Rücktritte im Spitzensport«Einige verlieren ihre Identität»
Viele Sportlerinnen und Sportler fallen nach dem Rücktritt in ein Loch. Was sich dagegen tun lässt, sagt Weltklasse-Curlerin Alina Pätz, die das Projekt «Nachsport» von Swiss Olympic leitet.
- Der Rücktritt bedeutet für Sportlerinnen und Sportler einen grossen Einschnitt im Leben.
- 20 Prozent der zurückgetretenen Athletinnen und Athleten kämpfen mit Depressionen und Angststörungen.
- Swiss Olympic will die Athleten mit dem Projekt «Nachsport» auf diesen Schritt vorbereiten.
- Projektleiterin Alina Pätz gibt Tipps für den Übergang in die Nachkarriere.
Nach Olympia ist vor Olympia. Dieses Credo gilt gerade für Randsportarten. Die gesamte Planung wird auf den Grossanlass ausgerichtet, weshalb nach einem vierjährigen Olympia-Zyklus oftmals Karrieren zu Ende gehen. Diese Zäsur im Leben einer Sportlerin hinterlässt Spuren, nicht wenige fallen nach dem Rücktritt in ein Loch. Die an der Eidgenössischen Hochschule für Sport tätige Sportpsychologin Erika Ruchti hielt in einer SRF-Dokumentation fest, dass rund 20 Prozent der Athletinnen und Athleten nach dem Rücktritt gar mit Depressionen, Angststörungen und Suchtmittelkonsum zu kämpfen haben.
2023 rief Swiss Olympic das Projekt «Nachsport» ins Leben, das unter der Leitung der sechsfachen Curling-Weltmeisterin Alina Pätz Sportler beim Übergang in das Leben nach der Karriere unterstützt. Die 34-jährige Zürcherin spricht über …
… das Loch, das nach dem Karriereende droht:
«Einige sind über 20 Jahre oder länger aktiv. Sie werden als Sportler wahrgenommen, ihr ganzes Selbstvertrauen holen sie sich über den Sport. Fällt das von einem auf den anderen Tag weg, verlieren sie ihre Identität. Und je stärker diese Sportleridentität ist, desto schwerer fällt der Übergang ins Leben nach der Karriere und desto grösser ist die Gefahr, in ein Loch zu fallen. Viele Athleten müssen sich erst einmal neu orientieren und sich die Frage stellen: Wer bin ich und was kann ich überhaupt ausserhalb des Sports noch gut?»
… Schwierigkeiten, die Sportlerinnen und Sportler nach dem Rücktritt haben:
«Es gibt drei zentrale Themen: die Struktur im Alltag, das soziale Umfeld und die Entlastungsphase. Der Sport taktet den Alltag der Athletinnen über Jahre, manche trainieren bis zu 30 Stunden pro Woche. Ohne diese Struktur ist auf einmal viel Zeit vorhanden. Dann beginnen die Gedanken zu kreisen, und das sind nicht immer die besten Gedanken.
Die meisten Sportler sind zudem Tag für Tag von einem Team umgeben, sei es durch Mitspieler in der Kabine, durch den Trainerstab oder Trainingspartnerinnen. Das soziale Umfeld vieler Sportlerinnen beschränkt sich oft auf Personen im sportlichen Kontext. Manche verbringen sogar mehr Zeit mit ihrem Team als mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner. Das kann nach dem Rücktritt schwierig sein.
Nicht wenige Sportler machen sich zudem Druck, nach der Karriere gleich wieder durchstarten zu müssen. Aber es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen und herauszufinden, was man will. Bei manchen dauert das ein Jahr oder länger. Es lohnt sich nicht, einen Schnellschuss zu machen und dann in einem Beruf zu landen, der einem nicht gefällt.»
… die Rolle von Swiss Olympic:
«Swiss Olympic will die Athletinnen auf ihrem ganzen Karriereweg begleiten. Wir bieten ihnen im Rahmen des Athlete Hubs eine Reihe an Unterstützungsleistungen. Eine davon ist die kostenlose Laufbahnberatung. Das Ziel ist, dass sich schon aktive Spitzensportler ihrer unterschiedlichen Optionen während und nach der Karriere bewusst sind. Das bezieht sich auf das Umfeldmanagement, die akademische Ausbildung oder auch die berufliche Karriere neben dem Sport. Wir empfehlen den Athletinnen, diese Laufbahnberatung schon früh in Anspruch zu nehmen. Sie kann helfen, die kritischen Übergänge (Übertritt von Schule ins Studium, Eintritt in die Berufswelt, Rücktritt) besser zu meistern und sich präventiv auf allfällige Herausforderungen vorzubereiten.
Swiss Olympic arbeitet zudem mit dem Athletes Network zusammen, das unter anderem vom ehemaligen Spitzenfussballer Benjamin Huggel gegründet wurde. Dieses hilft Athleten, eine Teilzeitstelle zu finden, und generell Sportlerinnen nach dem Rücktritt, sich neu zu orientieren. Über dieses Projekt konnten wir schon mehrere Dutzend Athletinnen und Athleten an einen Arbeitgeber vermitteln.»
… Tipps, die Sie für Athletinnen und Athleten hat:
«Je früher sie sich mit dem Thema Nachkarriere befassen, desto besser. Sie sollen sich in der Off-Season doch einmal Zeit nehmen und sich damit auseinandersetzen, was sie nach dem Sport tun könnten, wo ihre Stärken und Interessen liegen. Dies hilft im Hinblick auf die Zeit nach dem Rücktritt, gibt aber auch schon in der aktiven Karriere eine gewisse Gelassenheit. Im Idealfall machen die Sportlerinnen bereits in jener Phase eine Ausbildung, etwa mittels Studium oder Fernstudium. Aber das passt nicht für alle. Doch wieso nicht einmal in einen Beruf hineinschnuppern, wenn man ein paar Tage Zeit hat?
Die fehlende Berufserfahrung ist im Bewerbungsprozess eine Herausforderung. Allerdings erlangen Sportlerinnen während ihrer aktiven Karriere Skills, die sie im Bewerbungsprozess zeigen sollten. Auch hier kann der Athlete Hub helfen, diese Skills hervorzuheben und sichtbar zu machen. Ein Captain im Fussball, der weiss, wie man ein Team führt, oder ein Stratege in einer Sportart – das sind alles Fähigkeiten, die im Berufsleben auch gefragt sind.»
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