Belgisches Kolonialerbe im KongoRuhe vor dem Bildersturm
Während in Belgien Statuen von König Leopold II. abgebaut werden, blickt im Kongo das Abbild des Kolonialherrschers unbehelligt auf die Hauptstadt Kinshasa herab. Die Menschen hier haben andere Sorgen.
Man sieht Leopold II. nicht unbedingt an, dass er vor zehn Jahren noch einmal grundlegend renoviert wurde. Teile seines Bartes driften sehr ins Grünliche, auch sein Pferd hat eine eher ungesunde Farbe. Im Jahr 2010 hatte es die UNO-Mission in der Demokratischen Republik Kongo für eine gute Idee gehalten, den belgischen König ein wenig aufzufrischen, der Statue des Massenmörders einen Frühjahrsputz zu gönnen.
Fast ein wenig trotzig sehen sie aus, Pferd und Reiter, hoch oben in einem Park über Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Stehen dort unbehelligt, während in der ganzen Welt die Statuen und Gedenktafeln von Kolonialisten vom Sockel fallen, während in Belgien selbst viele Büsten und Denkmäler von Leopold II. zurückgebaut werden.
Es ist eine Entwicklung, die sich völlig abgekoppelt vom heutigen Kongo abspielt, dem Ort des Schreckens, den Leopold II. zwischen 1885 und 1908 zu seiner persönlichen Kolonie machte. Plantagenarbeitern wurden Arme und Beine abgehackt, wenn sie nicht spurten. Dennoch sitzt der bronzene König auf seinem Pferd und schaut über Kinshasa, und kaum jemanden scheint es zu stören. Nicht mal zum kürzlichen 60. Jahrestag der Unabhängigkeit wurden Ross und Reiter genannt, geschweige denn als unerwünscht erklärt.
Auch Mobutu beutete das Land aus
«Wenn sie in Belgien glauben, dass sie die Monumente zerstören müssen, nehmen wir das zur Kenntnis. Das ist eine belgische Angelegenheit, die uns nicht betrifft», sagt Isidore Ndaywel, einer der bekanntesten Historiker im Kongo. «Wir haben unsere eigenen Prioritäten im Moment.» Diese bestehen für Millionen Kongolesen jeden Tag darin, genug zum Essen zu verdienen. Die Unabhängigkeitsfeiern wurden abgesagt, um das Geld dem medizinischen Personal zu geben, das gerade Ebola besiegt hat und sich nun der Schlacht gegen Corona zuwendet.
Vielleicht hat man im Kongo manchmal auch einfach keine Lust mehr auf Dekolonialisierung, zumindest so eine, die nur an der Oberfläche kratzt, die ein paar Statuen umwirft und Strassen neu benennt. Hatte man ja alles schon mal.
Als sich fünf Jahre nach der Unabhängigkeit Joseph-Désiré Mobutu an die Macht putschte, änderte er seinen französischen Namen in Mobutu Sese-Seko und den des ganzen Landes in Zaire. Er trug eine Leopardenfellmütze und sprach von afrikanischer «Authenticité». Die sah dann so aus, dass er wie zuvor die Belgier das Land ausplünderte, sich einen riesigen Palast in den Dschungel bauen liess und eine Landebahn für die Concorde. Für die meisten normalen Kongolesen änderte sich wenig bis nichts.
Glencore unter Korruptionsverdacht
Dabei ist es letztlich bis heute geblieben. Eine kleine Elite bereichert sich mit tatkräftiger Unterstützung internationaler Konzerne an den Bodenschätzen des Landes: Tantal und Wolfram für Handys, Kobalt für Elektroautobatterien. Ohne den Kongo läuft fast nichts. Nur für den Kongo läuft es schlecht, weil sich seit der Kolonialzeit an der Form der Ausbeutung wenig geändert hat.
So steht auch der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore unter Korruptionsverdacht. Die Bundesanwaltschaft (BA) ermittelt gegen den Konzern. Beim Verfahren geht es um die Frage, ob Glencore genügend unternommen hat, um Korruption in der Demokratischen Republik Kongo zu verhindern. Die BA hat bereits im letzten Jahr ein Verfahren gegen unbekannt eröffnet – nun richtet sich eine zweite Untersuchung direkt gegen Glencore. Auch in den USA und Grossbritannien ermittelt die Justiz gegen den Konzern wegen Korruptionsverdachts.
Medien in Deutschland berichten von einem deutschen Unternehmen namens AJN Resources, das sich gerade unter dubiosen Umständen 13 Lizenzen gesichert habe, um Gold schürfen zu dürfen, mit einem geschätzten Wert von neun Milliarden Dollar. Dagegen regt sich Widerstand im Kongo, die Zivilgesellschaft protestiert.
Noch keine Entschuldigung des belgischen Königshauses
Es ist ein Protest, der die Bilderstürmer in Europa noch nicht wirklich erreicht hat. Der aber zumindest eines erreicht hat: eine Art schriftliche Zerknirschtheit des belgischen Königshauses, das sich bis heute nicht entschuldigt hat für die Verbrechen im Kongo. Immerhin schickte König Philippe dem kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit einen Brief mit dem «tiefsten Bedauern» über die Wunden der Vergangenheit: Damals seien «gewalttätige und grausame Taten begangen worden, die bis heute auf unserem gemeinsamen Gedächtnis» lasten.
Nach einer echten Entschuldigung klingt das nicht, aber für das belgische Königshaus ist schon dieses Bekenntnis ein grosser Schritt: Lange hatte man sich in Belgien nur zögerlich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt.
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