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Verschwundener Rechtsanwalt
Wegen dieses Schicksals zensuriert China die Schweizer Botschaft

Kam nicht zum Treffen mit der Schweizer Botschaft: Der chinesische Menschenrechtsanwalt Tang Jitian.

Mitten im Jubel um die sechste Schweizer Goldmedaille an den Olympischen Spielen in China kommt es zu diplomatischer Verstimmung zwischen Bern und Peking. Auf Twitter hat die Schweizer Botschaft in Peking den chinesischen Behörden am Donnerstag «Zensur» vorgeworfen – nur wenige Stunden bevor Michelle Gisin in der Kombination zu Gold fuhr.

Hinter dem Vorwurf der Botschaft steht ein tragisches Schicksal: Der prominente chinesische Menschenrechtsanwalt und Regimekritiker Tang Jitian ist vor zwei Monaten spurlos verschwunden. Schon am 10. Februar publizierte die Schweizer Botschaft zu Tangs Unterstützung erste Nachrichten in den sozialen Netzwerken. Darin forderte die Botschaft, dass Tangs Aufenthaltsort unverzüglich offengelegt werde.

Diese Nachricht setzte die Botschaft damals auch auf dem chinesischen Twitter-Pendant Weibo ab. Doch der Weibo-Post sei «24 Stunden nach Publikation grob zensuriert» worden. Das heisst: Der Post der offiziellen Schweiz wurde kurzerhand gelöscht. Das machte die Botschaft nun mit einer Woche Verzögerung auf Twitter publik, das nicht der chinesischen Zensur untersteht.

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Ihren Ursprung hat diese Geschichte am 10. Dezember 2021, dem internationalen Tag der Menschenrechte, zu dem verschiedene ausländische Botschaften in Peking einen Anlass durchführten. Dort sollte auch der prominente Regimekritiker Tang Jitian auftreten.

«Doch Tang erschien nicht zu dem Treffen», sagt Botschafter Raphael Nägeli, Chef der Asien-Abteilung im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Seither ist Tang spurlos verschwunden. Zunächst, sagt Nägeli, hätten die Schweiz und andere Staaten beim chinesischen Aussenministerium interveniert.

Kooperation mit EU-Staaten

Als man dort «keine befriedigende Auskunft» bekommen habe, hätten die deutsche, die französische und die schweizerische Botschaft Tangs Verschwinden gemeinsam öffentlich gemacht. Tangs Fall erinnert an die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai, die im November 2021 ebenfalls für mehrere Wochen verschwand.

«Dass die Schweizer Botschaft die Zensur in sozialen Medien in China publik macht, ist aussergewöhnlich und ein starkes Zeichen.»

Beat Gerber, Sprecher von Amnesty International

Laut dem EDA ist es nicht aussergewöhnlich, dass sich die Schweizer Diplomatie in China für Einzelpersonen engagiert. Meist passiere das hinter den Kulissen, seltener auch öffentlich, sagt Nägeli. «Die Schweiz setzt sich weltweit für den Schutz der Menschenrechte ein, auch in China», hält das EDA generell fest.

Macht chinesische Zensur öffentlich: Bernardino Regazzoni, Schweizer Botschafter in Peking. Hier spricht er im November 2020 an einem Anlass zum 70-Jahr-Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Schweiz.

Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) ist der Vorgang allerdings sehr bemerkenswert. «Dass die Schweizer Botschaft die Zensur in sozialen Medien in China im Fall eines prominenten Menschenrechtsanwalts publik macht, ist aussergewöhnlich und ein starkes Zeichen», sagt Beat Gerber von der Schweizer AI-Sektion.

Ausgerechnet während der Olympischen Spiele, die eigentlich «dem internationalen Austausch und der gegenseitigen Verständigung dienen sollten», schränke das Land die freie Meinungsäusserung ein, sagt Gerber. «China kontrolliert und zensiert, was Menschen sagen dürfen.» Die chinesische Internetzensur sei eine schärfsten der Welt.

Foltervorwürfe

Der 53-jährige Jurist Tang Jitian war ursprünglich Staatsanwalt. Seit rund 15 Jahren setzt er sich als Rechtsbeistand für Angehörige religiöser Minderheiten, Opfer von Landenteignungen und anderer Menschenrechtsverletzungen ein. 2010 wurde ihm von den chinesischen Behörden die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen.

Laut eigenen Angaben hat Tang mehrfach erlebt, wie Beschuldigte mittels Folter zu Geständnissen gezwungen worden seien. Tang selber wurde mehrfach inhaftiert und 2014 nach eigenen Angaben ebenfalls misshandelt. «Während der Haft wurde ich an einen eisernen Stuhl gefesselt, mir wurde ins Gesicht und auf die Beine geschlagen, und mit einer gefüllten Plastikflasche schlugen sie mir so stark auf den Kopf, dass ich bewusstlos wurde», sagte er nach seiner Freilassung.

«Während der Haft wurde ich an einen eisernen Stuhl gefesselt, mir wurde ins Gesicht und auf die Beine geschlagen.»

Tang Jitian, chinesischer Menschenrechtsanwalt

Im Juni 2021 wollte Tang nach Tokio fliegen, um seine schwer erkrankte Tochter zu besuchen, wurde aber an der Ausreise gehindert. Ein halbes Jahr später verschwand er. Tang ist nicht der einzige Regimekritiker, der kurz vor Beginn der Olympischen Spiele inhaftiert wurde oder plötzlich unauffindbar war. Ein Vertreter von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte gegenüber dem englischen «Guardian», die Kommunistische Partei wolle verhindern, dass Kritiker «die Fassade der perfekten Olympischen Spiele» ruinieren könnten.

Die chinesische Botschaft in Bern nahm auf Anfrage keine Stellung zum Fall Tang und zum Schweizer Zensurvorwurf. Sie hielt fest: «Leider kennt die chinesische Botschaft in der Schweiz den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt nicht. So können wir Ihnen nicht weiterhelfen.»