Umstrittene Corona-ImpfungRussland impft früh – zu früh?
In Moskau hat die erste Phase der Massenimpfung begonnen. Damit liegt das Land im weltweiten Wettlauf vorn. Namhafte Wissenschaftler aber sind skeptisch.
Es hatte so einfach geklungen, als Wladimir Putin am vergangenen Mittwoch wie nebenbei Massenimpfungen anordnete. «Lassen Sie uns das vereinbaren», sagte der Präsident während einer Videokonferenz, und Tatjana Golikowa nickte. Sie ist als Vize-Ministerpräsidentin für Gesundheit zuständig und sollte Putin nun nicht mehr über die Corona-Lage berichten, sondern endlich mit den Impfungen loslegen, so hatte der Präsident es formuliert. «Lassen Sie uns die Arbeit beginnen.»
Am Wochenende ging es los: Seit Freitag können sich Impfwillige in Moskau online registrieren, seit Samstag wird geimpft. In der russischen Hauptstadt sind 70 Impfzentren eingerichtet worden, weitere sollen folgen, für die erste flächendeckende Impfaktion gegen Covid-19 weltweit. Sie ist für Russen kostenlos – und freiwillig. Von dieser Woche an sollen Impfungen auch in anderen Teilen des Landes beginnen.
Zwei Millionen Dosen des russischen Vakzins Sputnik V seien verfügbar oder würden in den nächsten Tagen fertig, hatte Putin gesagt. Fünftausend Moskauer hätten sich innerhalb der ersten fünf Stunden für ihre Dosis angemeldet, berichtete Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin. Zuerst kommen Menschen an die Reihe, die im Job viel mit anderen in Kontakt kommen, Lehrer, Ärzte und anderes medizinische Personal, Sozialarbeiter.
Der Impfstoff heisst wie der Satellit – nicht ganz zufällig
Putin gab den Startschuss am Mittwoch nur Stunden nach der Nachricht, dass Grossbritannien das Mittel von Pfizer und Biontech zulassen werde. Es ist die erste Zulassung eines Impfstoffs im Westen, für die Briten soll er ab Dienstag verfügbar sein. Russland war nun also ein paar Tage schneller.
Wie wichtig dem Kreml dieser erste Platz ist, zeigt schon der Name des Vakzins: Sputnik hiess der erste Satellit im Weltraum, den die Sowjetunion 1957 zur Schmach der Amerikaner dorthin schoss. Beim russischen Impfstoff, den das staatliche Gamaleja-Institut in Moskau entwickelt hat, weckten Hast und ein Mangel an Transparenz aber auch von Anfang an Zweifel.
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Russland hat das Mittel bereits im August zugelassen, als ersten Impfstoff weltweit, woran Putin oft erinnert. Damals war die dritte Testphase zur Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs allerdings noch gar nicht abgeschlossen. Sie ist es bis heute nicht, obwohl bereits die Massenimpfungen beginnen.
40’000 Freiwillige nehmen an dieser dritten Testphase teil. Jeder erhält zwei Impfdosen, die zweite mindestens 21 Tage nach der ersten. Der neusten Analyse der Hersteller zufolge soll das Vakzin zu 95 Prozent wirksam sein. Nebenwirkungen wurden bei 15 Prozent der Probanden beobachtet, Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen.
2,5 Millionen Menschen haben sich in Russland infiziert
Bereits im September unterschrieben Wissenschaftler aus mehreren Ländern eine Erklärung, in der sie Bedenken über die russischen Daten äusserten. Ein Kritikpunkt war, dass das Gamaleja-Institut keine Rohdaten veröffentlicht hatte. Unter anderem erschien den Fachleuten merkwürdig, dass mehrere Studienteilnehmer den russischen Zahlen zufolge eine identische Konzentration an Antikörpern aufwiesen. Die russischen Forscher erklärten dies mit der Messmethode – und der recht kleinen Teilnehmergruppe.
Eine andere Sorge betrifft die Produktion. Putin hat zwei Millionen Impfungen versprochen. Die Onlinenachrichtenseite Meduza berichtet aber, dass zwar genug Mittel für die erste Spritze vorhanden sei, die Hersteller jedoch mit dem Mittel für die zweite nicht hinterherkämen. Beim G-20-Gipfel Ende November hatte Präsident Putin zudem versprochen, Russland werde seinen Impfstoff auch «Ländern in Not» zur Verfügung stellen.
Russlands Wettlauf um das Vakzin hat längst nicht nur aussenpolitische Gründe. Beinahe 2,5 Millionen Menschen in Russland haben sich angesteckt, allein am Sonntag kamen 29’000 Neuinfektionen dazu. Putin selbst ist übrigens noch nicht geimpft. Er werde warten, bis die Tests abgeschlossen seien, sagte sein Sprecher Ende November.
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