Deftige Zürcher TraditionSchübligziischtig: Ein Feiertag für eine Wurst
Der Brauch ist viel älter als das Sechseläuten, aber ausserhalb des Zürcher Oberlands kaum bekannt. Seine Wurzeln hat er aber in der Stadt Zürich.
In der Metzgerei von Cathrine und Erich Bleicher in Mönchaltorf herrscht Hochbetrieb. Sie haben zusammen mit ihrem Team in der vergangenen Woche 2600 Schüblige produziert. 520 Kilo. Denn am Dienstag, 13. Februar, ist Schübligziischtig.
Für viele Zürcher Oberländerinnen und Zürcher Oberländer ist das ein Festtag. Er findet immer am Tag vor dem Aschermittwoch statt. Und er wird begangen, indem man zum Zmittag oder Znacht Schüblige und Kartoffelsalat auftischt. Oder zum Zmittag und zum Znacht.
Klassische Schüblige sind eher grobkörnige und meist geräucherte Würste aus Schweins- und Rindfleisch sowie Speck, die man brühen, aber auch grillieren kann. Etwa 200 Gramm schwer und leicht gekrümmt.
Auf Spurensuche
Auf der Spurensuche nach dem Ursprung dieses seltsamen Brauchs stossen wir auf eine 81-jährige ehemalige Bäuerin. Was bedeutet Ihnen der Schübligziischtig? «Ich freue mich jedes Jahr sehr darauf. Dieses Jahr probiere ich erstmals einen Chässchüblig.»
Als wir aber von ihr wissen wollen, woher denn dieser Brauch komme, winkt sie ab. Sie wolle sich nicht als Schübligziischtig-Expertin aufspielen und deshalb auch nicht mit ihrem Namen in der Zeitung erscheinen. Denn sie lebe erst seit 1975 in dieser Region. In Bülach, wo sie aufgewachsen sei, habe man diesen Brauch nämlich nicht gekannt.
Auch in der Stadt Zürich kennt ihn kaum jemand, obwohl er dort, wie sich nach und nach herausstellt, wahrscheinlich seinen Anfang nahm. Er gehört damit zu den ältesten Traditionen des Kantons.
Es gibt zwei Versionen dazu, wo dieser Festtag für die Wurst seine Wurzeln hat. Beide gehen Jahrhundert zurück, beide sind wohl halb wahr, beide vereint scheinen jedoch ziemlich plausibel.
Die reformierte Tradition
Am 9. März 1522 tischte der Drucker Christoph Froschauer in seinem Haus im Weingarten des Predigerklosters Würste auf. Gut möglich, dass es Schüblige waren. Sicher ist: Das Essen war ein Skandal, denn die Fastenzeit war eben angebrochen.
An dieser Protestaktion gegen die katholische Kirche nahm der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli persönlich teil – allerdings soll er sich selbst der Wurst enthalten haben.
Die katholische Version
Diese zweite Erklärung geht so: Am Tag vor Aschermittwoch mussten die Würste, die noch da waren, verzehrt werden. Denn danach war den Katholiken der Fleischkonsum für vierzig Tage verboten, und die Würste wären möglicherweise verdorben. Zudem wollte man sich bestimmt einfach nochmals so richtig den Bauch vollschlagen.
Von einer Anti-Wurst-Waste-Aktion erzählt auch die 81-jährige «Neo»-Oberländerin. Am Schübligziischtig seien früher sogar die Metzger von ennet dem See, wo man eher katholisch war, ins reformierte Oberland gekommen. Sie gingen mit ihren Schübligen von Hof zu Hof und Ort zu Ort, damit sie nicht darauf sitzen blieben.
Sicher nicht auf den Schübligen sitzen bleibt die Metzgerei Bleicher. Sie ist weit herum bekannt für ihre Schüblige. 22 verschiedene Sorten stehen dieses Jahr auf diesen Tag hin im Angebot.
Aloe-vera- und Schlumpf-Schüblig
Es gibt den Aloe-vera-Schüblig, den Chriesi- oder den Aprikosenschüblig. Ein Schüblig heisst nach dem einheimischen Sängerstar Dabu Fantastic (mit Chili und Käse), einer nach dem aus Japan stammenden Spiel Pokémon (nur mit Chili).
Und dann ist da noch der Schlumpf-Schüblig.
Er hat nichts mit den blauen Comicfiguren zu tun, sondern mit Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Sie ist in Mönchaltorf heimatberechtigt, der Schübling zeichnet sich durch eine Extraportion Pfeffer aus. Passt.
Schulfrei zum Schübligstibitzen
Bis in die 1990er-Jahre hatten im Zürcher Oberland die meisten Kinder am Schübligziischtig schulfrei.
Sie sind stattdessen maskiert durch die Gassen gezogen, haben Gedichte aufgesagt und Lieder gesungen und um Schüblige oder auch Süssigkeiten gebettelt.
Es wird erzählt, dass manche auch in die Küchen eingestiegen seien, um die in den Pfannen brutzelnden Schüblige zu stibitzen. Was dazu führte, dass man mit Sägemehl gefüllte Fake-Würste anfertigte.
Keine moderne Wurst
Der freie Nachmittag ist ausser an der Primarschule Uster fast überall seit Jahrzehnten verschwunden. Danach geriet auch der Brauch etwas in Vergessenheit. Bis der Metzgereiverband ihn vor einiger Zeit wiederbelebte.
Der eher deftige Schüblig sei eigentlich keine «moderne Wurst», sagt Metzgermeister Bleicher, während er Speckwürfeli für die nächste Sorte umrührt. Heute wünschten sich die Konsumenten weniger Speck und Schwarte, heisst es auch auf der Plattform «Kulinarisches Erbe der Schweiz».
Deshalb gibt es neben dem Röstigraben in der Schweiz auch einen Schübliggraben, der zwischen Stadt und Land verläuft. In der Stadt ist der Inhalt der Schüblige in der Regel weniger fett und feiner gehackt.
Bald sind die Schwarzen dran
Im Räucherofen von Metzger Erich Bleicher hängen bereits etwa 150 Hallauer Schüblige, nebenan im Laden packt seine Frau Cathrine gerade die ersten Dabu- und Bauernschüblige für eine Kundin ein.
Demnächst sind die dunklen Bassersdorfer dran – die Schwarzen, wie diese Fasnachtsspezialität aus dem Zürcher Unterland bezeichnet wird.
Erich Bleicher erzählt von eigentlichen Schüblig-Reisen, für die manche am Schübligziischtig von weit her ins Zürcher Oberland pilgern. «Sie klappern Metzger für Metzger ab, um deren Spezialitäten einzukaufen.»
Dabei kommen die Wurstfans wohl auch bei der Metzgerei Minnig in Bubikon vorbei. Dort deckt sich unsere «erst» seit knapp fünfzig Jahren im Oberland ansässige Auskunftsperson ein. 15 Sorten stehen zur Wahl.
Sie erwartet am Dienstag ihre Tochter zum traditionellen Schübligessen und wird daher bereits früh am Morgen in der Küche stehen. Nicht wegen der Würste, sondern wegen des Kartoffelsalats. Denn der müsse richtig lange in der Sauce ziehen. Es folgt ein weiterer Tipp für das ultimative Schübligziischtig-Essen: keine Mayonnaise, sondern gequirlter Kaffeerahm für die Salatsauce.
Sie hat vorgesorgt
Die ehemalige Bäuerin freut sich dar¨über, dass der Schüblig wenigstens einmal im Jahr gefeiert wird. Diese deftige Wurst widerspreche vielleicht dem Zeitgeist, wo man eher zum Vegetarischen neige, gibt sie zu. Doch er sei eine währschafte Wurst mit langer Tradition.
«Und es soll halt jeder essen, was er mag.» Und sie mag Schüblig und hat gleich auf Vorrat gekauft. «Zum Einfrieren.» So hat sie in den nächsten Wochen immer mal wieder einen Schübligziischtig. Oder Schübligsamschtig. Oder Schübligsunntig.
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