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Vorwurf des sexuellen Missbrauchs
Prinz Andrew einigt sich mit Klägerin Giuffre 

Konnte sich aussergerichtlich einigen: Prinz Andrew. (Archivbild) 
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In gut drei Wochen hätte Prinz Andrew, Nummer neun der britischen Thronfolge, einen Termin gehabt, dem mindestens die britischen Boulevardmedien mit einer gewissen Aufregung entgegenfieberten. Die Anwälte von Virginia Giuffre, die Andrew beschuldigt, sie in jungen Jahren missbraucht zu haben, würden Andrew zwingen, am 10. März in London unter Eid auszusagen, so war es erst vor ein paar Tagen berichtet worden, ehe dann im Herbst in New York der Prozess stattfinden soll.

Ein Mitglied der königlichen Familie, unter Eid, vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Sexualstraftäter blossgestellt? Unvorstellbar, natürlich, weshalb es auch die britischen Boulevardmedien nicht wirklich überrascht haben dürfte, was am Dienstagabend passierte.

Spende an Opferorganisation

Die Anwälte beider Seiten veröffentlichten ein gemeinsames Statement, in dem sie bekannt gaben, sich aussergerichtlich geeinigt zu haben. Der Buckingham Palast wollte den Vorgang am Dienstagabend nicht kommentieren, aber man darf annehmen, dass die Queen den Umständen entsprechend erleichtert sein dürfte. Es wird keinen Prozess gegen ihren zweitältesten Sohn geben.

«Dear Judge Kaplan», so beginnt das Schreiben der Kanzlei des Amerikaners David Boies, das am Dienstag an den New Yorker Richter Lewis A. Kaplan verschickt wurde. Boies, der Anwalt von Virginia Giuffre, bitte darum, den Fall innerhalb von 30 Tagen zu schliessen, weil beide Seiten ein «grundsätzliches Übereinkommen» getroffen hätten. Im angefügten Dokument heisst es, Andrew werde eine «nennenswerte Spende» an ihre Stiftung zugunsten von Missbrauchsopfern überweisen, zur Höhe der Summe schweigen beide Parteien. Andrew habe «nie vorgehabt, Giuffres Charakter zu verleumden», ausserdem akzeptiere er, «dass sie als Missbrauchsopfer und als Opfer unfairer Angriffe aus der Öffentlichkeit gelitten hat».

Virginia Giuffre (38) hat in Fernsehinterviews schon mehrfach erzählt, wie sie in die Fänge des 2019 verstorbenen Jeffrey Epstein geriet. Wie sie von ihm vergewaltigt wurde, aber auch von anderen, und wie sie, auch unter Mithilfe von Epsteins inzwischen verurteilter Gehilfin Ghislaine Maxwell, an andere Männer weitergegeben wurde – auch an Andrew, den britischen Prinzen. Andrew bestritt die Vorwürfe stets, zwischendurch bestritt er gar, Epstein näher gekannt zu haben. In der Mitteilung heisst es nun, Andrew «bereut seine Verbindung mit Epstein», er «lobt den Mut von Mrs. Giuffre und anderen, die für sich selbst und andere aufstehen», und werde sie im Kampf gegen sexuelle Ausbeutung künftig unterstützen. Manches in der Mitteilung klingt fast ein wenig zynisch, wenn man bedenkt, was die US-Amerikanerin ihm vorwirft.

Vor einem Jahr hat Giuffre, die früher Roberts hiess, vor einem New Yorker Zivilgericht gegen Andrew geklagt, wegen, wie das juristisch heisst, «sexueller Nötigung» in drei Fällen, als sie noch keine 18 war. Eine aussergerichtliche Einigung schlossen ihre Anwälte damals aus, Giuffre sei entschlossen, Andrew vor Gericht zu bringen. Bei früheren aussergerichtlichen Einigungen mit Andrew und Maxwell hatte sie bereits Geld bekommen, die Rede ist von einer halben Million Dollar.

Was nun zum Umdenken geführt hat, ist Bestandteil ausführlicher Spekulationen. Opfervertreter jedenfalls lobten Giuffre auf Twitter am Dienstagabend dafür, dass sie es zumindest versuchte. Und sich mit Mächten anlegte, die sich letztlich doch als zu stark erwiesen.

Juristisch betrachtet befreit die Einigung Andrew von allen Vorwürfen, sein Ruf aber dürfte damit kaum wiederhergestellt sein. David Boies, der Anwalt Giuffres, sagte der Nachrichtenagentur PA am Dienstag: «Ich glaube, dieser Vorgang spricht für sich selbst.» Sigrid McCrawley, eine Anwältin in Boies' Kanzlei, sagte, man sei «sehr zufrieden mit der Klärung des Rechtsstreites». Mehrere Abgeordnete des britischen Parlaments wiederum stellten sogleich die Frage, woher denn das Geld komme, das Andrew nun an Giuffres Stiftung spende. Der Palast allerdings hatte bereits vor einiger Zeit verkündet, Andrew müsse in dem Fall als Privatperson agieren – also auch ohne finanzielle Unterstützung des von Steuergeldern getragenen Königshauses.

Die Queen hat Andrew nahezu alle Titel und Ehren entzogen.

Die Queen hatte Andrew vor Kurzem nahezu alle Titel und Ehren entzogen, als Repräsentant der Familie wird der 61-Jährige nie wieder auftreten. Er lebt gemeinsam mit seiner Ex-Frau Sarah Ferguson in der Royal Lodge im Windsor Great Park, einer Villa mit 30 Zimmern und Pool. Seit Andrew seine Titel verlor, stehen die meiste Zeit Kameraleute vor dem Tor zum Park.

Nicht nur Andrew, sondern auch Virginia Giuffre, die mit ihrer Familie in Australien lebt, bleibt durch die Einigung nun etwas erspart, auf das sich gut verzichten lässt: ein Prozess voller unangenehmer Details, über den weltweit berichtet worden wäre.

Experten waren sich deshalb zuvor auch nicht einig gewesen, ob der Prinz sich auf einen aussergerichtlich Deal einlassen würde, weil dies nach aussen wie ein Schuldeingeständnis wirken könnte. Vor kurzem hiess es noch, Prinz Andrew stelle sich dem Prozess und solle am 10. März an einem «neutralen Ort» in London unter Eid vor Giuffres Anwälten aussagen. Auch Virginia Giuffre sollte unter Eid aussagen.

Nun fliesst stattdessen also Geld an die Klägerin – wie viel, ist unbekannt, aber wenig kann es nicht sein. Andrew teilte mit, Giuffres Wohltätigkeitsorganisation zur Unterstützung von Opfern von Gewalt unterstützen zu wollen. «Prinz Andrew hatte nie die Absicht, Frau Giuffre zu verleumden, und er akzeptiert, dass sie sowohl als Opfer von Missbrauch als auch als Folge unfairer öffentlicher Angriffe gelitten hat», heisst es in der Verlautbarung, mit der der Rechtsstreit nun nach dem Willen von Andrew zu den Akten gelegt werden soll.

Auch auf Andrews früheren Freund wird direkt Bezug genommen: Es sei bekannt, dass Jeffrey Epstein über viele Jahre für den Menschenhandel mit unzähligen junge Mädchen verantwortlich sei. «Prinz Andrew bedauert seine Verbindung mit Epstein und lobt den Mut von Frau Giuffre und anderen Überlebenden, sich für sich selbst und andere einzusetzen.»

«Prinz Andrew bedauert seine Verbindung mit Epstein und lobt den Mut von Frau Giuffre und anderen Überlebenden, sich für sich selbst und andere einzusetzen.»

Aus gerichtlicher Verlautbarung zur Einigung.

Giuffre gibt an, Opfer eines von dem US-Multimillionär Jeffrey Epstein und seiner Ex-Partnerin Ghislaine Maxwell aufgebauten Missbrauchsrings geworden zu sein. Nach eigenen Angaben wurde sie dabei zum Missbrauch an den Royal vermittelt. Die mit Andrew viele Jahre befreundete Maxwell war erst vor kurzem von einem Gericht in einem US-Strafverfahren in mehreren Punkten schuldig gesprochen worden, unter anderem wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken, und muss mit einer langen Haftstrafe rechnen. Epstein nahm sich 2019 in Untersuchungshaft das Leben.

Eventuell peinlicher öffentlicher Prozess abgewendet

Mit der aussergerichtlichen Einigung entgeht Andrew einem möglicherweise sehr unangenehmen Prozess mit der Veröffentlichung von Details des ihm vorgeworfenen sexuellen Missbrauchs. Gross war in Kreisen der Royals die Sorge, der Skandal könne die Feierlichkeiten zum 70-jährigen Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. (95) in diesem Jahr überschatten. Ein Prozess in New York hätte voraussichtlich im Herbst stattgefunden und riesige mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Palast hat dem zweitältesten Sohn der Queen bereits alle militärischen Dienstgrade und Schirmherrschaften entzogen.

Der Rechtsexperte und ehemalige US-Bundesanwalt Neama Rahmani beurteilte die Einigung als Sieg für Giuffre, auch wenn Andrew einen möglicherweise extrem peinlichen öffentlichen Prozess abgewendet habe. «Dies ist im Wesentlichen ein Eingeständnis, dass etwas passiert ist», sagte Rahmani der Deutschen Presse-Agentur. Es wirke nun so, als sei der Royal über Jahre nicht aufrichtig gewesen, als er kategorisch geleugnet hatte, Giuffre überhaupt zu kennen. Rahmani geht davon aus, dass der Vergleich eine Vertraulichkeitsklausel und die Aussage enthält, dass Andrew nicht haftbar sei. Dafür habe er schätzungsweise Millionen an Giuffre gezahlt, wenn nicht sogar eine Summe im achtstelligen Bereich, so Rahmanis Einschätzung.

Ob mit Prozess oder ohne: Das Image des Royals ist ohnehin zunichte. Mit einem seltenen BBC-Interview, bei dem sich Andrew um Kopf und Kragen redete, hatte sich der Prinz 2019 noch weiter ins Aus manövriert. Darin zweifelte er unter anderem die Echtheit eines Fotos an, auf dem er im Londoner Haus von Ghislaine Maxwell zu sehen ist, einen Arm um die Hüfte von Virginia Giuffre gelegt. Er säte sogar Zweifel daran, die Frau, der er nun viel Geld zahlt, überhaupt gekannt zu haben. Eine Rückkehr Andrews als arbeitendes Mitglied des Königshauses gilt als ausgeschlossen.


SDA/sep