Proteste gegen Assad«Sie träumen davon, dass das Regime fällt»
In Teilen Syriens protestieren die Menschen auf der Strasse gegen das Regime von Bashar al-Assad – so wie 2011. Doch es gibt eine Bewegung, die einen Ausweg bieten möchte.
Poster des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad werden zerstört, Demonstranten fordern in diesen Tagen das Ende des Regimes: Die Bilder der vergangenen Tage aus Syriens Süden erinnern an das Jahr 2011. Damals zog das syrische Volk auf die Strassen, um gegen Assad und für ein freies Syrien zu demonstrieren; der Machthaber reagierte mit Gewalt und stürzte das Land in einen Bürgerkrieg. Zwölf Jahre später greift die Korruption um sich und die Wirtschaftslage ist desolat. 90 Prozent der syrischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Seit Anfang August demonstrieren die Menschen in Suwaida. Da hatte die Regierung entschieden, die Subventionen für Gas und Benzin zu streichen. Mittlerweile fordern die Menschen aber mehr als wirtschaftliche Lösungen: Die Umsetzung der UNO-Resolution 2245 etwa, die einen Waffenstillstand und eine politische Transformation für Syrien vorsieht.
Eine Studentin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, ist unter ihnen. Sie sagt dieser Redaktion, das Leben im Land sei aufgrund der «Brutalität des syrischen Regimes und dessen Unwillen, die Macht abzugeben» sehr schwierig geworden. Nicht nur in Suwaida rumort es, auch aus anderen Regionen hört man von Protesten. Aus Daraa etwa, der benachbarten Provinzhauptstadt. Und auch in der Küstenregion in den Städten Tartus und Latakia, den alawitisch geprägten Hochburgen des Regimes. Die Unterstützer Assads sind enttäuscht, denn auch sie leiden unter den Kriegsfolgen.
Russland und Iran lassen Assad nicht fallen
«Sie träumen davon, dass das Regime fällt», sagt der Syrienexperte Fabrice Balanche. Doch das werde nicht geschehen. Zwar sei Assad inzwischen ein machtloser Führer ohne finanzielle Mittel, aber er wird gestützt von Russland und dem Iran und die, sagt Balanche, «werden Assad-Syrien nicht fallen lassen». Bislang hat das Regime nichts gegen die Demonstrationen unternommen. Es steht vor einer politischen Pattsituation: Lässt Assad die Proteste gewähren, könnte er riskieren, dass sie sich in die von ihm kontrollierten Gebiete ausweiten. Reagiert er gewaltsam, könnte er seine Normalisierungspolitik gefährden.
Im Mai hatte die Liga der Arabischen Staaten entschieden, Assad wieder zurück auf das politische Parkett und aus der internationalen Isolation zu holen. Daraus resultiert ist bisher wenig. Vor allem Saudiarabien hatte sich erhofft, dass Assad mehr unternehmen würde, um den Handel mit der Droge Captagon zu unterbinden. Das hochgradig süchtig machende Aufputschmittel schwemmt den illegalen Markt in der Region. Doch Assad ist mittlerweile auf die Einkünfte aus dem Drogenhandel angewiesen.
Friedensgespräche stehen still
Seit Jahren befindet sich Syrien in einem politischen Stillstand: Die Genfer Friedensgespräche zwischen Vertretern des syrischen Präsidenten und der Opposition im Ausland unter dem Dach der UNO stehen still. Von den europäischen Staaten und dem Westen wird der Machthaber weiter gemieden. Syrien ist fragmentiert; das Regime kontrolliert inzwischen wieder zwei Drittel des Landes. Eine politische Lösung für den eingefrorenen Konflikt ist nicht in Sicht.
«Das syrische Regime ist bislang nicht gefallen – das ist die politische Realität.»
Bei all den Unruhen gibt es aber auch Bewegungen, die pragmatisch denken und nach einem Ausweg aus der eingefahrenen Situation suchen. «Das syrische Regime ist bislang nicht gefallen – das ist die politische Realität», sagt der in Berlin lebende Verfassungsrechtler Naseef Naeem. Er gehört dem Rat der syrischen Charta an. Dieser trifft sich regelmässig an geheim gehaltenen Orten in Europa. In Berlin darf diese Redaktion exklusiv daran teilnehmen. Der Initiative gehören Syrer aus der Diaspora, aber auch Persönlichkeiten aus den vom Regime kontrollierten Gebieten an.
Manche sind mit einflussreichen Mitgliedern des Machtapparats verwandt und haben sich nie direkt gegen die Regierung erhoben. Gemeinsam haben sie einen Elf-Punkte-Plan entworfen, den die Gruppe Ende 2018 unterzeichnete. Es sei ein «Gesellschaftsvertrag für alle Syrer», sagt Naeem, der die Gespräche der Gruppe moderiert. Was daraus in den Präsidentenpalast in Damaskus getragen wird, kann niemand sagen. Doch die Initiative ist sich darüber im Klaren: Ganz unbeobachtet finden ihre Aktivitäten nicht statt. Direkte Gespräche mit Assad gibt es nicht. Über familiäre und informelle Verbindungen soll ihre Charta den Weg in die syrische Politik finden.
Elf-Punkte-Plan liegt bereit
Safi Alaedin lebt in Deutschland und ist Teil der Initiative. Er stammt aus Suwaida, also aus dem Ort, in dem es derzeit zu Unruhen kommt. «Das Schlimme ist, dass die Menschen dort keine Hoffnung mehr haben.» Seine Heimatprovinz, der überwiegend Menschen mit dem drusischen Glauben angehören, blieb in den Händen der Regierung und wurde weitgehend von der Gewalt verschont.
Nach Medienberichten ist die drusische Führung mit Blick auf die Proteste gespalten. Einige Scheichs kritisieren die Forderungen der Demonstranten nach einem Rücktritt Assads und erklärten, eine Verbesserung der Lage müsse durch Dialog erreicht werden.
Eine Grundlage für einen solchen könnte der Elf-Punkte-Plan des Rats bieten. «Niemand hat bei diesem Krieg gewonnen. Das syrische Volk hat alles verloren», sagt Naeem und zitiert einen der elf Punkte aus dem Vertrag. Zwar besitzt die Initiative keine Macht qua Amtes, doch die Initiative wird aus Europa gefördert.
«Das Land ist voller militanter Gruppierungen, die vom Iran und von Russland unterstützt werden.»
Führende Nahost-Experten unterstützen die Arbeit. Am letzten Tag der Konferenz lässt sich erahnen, wie interessant die Gruppe für einen Dialog mit dem Westen zu sein scheint. Gleich mehrere mit Syrien beauftragte westliche Diplomaten finden sich bei dem Treffen ein. Zwei Stunden lang reden sie, was besprochen wird, dringt nicht nach aussen. Die Hoffnung ist jedenfalls: Wenn die internationale Gemeinschaft keine politische Lösungen für ein Syrien unter Assad hat, könnten zivilgesellschaftliche Bestrebungen wie diese vielleicht einen Gesprächsfaden mit der syrischen Gesellschaft bilden.
Doch nicht alle sind davon überzeugt. Denn die Zivilgesellschaft, von der in der Initiative die Rede ist, sei laut Syrienexperte Fabrice Balanche extrem geschwächt und existiere quasi nicht mehr. «Das Land ist voller militanter Gruppierungen, die vom Iran und von Russland unterstützt werden: Sie regieren die Zivilgesellschaft.»
Balanche sagt, dass es mittlerweile viele Menschen in Syrien gebe, die gegen das Regime seien – auch in Assads Hochburgen. Doch dort erinnere man sich an die Repressalien des Präsidenten. Davor fürchtet sich auch die Studentin aus Suwaida. Trotzdem protestiert sie weiter. Ähnlich wie die Gruppe in Berlin träumt auch sie von der Einheit des syrischen Volkes.
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