Eine Folge von CoronaSchweizer steigen in der Krise auf Bio-Essen um
So viele neue Kunden wie noch nie stürmen die Bio- und Bauernläden. Ihre Gründe sind ganz unterschiedlich.
Michèle Melzer tippt die Preise für Kokos-Mandelcreme oder Stangensellerie noch von Hand in die Kasse. Sie nennt es «old school»: Kein elektronischer Scanner piepst im Eichblatt, dem 1973 gegründeten ältesten Bioladen der Schweiz. Beim Kaufansturm in diesen Wochen ist Melzer mit dem Eintippen in die Kasse an ihre Grenzen gestossen. Denn sie wurde von Kunden überrannt.
Bioläden sind in der Krise zum Rückzugsort geworden: Sie gehören zu den wenigen kleinen Läden, die noch geöffnet haben dürfen. Und sie verkörpern mit ihrer Holzeinrichtung und ihrem persönlichen Profil eher Heimat als Kommerz. Und eben: Sie verkaufen Bio-Lebensmittel, was während der Pandemie für viele wichtig geworden ist. So viele neue Kunden auf einmal gab es noch nie im Basler Eichblatt, dasselbe gilt auch für die anderen Schweizer Bioläden.
Hoffen auf eine Stärkung des Immunsystems
«Ich glaube, dass viele unseren Laden erst jetzt entdeckt haben», sagt Melzer. An manchen Tagen hat sie den doppelten Umsatz gemacht wie vor der Corona-Krise. «Letzten Samstag war das meiste Gemüse schon um 12 Uhr weg.»
Der Run aufs Bio-Essen hat unterschiedliche Gründe: Die Wochenmärkte sind dicht, wo sich viele Konsumenten bislang mit Bio-Frischwaren eingedeckt haben. Auch die Grenze nach Deutschland ist zu, sodass alle in der Schweiz einkaufen müssen. Der Einkaufstourismus ist tot. Einige Kunden hoffen zudem, dass Bio-Lebensmittel ihr Immunsystem stärken oder dass die Infektionsgefahr in den kleinen Läden geringer ist.
Doppelt so grosse Mengen wie vor Corona
Der Grosshändler und Dienstleister Bio Partner, der rund 350 Bioläden beliefert, verarbeitet doppelt so grosse Mengen wie vor der Krise. Vor allem beim lange haltbaren Sortiment mit Mehl, Getränken, Reis oder Hygieneartikeln habe das Volumen stark zugelegt. «Aber auch bei der Frische, zum Beispiel Milchprodukte, Früchte und Gemüse, stellen wir einen deutlichen Mehrbedarf fest», sagt Geschäftsleiterin Manuela Kägi.
«Die Warenverfügbarkeit ist gut», erzählt Kägi. Lücken gebe es allerdings bei einigen Artikeln, weil die Hersteller nicht mehr mitkommen: Manche konzentrieren sich auf die wichtigsten Produkte und setzen dafür andere kurzzeitig aus. Das gilt für Bio-Hersteller genauso wie für die Konventionellen.
Bio Partner hat zusätzlich Temporärpersonal eingestellt. «Wir mussten in Teilen des Betriebes auf einen Zweischichtbetrieb wechseln, und die Abstandsregeln erschweren die Arbeit», sagt Kägi. Auch die Bio-Läden mussten ihre Prozesse anpassen. Sie bestellen ihr ungekühltes Sortiment nun zwei Tage statt einen Tag vor der Lieferung.
«Jeden Tag rufen Leute an und fragen, ob der Laden offen ist.»
Bio-Produkte stehen auch bei den Supermärkten in den Gestellen. Und auch dort greifen die Kunden verstärkt zu. Der Bio-Umsatz steige im selben Masse wie die Nachfrage nach den anderen Lebensmitteln, heisst es etwa bei Coop.
Der Ansturm aufs Elementare trifft aber auch die Bauern. «Jeden Tag rufen Leute an und fragen, ob der Laden offen ist», erzählt Bäuerin Elsbeth Mathis, die einen Laden auf ihrem Hof in Bottmingen BL betreibt. «Wir werden tatsächlich überrannt, dabei haben wir gar nichts ausser Schnaps und Eier, die aber für die Stammkunden reserviert sind.» Nur im Herbst gebe es dann noch Kürbisse. Vom Schnaps verkauft Mathis übrigens im Moment nicht mehr als sonst.
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