Internet tun. Er verpasst aber gerade den Anschluss.
Am 17. Februar gilt es ernst für Twitter. Bis dann muss das Social-Media-Unternehmen der EU-Kommission melden, wie viele Nutzerinnen und Nutzer es in Europa hat. Sind es mehr als 40 Millionen, wird ihm die EU kurz darauf den Status einer «sehr grossen Onlineplattform» verleihen.
Für Twitter würde das bedeuten: Das Unternehmen müsste schnell viel mehr in den Schutz vor Hassrede und Falschinformationen investieren. Also in Bereiche, in denen Milliardär Elon Musk nach seinem Kauf von Twitter im letzten Herbst Mitarbeitende entlassen hat. Und die nicht zu seinem Ansatz passen, dass auf der Plattform möglichst wenig Regeln gelten sollen. Ohne Reaktion würde das Unternehmen Bussen von bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes riskieren.
Der Ball liegt bei Albert Rösti
Die grossen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Youtube oder Tiktok müssten sich jetzt an «unsere Regeln» halten, schreibt dazu EU-Kommissar Thierry Breton ausgerechnet auf Twitter. Mit «unseren Regeln» meint er den sogenannten Digital Services Act. Er enthält Vorschriften zum Schutz der Nutzerinnen und Nutzer im Internet, die in den nächsten Monaten schrittweise eingeführt werden. Zuerst für die sehr grossen Plattformen, dann abgespeckt auch für kleinere.
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Auch in der Schweiz habe die Bevölkerung «Anspruch auf einen effektiven Schutz vor illegaler Hassrede und Desinformation, und dass die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer auch gegenüber den Plattformen besser geschützt werden müssen». Zu diesem Schluss kamen verschiedene Studien im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (Bakom), wie der Bundesrat schon im Herbst 2021 festgehalten hat. Damals hat er dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) den Auftrag erteilt, in einem Papier aufzuzeigen, ob und wie Onlineplattformen reguliert werden könnten – und zwar bis Ende 2022.
Zuwarten, Entscheide hinauszögern: Das ist laut einem Experten typisch für den Umgang des Bundes mit Techkonzernen.
Trotz dieser langen Frist wurde das Papier dem Gesamtbundesrat bis heute nicht vorgelegt, wie das Bakom bestätigt. Ein Termin für die Besprechung sei noch nicht bekannt. Zuerst müsse der neue Vorsteher des Uvek über das Geschäft informiert werden. Bundesrat Albert Rösti (SVP) hat Anfang Jahr das Department von Simonetta Sommaruga (SP) übernommen.
Zuwarten, Entscheide hinauszögern: Dieses Vorgehen ist laut Martin Steiger typisch für den Umgang des Bundes mit den grossen internationalen Onlineplattformen. Als Beispiel nennt der Anwalt und Sprecher des Vereins Digitale Gesellschaft das obligatorische Zustellungsdomizil, also eine Adresse im Inland, über die sich Betroffene von Persönlichkeitsverletzungen oder Hassreden einfacher an die grossen Plattformen wenden können. Die Einführung des Obligatoriums hat das Parlament vor bald vier Jahren vom Bundesrat verlangt. Umgesetzt ist die Forderung laut Steiger bis heute nicht.
Die Digitale Gesellschaft hat im Herbst zusammen mit der Stiftung für Konsumentenschutz und weiteren Organisationen eigene Schweizer Regeln für die Plattformen gefordert. Martin Steiger begrüsst zwar den Digital Services Act der EU, der auch Auswirkungen auf die Schweiz haben werde. Trittbrettfahren reiche aber nicht.
Aufregung um Vorstoss
Möglicherweise reagiert nun das Parlament schneller als der Bundesrat. Am Donnerstag hat die Rechtskommission erstmals über einen Vorstoss von SP-Nationalrat Jon Pult beraten. Er will die grossen Plattformen unter anderem für «illegale Inhalte und Fake News» haftbar machen. Mitunterzeichnet wurde seine parlamentarische Initiative von weiteren SP-Schwergewichten wie Co-Präsident Cédric Wermuth und Fraktionschef Roger Nordmann. Dazu, ob das Anliegen auch Chancen bei bürgerlichen Kommissionsmitgliedern haben wird, wagte Pult vor den Beratungen keine Prognose. Über allfällige Entscheide wird die Kommission am Freitag informieren.
Unüblich früh regt sich ausserhalb des Parlaments heftiger Wiederstand. Mitglieder der Piratenpartei und des Hackervereins Chaos Computer Club appellieren seit mehreren Tagen an die Kommission, den Vorstoss abzulehnen. Zuvor haben sie sich auch vom Aufruf der Digitalen Gesellschaft distanziert, bei der beide Mitglied sind. Die Piratenpartei sieht die freie, demokratische Debatte im Internet in Gefahr. Neue staatliche Regeln brauche es nicht. Gegen illegale Inhalte wie Hassreden könne bereits heute strafrechtlich vorgegangen werden, sagt Parteipräsident Jorgo Ananiadis.
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