Sagt die Spiele endlich ab!
Trotz Corona spielt das IOK auf Zeit. Damit bringt es die Athleten in enorme Gewissenskonflikte.
Die Welt befindet sich in einer Ausnahmesituation, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg wohl nie mehr gab. Die obersten Sportfunktionäre aber scheinen davon in ihrem Hauptsitz an den Gestaden des Lac Léman nur sehr bedingt mitbekommen zu haben.
Denn IOK-Präsident Thomas Bach behauptete jüngst in einem Interview mit der «New York Times»: «Niemand kann momentan sagen, wie die Entwicklungen morgen, in einem Monat, ja geschweige denn in rund vier Monaten sein werden.»
In vier Monaten würden die Olympischen Spiele von Tokio stattfinden. Sie sind das Hauptprodukt und die Geldmaschine des IOK. Entgegen der Behauptung von Bach wissen wir sehr genau, was uns zumindest in näherer Zukunft erwarten wird: eine global noch weit gravierendere Krisensituation.
Clemens Prokop, der frühere Präsident des deutschen Leichtathletik-Verbandes, hat sich am prononciertesten zur Betonkopfstrategie des IOK geäussert. Er kann das, weil er kein Amt mehr innehat und damit keine Rücksicht auf die eigene Funktionärskarriere nehmen muss. Prokop sagte: «Es ist nicht nur naiv, sondern einfach nur dumm, so zu tun, als ob sich die Corona-Krise in den nächsten vier Monaten weltweit erledigt haben könnte.»
Die Ableitung daraus ist klar: Es braucht diese turbulenten und für viele Menschen gar existenziellen nächsten Wochen nicht, um bereits schlau genug zu sein und sagen zu können: Diese Spiele müssen endlich abgesagt oder verschoben werden. Denn die Pandemie hat auch viele Facetten des Elitesports längst lahmgelegt oder so stark beeinträchtigt, dass nur schon die Chancengleichheit in der Vorbereitung ausgehebelt ist.
Wer sich als Spanier oder Italiener mit einer Ausgangssperre konfrontiert sieht, kann als Spitzensportler noch so sehr zu den wenigen Ausnahmefällen in diesen Ländern zählen, die sich noch einigermassen frei bewegen dürfen. Sie sind im Vergleich zu Berufskollegen aus anderen Nationen, die kaum oder keineswegs eingeschränkt sind, schlicht benachteiligt.
«Bei den Spielen würde es keine Leistungs- und Chancengleichheit geben.»
Darum noch einmal Prokop: «Weil die Trainingsmöglichkeiten für die Athleten – weltweit betrachtet – aktuell sehr unterschiedlich sind, steht bereits jetzt fest, dass es bei Olympischen Spielen keine Leistungs- und Chancengleichheit geben würde, sondern nur eine riesige Wettbewerbsverzerrung. Schon allein wegen dieses Umstands wären Sommerspiele im Juli und August absurd und eine einzige Farce.» Hinzu kommt, dass die Dopingbekämpfung praktisch zum Stillstand gekommen ist. Fairplay kann folglich zurzeit noch sehr viel weniger garantiert werden als ohnehin schon.
Mit dem Nichtentscheiden aber plagt das IOK vor allem die Athleten, für die es doch einstehen sollte. Immer mehr von ihnen melden sich darum und kritisieren, das IOK bringe sie in eine unmögliche Situation. Während die Welt zurzeit stillstehe, hätten sie sich ausschliesslich um ihre Leistungsoptimierung zu kümmern – ganz so, als könnten sie sich einfach von all den Problemen abkoppeln und hätten allenfalls nicht auch Familienmitglieder, die vom Virus befallen oder zumindest betroffen seien.
Eine Corona-freie Zone in Magglingen
Mittlerweile haben auch erste nationale Verbände – mit den US-Schwimmern am Freitag und den -Leichtathleten am Samstag zwei Schwergewichte der Szene – eine Verschiebung der Spiele gefordert.
Die Schweiz wiederum versucht, potenziellen Olympiateilnehmern zu helfen, indem sie etwa in Magglingen für maximal 250 Topathleten eine Corona-freie Zone geschaffen hat. Dabei ist Magglingen zurzeit eigentlich zu.
Während sich die Restschweiz also so gut zu solidarisieren versucht, wie es in der Krise eben geht, und Menschen in unserem Land teilweise ums nackte Überleben kämpfen, schotten sich ob Biel ein paar junge Menschen ab, um für die Spiele an ihren Körpern zu feilen. Diese egoistische Haltung bringt den gesamten Elitesport in Verruf – mit jedem Tag stärker, an dem das IOK an seinen Spielen vom Sommer festhält.
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