Bauprojekt am Bahnhof ThalwilSBB kippen umstrittenen Gestaltungsplan Talevo
Die Schweizerischen Bundesbahnen sistieren das Grossprojekt am Bahnhof Thalwil. Die Gegner jubeln, die Gemeinde begrüsst, dass die Bevölkerung ernst genommen wird.
Die SBB gehen bei ihren Immobilienprojekten wegen Corona über die Bücher. Zuletzt wurde etwa ein Projekt beim Bahnhof Horgen Oberdorf überprüft, aber nicht aufgegeben. Jetzt kippen die SBB das umstrittene Bauprojekt Talevo am Bahnhof Thalwil. Dies aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage. Zwar gehörte Talevo nicht zu den Projekten, die im Januar als sistiert kommuniziert wurden. «Dennoch kamen die SBB zum Schluss, dass dies der richtige Zeitpunkt für eine Überarbeitung des Gestaltungsplans ist», sagt Mediensprecher Reto Schärli.
Die SBB seien zuversichtlich, dass auch dank dem Einbezug der Bevölkerung eine Lösung gefunden werden könne, die von einer grösseren Mehrheit getragen werde als der bisherige Vorschlag. Zudem werde neu auch das Bahnhofsgebäude mit in die Planung einbezogen.
Aufgeben wollen die Bundesbahnen also nicht. Man könne sich einen runden Tisch oder Workshops vorstellen, um die Bevölkerung in Erarbeitung eines neuen Gestaltungsplans miteinzubeziehen, sagt der Mediensprecher. Genaues sei aber noch nicht definiert.
Bevölkerung ernst nehmen
Bei der Gemeinde Thalwil fällt die Reaktion zurückhaltend aus. Der Gemeinderat sei überzeugt gewesen, dass der Gestaltungsplan einen guten Rahmen für die Entwicklung des Bahnhofsareals gelegt hätte, sagt David Brüllmann (Dorfverein Gattikon), stellvertretender Bereichsverantwortlicher Planung und Bau, auf Anfrage dieser Zeitung.
Doch der bisherige Gestaltungsplan sei in Teilen der Bevölkerung umstritten gewesen. «Der Gemeinderat begrüsst es darum, dass die SBB dies ernst nehmen, und möchte auch den weiteren Planungsprozess unterstützen», sagt Brüllmann. Das Thalwiler Zentrum solle lebendig, gut vernetzt, durchmischt und in seiner Eigenständigkeit gestärkt werden. Dazu würden die SBB mit der Weiterentwicklung ihres Areals beitragen, ist der Gemeinderat überzeugt.
«Das mues i grad am Jürg verzele»
Völlig überrascht über den vorläufigen Talevo-Stopp reagiert der Verein Zentrumsentwicklung Thalwil. Dieser ist aus dem Bürgerkomitee Stop Talevo hervorgegangen, das mit Flyern und einer Ballonaktion gegen den Gestaltungsplan Talevo mobilgemacht hatte.
Bernhard Schweizer, Kommunikationsverantwortlicher des Vereins, jubelt am Telefon spontan los, als er die Neuigkeit erfährt. Mit dem Telefon in der Hand rennt er zu seinem Nachbarn: «Jürg, Talevo wird zurückgezogen!» Beide wohnen in unmittelbarer Nähe des Gestaltungsplanperimeters.
Jürg ist Jürg Bösch. Er ist Raum- und Städteplaner und präsidiert den Verein Zentrumsentwicklung. Er sagt nicht ohne Genugtuung: «Wir haben gespürt, dass das Vorhaben, so wie die SBB es ausgearbeitet haben, aus städtebaulicher Sicht nicht ‹verhebed›. Mit ihrem Entscheid anerkennen die SBB, dass breite Teile der Bevölkerung mit uns dieser Ansicht sind.»
Grösseres Areal, weniger Renditedruck
Im Kampf gegen Talevo hatte das Komitee und zuletzt der Verein moniert, die vorgesehenen Gebäude seien mit ihren sechs Stockwerken zu hoch und zu massiv. Daher ist Bösch froh, dass die SBB den Planungsperimeter vergrössern wollen. «Wenn das ganze Areal vom Park&Ride über den Güterschuppen bis zum Hotel Sedartis angeschaut wird, lindert das den Druck bezüglich Ausnützung.» Will heissen: Wenn das Areal grösser ist, reichen für eine ähnliche Rendite weniger hohe Gebäude.
Bösch hofft, dass die erhöhten Anforderungen wie beispielsweise die Quartierverträglichkeit beim zweiten Anlauf einen höheren Stellenwert geniessen und die Gemeinde diesen «anders als bis jetzt» auch einfordert – «so wie es unsere Bau- und Zonenordnung für Gebiete mit Sonderbauschriften vorschreibt». Bernhard Schweizer fügt hinzu: «Das Ziel sollte eine qualitativ hochwertige Überbauung sein, die auch seeseits zum Quartier passt.»
Schweizer und Bösch hoffen ausserdem, dass ihr Verein und andere Bevölkerungsgruppierungen wirklich in die Planung miteinbezogen werden. «Wir möchten nicht einfach nur informiert werden, sondern uns aktiv einbringen können», sagt Bösch. Ein Anliegen brennt ihm dabei besonders unter den Nägeln: die Verkehrsführung und die Fussgängersicherheit. «Auf der Seite der Gleise ist die Fussgängerführung zurzeit schlecht, es gibt kein durchgängiges Trottoir. Solche Dinge müssen ebenfalls bedacht werden.»
Ein Geschäft weniger
Im Juni plant Thalwil eine grosse Gemeindeversammlung, die wegen Corona draussen stattfinden soll. Talevo und der ebenfalls umstrittene Gestaltungsplan Seeufer Bürger standen auf der Traktandenliste. Mehrfach hat Thalwil schon die entsprechende Gemeindeversammlung verschoben. Welchen Einfluss hat der Rückzug von Talevo? «Das wird der Gemeinderat noch diskutieren», sagt Gemeinderat David Brüllmann. Ob redimensioniert wird oder die Versammlung doch wieder in ein Gebäude verschoben wird, bleibt noch offen.
Dass Thalwil beim zweiten umstrittenen Projekt im Juni, dem Seeufer Bürger, ebenfalls einen Rückzieher macht, steht hingegen ausser Frage. Die Bevölkerung habe bei diesem Projekt mitwirken können. «Das Ergebnis ist breit abgestützt, auch wenn der Gestaltungsplan nicht bei allen auf positives Echo stösst», sagt David Brüllmann.
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