Pro und KontraBraucht es einen Menstruationsurlaub?
Bei starken Regelschmerzen können Angestellte der Städte Freiburg und Yverdon bezahlten Urlaub nehmen. Zürich denkt darüber nach. Der Vorschlag polarisiert – auch in unserer Redaktion.

Ja. Die Menstruation darf kein Tabu sein.
Wer unter Schmerzen während der Menstruation leidet, soll bis zu fünf Tage Urlaub erhalten. Dafür hat sich das Zürcher Stadtparlament ausgesprochen.
Menstruationsurlaub ist nicht gerade ein präziser Begriff. Es heisst ja auch nicht Grippeurlaub oder Migräneurlaub. Oder Depressionsurlaub.
Es geht nicht um Urlaub, sondern um Arbeitsunfähigkeit aufgrund von starken Schmerzen während der Periode. Der Einwand: Man kann sich heute schon krankschreiben lassen. Das stimmt. Doch nur die wenigsten Betroffenen bitten um eine Krankschreibung. Sie schlucken Schmerzmittel und halten die Qualen aus. Auch wenn sie Bauchkrämpfe, Kopf- und Rückenschmerzen haben und teilweise erbrechen müssen.
Die Menstruation ist noch immer ein Tabu. In der Antike galten Frauen als unrein, wenn sie ihre Regel hatten. Im Alten Testament wird empfohlen, sich von menstruierenden Frauen während sieben Tagen fernzuhalten. Noch heute verstecken Frauen den Tampon in der Hand, wenn sie auf die Toilette gehen.
Ein anderer Einwand lautet: Der Menstruationsurlaub pathologisiert das Frausein und ist ein Rückschritt im Kampf für Gleichberechtigung.
Das stimmt nicht. Es geht nicht darum, Frauen Vorteile gegenüber Männern zu verschaffen. Es geht darum, es Betroffenen leichter zu machen, sich arbeitsunfähig zu melden, wenn sie das tatsächlich sind. Es geht darum, weiblichen Realitäten Rechnung zu tragen. Hätten Männer die Periode, hätten wir längst eine Mens-Dispens.
Es ist bekannt, dass die allgemeine Medizin und insbesondere die Gynäkologie über lange Zeit eine Männerdomäne waren. Das hat Spuren hinterlassen. Das sagte kürzlich auch Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie in Berlin, gegenüber dieser Zeitung. Noch immer gebe es in der Frauenheilkunde grosse Wissenslücken, weil die Studien- und die Datenlage unzureichend seien.
Missbrauch ist nicht zu befürchten
Ein dritter Einwand: Wenn alle Frauen fünf Tage pro Monat ausfallen, ist das schädlich für die Wirtschaft, gerade in Zeiten von Fachkräftemangel.
Auch das stimmt nicht. Nur jede fünfte Frau leidet unter starken Regelschmerzen, sodass sie ihre Arbeit und ihren Alltag für ein bis fünf Tage nicht bewältigen kann. Arbeitgeber müssen mit krankheitsbedingten Ausfällen umgehen können. Auch ein Missbrauch ist nicht zu befürchten, weil Arbeitnehmende bereits heute geschützt sind und nicht sagen müssen, wegen welcher Krankheit sie fehlen.
Das bedeutet: Die Zahl der Absenzen würde wohl gleich bleiben wie heute. Verändern könnte sich aber der Umgang mit weiblichen Realitäten. Wie die neue Befragung zeigt, wünschen sich 86 Prozent der betroffenen Befragten, dass am Arbeitsplatz offen über das Thema gesprochen werden kann.
Die grosse Frage ist: Würden Betroffene den Vorgesetzten ihre Mens-Beschwerden als Abwesenheitsgrund angeben? Oder würden sie sich weiterhin – auch bei einem entsprechenden Gesetz – lediglich krankmelden?
In Spanien etwa, wo der Menstruationsurlaub bereits in Kraft ist, wird das Recht kaum genutzt. Scham dürfte dabei eine grosse Rolle spielen. Vielleicht hilft dereinst die Stadt Zürich mit dem Menstruationsurlaub, dieses Tabu etwas aufzuweichen.
Nein. Das verstärkt bestehende Vorurteile.
Vor wenigen Tagen war es wieder so weit: Kurz nach Mitternacht kauerte ich auf dem Badezimmerboden, die Wärmeflasche fest an meinen Unterleib gedrückt. Und wartete. Doch selbst ein Gramm Schmerzmittel konnte nichts gegen die schubartigen Krämpfe ausrichten. Erst mit der Morgendämmerung setzte endlich auch Entspannung in meinem Körper ein. Gerade rechtzeitig für die Arbeit.
Warum erzähle ich das? Weil nicht nur ich, sondern über 80 Prozent der menstruierenden Personen während ihrer Periode an irgendeiner Art von Schmerzen leiden. Und trotzdem wird kaum darüber gesprochen.
Die Betroffenen schämen sich dafür, die Unwissenden ekeln sich davor. Das muss sich ändern! Ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für starke Mensbeschwerden tut not. Aber: Ein Menstruationsurlaub ist keine Lösung für dieses Problem – im Gegenteil.
Denn, so traurig es ist: Wenn menstruierenden Personen zusätzliche freie Tage zugestanden werden, liefert das den Arbeitgebern leider ein weiteres Argument, weniger von uns einzustellen. Warum eine Person auswählen, die möglicherweise bis zu 60 Tage im Jahr fehlt?
Es ist Fakt, dass Personen mit Kindern bei Bewerbungsprozessen benachteiligt werden. Diesen Effekt könnte auch ein Menstruationsurlaub haben. Statt Verständnis zu schaffen, würden bestehende Vorurteile gestärkt.
Brauchen wir auch einen Migräne-Urlaub?
Und apropos Diskriminierung: Es gibt sehr viele unterschiedliche Arten chronischer Schmerzen, die Personen vom Arbeiten abhalten können. In der Schweiz leben schätzungsweise etwa eine Million Migränepatienten. Was ist mit ihnen? Sollten sie nicht auch eine Spezial-Dispens erhalten? Und was ist mit Personen, die in der Meno- oder der Andropause stecken?
Fakt ist ausserdem: Jeder Mensch empfindet Schmerzen anders. Und wer sich nicht in der Lage fühlt, zu arbeiten, muss das auch nicht. Erst wenn man mehr als drei Tage fehlt, muss man ein Arztzeugnis einholen. Laut Arbeitsrecht ist ausserdem niemand verpflichtet, dem Arbeitgeber die Art der Schmerzen mitzuteilen. Beim Menstruationsurlaub wäre dies anders.
Wie wenig ein solches Gesetz den menstruierenden Personen bringt, zeigt sich in Japan. Dort ist der Menstruationsurlaub seit über 70 Jahren gesetzlich verankert. Die freien Tage werden aber offenbar kaum genutzt. In einer Umfrage des «Guardian» vor einigen Jahren gab ein Grossteil der Befragten denn auch an, Mühe damit zu haben, der vorgesetzten Person beziehungsweise dem Team zu offenbaren, an welchem Tag man seine Regel hat. Das ist verständlich, verliert man dadurch doch in gewisser Weise ein Stück weit auch die Kontrolle über den eigenen Körper.
Die Periode muss aus der Schmuddelecke geholt werden. Aber eine Spezialbehandlung ist dafür der falsche Weg.
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