Cybathlon in KlotenWenn ein Roboterarm die Spülmaschine ausräumt
Treppen steigen, Zähne putzen oder eine Tür öffnen: Für Menschen mit Behinderungen eine Herausforderung. Roboter oder Prothesen sollen ihnen dabei helfen. Am Cybathlon werden die neuen Technologien auf die Probe gestellt.
- Beim Cybathlon in Kloten messen sich querschnittgelähmte Athlet*innen in einem Radrennen.
- Fritz Eichholzer aus Thalwil steuert einen Assistenz-Roboter per Sprachbefehl.
- Der Cybathlon zeigt technologische Fortschritte für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Im Stadion Schluefweg, wo gewöhnlich der EHC Kloten spielt, sitzen auf drei Podesten drei Wettkämpfer auf einer Art Liegevelos. Einer stammt aus Italien, einer aus Österreich, einer aus Ungarn. Auf einer Grossleinwand zugeschaltet ist eine Frau aus Seoul, die in Südkorea zeitgleich auf einem Fahrrad sitzt.
Sie sollen ein Radrennen gegeneinander bestreiten. Es dauert acht Minuten, und wer in dieser Zeit 1960 Meter schafft, bekommt 100 Punkte.
Aussergewöhnlich daran ist, dass alle drei Athleten und die Athletin querschnittgelähmt sind. Darum sind sie massiv verkabelt und mit Computern verbunden. Diese stimulieren die Beinmuskeln mit Impulsen, sodass die vier selber fahren können. Radrennen mit elektrischer Muskelstimulation nennt sich dieser Wettbewerb.
Die Speakerin eröffnet das Rennen, und alle beginnen zu strampeln. Die Zuschauenden schauen gebannt zu, Schülerinnen kreischen. Der Österreicher Nikolaus Tellian tritt mächtig in die Pedalen und fordert das Publikum zum Klatschen auf. Bald darauf übernimmt der Italiener Andrea Gatti die Führung, wie auf der Grossleinwand zu sehen ist.
Etwas Mühe bekundet die Fahrerin in Korea, sie muss immer wieder mit ihren Händen nachhelfen, damit die Beine die Pedalbewegungen vollenden. Nach acht Minuten steht der Sieg des Italieners fest. Andrea Gatti strahlt, die Forschenden in seinem Team klopfen ihm auf die Schultern.
80 Forscherteams, 11 davon aus der Schweiz
Cybathlon nennt sich diese aussergewöhnliche Meisterschaft. Organisiert wird sie bereits zum dritten Mal von der ETH Zürich.
Insgesamt treten 80 Forscherteams aus der ganzen Welt gegeneinander an und testen, wie konkurrenzfähig die Assistenztechnologien sind, die sie entwickelt haben. Sie sollen körperlich beeinträchtigten Menschen bei alltäglichen Tätigkeiten helfen: Treppen steigen, Zähne putzen, eine Tür öffnen oder die Spülmaschine ausräumen.
Sehr gut vertreten sind die Forscherteams aus der Schweiz. Sie stellen 11 der 80 Teams, 5 sind von der ETH selber.
Insgesamt findet der Wettkampf in acht Disziplinen statt, neben dem Radfahren mit Muskelstimulation sind das Arm- und Beinprothesenrennen und sogar ein Wettkampf, bei dem Schwerbehinderte einen Roboter mit Gedankenübertragung steuern können.
Tetraplegiker setzt grosse Hoffnung in die Technologie
Beim Assistenzroboter-Rennen ist an diesem Tag erstmals ein Schweizer Team am Start, von der Berner Fachhochschule. Wettkämpfer für sie ist Fritz Eichholzer aus Thalwil.
Er ist 69-jährig, war einst Personaldirektor bei einer grossen Heizungsfirma und ist kurz vor seiner Pensionierung schwer mit dem Fahrrad verunglückt. Heute ist er bis zum Hals gelähmt. Weil auch die Atmung betroffen ist, musste ihm ein Zwerchfellstimulator eingebaut werden. «Ich hatte ein Riesenglück, die meisten hätten diesen Unfall nicht überlebt», sagt Eichholzer nach dem Rennen.
Den Rollstuhl steuert er mit dem Kinn durch den Parcours, den weissen Roboterarm dirigiert er per Sprachbefehle und mit einem Bildschirm. Seit über zwei Jahren arbeitet Eichholzer für dieses Forscherteam und ist zum Üben für den Cybathlon mehrfach nach Bern gefahren.
Im Wettkampf muss er mit dem Roboterarm einen Parcours mit zehn Aufgaben je zweimal absolvieren: ein Paket aus einem Briefkasten nehmen, einen Apfel und eine Zahnbürste greifen und zum Mund führen, eine Spülmaschine ausräumen, Wäsche aufhängen oder an einem Bildschirm mit dem Roboterfinger einen Code eingeben.
Im ersten Lauf gelingt Eichholzer nicht alles nach Wunsch, im zweiten Lauf geht es schon besser und er wird hinter einem Deutschen immerhin zweiter.
Daheim braucht Eichholzer den Roboterarm nicht. Dazu müsse die Technologie noch verfeinert werden.
Seine Arbeit mit den Forschenden ist für ihn aber sehr wichtig und hilft ihm, den Lebensmut nicht zu verlieren: «Meine letzten 6 Jahre waren gut, einfach nicht so, wie ich sie geplant habe.»
Eichholzer setzt grosse Erwartungen in die technologische Entwicklung und hofft, dass der Roboterarm bald alltagstauglich ist. Bis es so weit ist, hat er zu Hause menschliche Hilfe – vor allem von seiner Frau, aber auch von acht weiteren Personen, die ihm im Alltag assistieren. Und seine Freunde holen ihn regelmässig ab, auf den Fussballplatz oder zum Jassen.
Unterdessen ist in der Klotener Arena das Beinprothesenrennen im Gang. Auch hier ist ein Italiener top. Im zweiten Lauf hat er seinen Parcours gar ohne Fehler absolviert. Beim Balancieren und beim präzisen Gehen hat der Taiwanese etwas mehr Mühe. Er braucht allerdings nicht nur eine Unterschenkelprothese wie der Italiener, sondern ein ganzes künstliches Skelett.
Später am Tag folgen die Vorläufe in den übrigen Wettbewerben. Sehassistenz-Technologien, werden da geprüft, Rollstühle mit Raupen und Exoskelette. Der Cybathlon dauert bis zum Sonntag, dann werden in den Finals die Sieger erkoren.
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