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Schatten ist in Kalifornien ein Luxusprodukt

In vielen Vierteln in Los Angeles spenden nur ein paar Palmen Schatten. Deshalb sollen nun 90'000 Bäu­me gepflan­zt und 750 Bus­hal­te­stel­len mit Schat­ten ver­sor­gt werden. Foto: iStock
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Wer so­zia­le Un­ge­rech­tig­keit in Los An­ge­les se­hen will, soll­te an ei­nem Mon­tag­mor­gen zur Stra­ssen­ecke Wes­tern/Slau­son im Vier­tel Ches­ter­field Squa­re kom­men. Die Ge­gend gilt als die ge­fähr­lichs­te der Stadt, in den ver­gan­ge­nen sechs Mo­na­ten hat es dort laut Po­li­zei­sta­tis­tik 132 Ge­walt­ver­bre­chen ge­ge­ben. Der Park­platz des Su­per­markts gilt als Um­schlag­platz für ge­klau­te Te­le­fo­ne und Dro­gen.

Das Sym­bol der Un­ge­rech­tig­keit ist ei­ne grü­ne Ei­sen­bank. Dar­auf sitzt Jay­le­le Jack­son. Die Putz­frau war­tet auf den Bus der Li­nie 757, der sie zur Ar­beit nach Hol­ly­wood bringt. Auch Alan Ay­ton will nach Nor­den, er ist Wach­mann in ei­ner Fa­brik im Stadt­zen­trum. Ja­mal Jor­dan sitzt auf der Ei­sen­bank an der Bus­hal­te­stel­le ge­gen­über; er will nach Wes­ten, Ve­nice Beach, er will nicht sa­gen, was er dort tun wird. Al­le drei war­ten in der pral­len Son­ne. Und sie al­le ver­flu­chen die­sen rie­si­gen Feu­er­ball am Him­mel. «Je­den Tag», sagt Jack­son: «Je­den ver­damm­ten Tag!»

Schat­ten, das ist hier Lu­xus. Da­bei ver­mark­ten sie den Bun­des­staat Ka­li­for­ni­en und die Stadt Los An­ge­les schon seit mehr als 100 Jah­ren als Pa­ra­dies am Pa­zi­fik, wo im­mer­zu die Son­ne scheint. Hier ist zehn Mo­na­te lang Som­mer und dann zwei Mo­na­te Hochsom­mer. Für je­den aber, der die­ser Son­ne nicht ent­kom­men kann, wird der Ort zur Höl­le. Das ist die ei­ne Sei­te.

Schatten und Wohlstand hängen zusammen

Wer wis­sen will, wie die an­de­re Sei­te aus­sieht, der soll­te nach Sil­ver La­ke fah­ren. Hier woh­nen zum Bei­spiel die Schau­spie­ler An­ge­li­na Jo­lie, Ra­chel McA­dams oder Ryan Gosling. Kaum ei­ner der Be­woh­ner nutzt öf­fent­li­che Ver­kehrs­mit­tel, man steigt aus klima­ti­sier­ten Häu­sern in kli­ma­ti­sier­te Au­tos und fährt über ver­stopf­te Stra­ssen zu klima­ti­sier­ten Bü­ro­ge­bäu­den.

Wer tat­säch­lich mal läuft, tut das auf Geh­stei­gen, die von Bäu­men be­schat­tet sind. Satel­li­ten­bil­der zei­gen, dass in Sil­ver La­ke mehr als 35 Pro­zent der Flä­che so ge­schützt ist. In Ches­ter­field Squa­re sind es we­ni­ger als zehn Pro­zent.

«Bäu­me sind der einfachs­te Weg, dem Klimawan­del zu be­geg­nen.»

Eric Garcetti, Bürgermeister von Los Angeles

Es gibt ei­nen di­rek­ten Zu­sam­men­hang zwi­schen Schat­ten und Wohl­stand in Los Angeles: Das mitt­le­re Haus­halts­ein­kom­men pro Jahr in Sil­ver La­ke liegt bei 94'000 Dol­lar, in Ches­ter­field Squa­re sind es 41'000 Dol­lar. Ähn­lich sieht es in an­de­ren Vierteln aus. Han­cock Park, San­ta Mo­ni­ca und Be­ver­ly Hills sind wohl­ha­bend und schat­tig. Watts, Har­vard Park und Ver­mont Vis­ta arm und son­nen­ver­brannt.

Das Pro­blem ist be­kannt, schon vor 20 Jah­ren soll­ten 1900 Bus­hal­te­stel­len über­dacht und die Kos­ten da­für mit Wer­bung ge­deckt wer­den. Die Ar­bei­ten be­gan­nen in wohlhaben­den Ge­gen­den wie Be­ver­ly Park oder Echo Park, weil die Wer­be­flä­che dort zu hö­he­ren Prei­sen ver­kauft wer­den konn­te. Bis heu­te feh­len 1250 Häus­chen, an der Ecke Wes­tern/Slau­son in Ches­ter­field Squa­re gibt es nur ei­nes bei vier Hal­te­stel­len.

«Man muss sich nur ei­ne äl­te­re Frau vor­stel­len, die auf öf­fent­li­che Ver­kehrs­mit­tel angewie­sen ist, wie sie bei mehr als 40 Grad im Schat­ten kei­nen Schat­ten fin­det und auf dem hei­ssen Asphalt auf den Bus war­tet», sagt Bür­ger­meis­ter Eric Gar­cet­ti. Er könn­te 2024 für das Amt des US-Prä­si­den­ten kan­di­die­ren. Und er po­si­tio­niert sich schon jetzt als An­walt all je­ner, die sich be­nach­tei­ligt füh­len.

«Schat­ten darf kein Lu­xus sein»

2019 hat es sie­ben Ta­ge mit ex­tre­mer Hit­ze von mehr als 38 Grad ge­ge­ben, ei­ner Stu­die der Uni­ver­si­tät UCLA zu­fol­ge sol­len es 2050 be­reits 22 sein und zum En­de des Jahrhun­derts mehr als 50: «Es ist ei­ne Fol­ge des Kli­ma­wan­dels, und es darf nicht sein, dass es die Be­woh­ner der ei­nen Ge­gend schwe­rer ha­ben als an­de­re. Bäu­me sind der einfachs­te Weg, dem Kli­ma­wan­del zu be­geg­nen.»

Des­halb gibt es seit Au­gust den Pos­ten des «Fo­re­stry Of­fi­cer»: Ra­chel Ma­la­rich soll 90'000 Bäu­me in Los An­ge­les pflan­zen und ins­ge­samt 750 Bus­hal­te­stel­len mit Schat­ten ver­sor­gen – bis 2021. «Schat­ten darf kein Lu­xus sein», sagt Ma­la­rich, die kürz­lich an einer Stra­ssen­ecke in Ches­ter­field Squa­re ge­mein­sam mit Bür­ger­meis­ter Gar­cet­ti ei­nen Baum ge­pflanzt hat: «Un­ser Ziel ist ehr­gei­zig, aber wir kön­nen es schaf­fen.»

Es ist auch ei­ne Kehrt­wen­de der Po­li­tik: Erst in den Neun­zi­ger­jah­ren wur­den in manchen – ge­ra­de är­me­ren – Ge­gen­den die Bäu­me ganz be­wusst ge­fällt. Kri­mi­nel­le hat­ten dort Dro­gen und Waf­fen ge­la­gert, Pro­sti­tu­ier­te hat­ten sich un­ter den Pflan­zen ver­steckt. Nun braucht es neue Bäu­me in die­sen Ge­gen­den, und es könn­te sein, dass sich dann nicht nur das Stadt­bild ver­än­dert, son­dern auch das Image: Pal­men, schlecht­hin das ka­li­for­ni­sche Kli­schee auf al­len Ur­laubs­fo­tos, sol­len er­setzt wer­den durch an­de­re Pflan­zen, die mehr Schat­ten spen­den.