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Gerichtsprozess
Mutter soll Sohn zu Reichsbürger entführt haben

Sicht in den Gerischtssaal des Amthaus 1, das Obergericht des Kantons Solothurn, am Mittwoch, 11. Oktober 2017, in Solothurn. (KEYSTONE/Peter Schneider)
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In Kürze:
  • Lina Bauer brachte ihren Sohn nach Deutschland zu einem mutmasslichen Rechtsterroristen.
  • Bauer und ihre mutmasslichen Komplizinnen stehen wegen Entführung vor Gericht.
  • Hintergrund ist eine Verschwörungserzählung.
  • Die Staatsanwaltschaft fordert bedingte Freiheitsstrafen für alle Beteiligten.

Eine Frau sitzt mit ihrem fünfjährigen Sohn im Auto. Ihre Wohnung in Arlesheim hat sie so vorbereitet, dass die Polizei sie und ihren Sohn möglichst nicht findet. Die Festplatte ihres Computers hat sie herausgerissen, niemand soll ihren Browserverlauf oder ihre verschickten Nachrichten kennen.

Sie weiss, dass die Polizei früher oder später ihre Wohnung durchsuchen wird, sie hat den Beamten dort eine Nachricht hinterlassen. Ein Konto in der Schweiz hat sie nicht mehr, nur noch eines in Belgien. Die Miete für ihre Wohnung hat sie schon letzten Monat nicht mehr bezahlt, sie braucht das Geld für anderes. Für ihr neues Leben.

Es ist Anfang Oktober 2021, die Herbstferien haben gerade erst begonnen. Vor wenigen Wochen hat Lina Bauer (Name geändert) die Obhut des gemeinsamen Sohns Noah (Name geändert) an den Kindsvater abgeben müssen. Der Kindsvater – so ist Bauer überzeugt – hat ihren Sohn sexuell missbraucht. Die Justiz wird deswegen gegen ihn ermitteln – und das Verfahren einstellen, weil sich die Vorwürfe rasch als haltlos herausstellen.

Ikone der QAnon-Szene

Doch der Justiz ist sowieso nicht zu trauen, weiss Bauer. Sie weiss das auch aus den Erfahrungen ihrer neuen Bekanntschaft Angela Welti (Name geändert). Welti ist die Mutter von Nathalie (Name geändert) und eine Ikone der deutschsprachigen Verschwörungserzählungs-Szene. Das vermeintliche Martyrium des Mädchens, das ebenfalls durch den eigenen Vater missbraucht und von ihm halb tot geprügelt worden sein soll oder satanistische Babyopfermessen hätte miterleben müssen, für all das gibt es keinerlei Beweise, und das Verfahren gegen den Vater wurde eingestellt, wabert seit Jahren durch einschlägige Telegramchats.

Dass es keine Beweise gegen die beiden Väter gibt, beruhigt die beiden Frauen nicht. Insbesondere Welti ist davon überzeugt, dass der Staat – in ihren Kreisen spricht man vom «deep state» – die satanistischen Eliten deckt, die massenhaft Kinder missbrauchen und deren Blut trinken, um jung zu bleiben.

Darum nehmen die beiden Frauen das Schicksal ihrer Kinder selbst in die Hand. Im Fall von Bauer heisst das, dass sie gemäss Darstellung der Staatsanwaltschaft ihren Sohn nach Deutschland bringt und sich dort mit ihm versteckt, statt ihn nach einer Woche Herbstferien wieder zum Vater zu bringen. Bauer und Welti treten die Reise gemeinsam an, mit dabei ist auch Weltis Bruder, ein einflussreicher Exponent der anthroposophischen Szene.

Krätze und Staatsputsch

Die Reise führt nach Eppenschlag, ein Dorf in Bayern, nahe der tschechischen Grenze. Dort lebt Maximilian Eder, und bei ihm kommen Lina und Noah Bauer unter. Die hygienischen Zustände sind katastrophal, Noah bekommt die Krätze und Warzen. Bauer, die sich in der Schweiz weigerte, eine Schutzmaske gegen Covid-19 zu tragen, kombiniert diese nun mit einer Perücke, wenn sie das Haus verlässt. Nach ihr wird international gefahndet.

21.05.2024, Hessen, Frankfurt/Main: Nach dem Ende des ersten Verhandlungstages gegen die mutmaßliche «Reichsbürger» - Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß wird der Angeklagte Maximilian Eder (2.v.r) von Polizisten aus dem Gerichtsgebäude geführt. Die Bundesanwaltschaft legt den insgesamt neun Angeklagten unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last. Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Boris Roessler)

Eder ist Reichsbürger, über den «deep state» und andere Elemente der QAnon-Bewegung ist er bestens informiert. Er soll nun das machen, was der Staat nicht tat: Beweise liefern, dass Noah durch den eigenen Vater und satanistische Elitezirkel missbraucht wurde. Es wird ihm natürlich nicht gelingen.

Im Dezember 2022 erlässt die deutsche Generalbundesanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Eder. Als Teil der rechtsterroristischen «Patriotischen Union» soll er gemeinsam mit anderen Reichsbürgern geplant haben, die deutsche Regierung zu stürzen. Nathalie und Noah sind für ihn ein Instrument, mit dem er die deutsche Bevölkerung aufrütteln und vom «deep state» überzeugen will.

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Polizei bringt Noah zum Vater zurück

Weil eine weitere Komplizin von Bauer und Welti in der Schweiz einknickt, kommt es schlussendlich am 16. November 2021 zum Zugriff der Polizei, Noah wird zu seinem Vater zurückgebracht.

Am Dienstag begann vor dem Richteramt Dorneck-Thierstein der Prozess gegen Bauer, Welti und ihre Komplizin. Die Justiz wirft ihnen unter anderem die Entführung von Noah beziehungsweise die Gehilfenschaft dazu vor.

Bauer, 43, deutsche Staatsangehörige, arbeitslos, mit Béret und Plüschstift, versuchte, sich vor Gericht in erster Linie selbst als Opfer zu inszenieren. Als der Staatsanwalt davon sprach, dass er doch meine, ein wenig Reue bei ihr zu spüren, lachte sie. Die Staatsanwaltschaft fordert für sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 17 Monaten sowie eine Geldstrafe. Auf einen Landesverweis sei zu verzichten.

Welti, 46, Schweizerin, Musikerin, glänzte vor Gericht durch Abwesenheit. Während sie im Gerichtsgebäude auf ihre Befragung wartete, sei sie kollabiert und gemäss Arztzeugnis nicht in der Lage, am Prozess teilzunehmen. Für sie fordert die Staatsanwaltschaft eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Welti sei zentral gewesen, betonte der Staatsanwalt. Ohne sie hätte es den Kontakt zwischen Bauer und Eder nicht gegeben. Sie sei es gewesen, die die anderen beiden Frauen tiefer in den Verschwörungsglauben manipuliert und zu konspirativen Verhalten angeleitet habe. Reue zeige sie keine.

Für die zweite mutmassliche Komplizin wurde eine bedingte Freiheitsstrafe von 7 Monaten sowie eine Geldstrafe gefordert. Das Gericht wird sein Urteil am 8. November bekannt gegeben. Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.