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Macrons nervöse Bewegung
Präsident sucht Partei

30 bis 40 Prozent der Franzosen haben ein positives Bild von ihm: Staatschef Emmanuel Macron.
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Fröhlich soll es sein an diesem Tag. Zur Eröffnung der Veranstaltung wurden den Teilnehmern gelbe, rosa und blaue Fahnen in die Hand gedrückt. Die Leute reissen sie in die Luft, als die Musik einsetzt. Ein kleines Meer aus Bonbonfarben. Keine Slogans, kein Parteilogo, auf den Fahnen steht so etwas wie ein Arbeitstitel: «Majorité présidentielle», die Mehrheit des Präsidenten. Und da ist er auch schon, Jubel im Saal: Emmanuel Macron schreitet zur Pyramide des Louvre in Paris.

Auf der grossen Leinwand laufen zur Eröffnung des Jahrestreffens von La République en Marche (LREM) die Bilder des Abends des Wahlsieges 2017. «Wir sind stark, weil wir einen Kapitän haben», wird LREM-Fraktionschef Christophe Castaner kurz darauf sagen. Die Sache ist nur, dass noch nicht so klar ist, welche Mannschaft eigentlich hinter diesem Kapitän steht.

In Frankreich suchen gerade alle Parteien ihre Präsidentschaftskandidaten. Nur nicht Macron, der sucht eine Partei. Oder eine Bewegung oder ein «gemeinsames Haus», wie es in den französischen Medien zuletzt hiess.

Sehr viele Austritte aus der LREM-Fraktion

Macron selbst hat solide Popularitätswerte. Zwischen 30 und 40 Prozent der Franzosen, je nach Befragung, haben ein positives Bild des Präsidenten. Das sind Werte, die deutlich über denen seiner Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande liegen. Macron hat gute Chancen, 2022 wiedergewählt zu werden. Doch seine Partei LREM, der Macron selbstbewusst seine Initialen EM aufdrückte, ist schwach geblieben.

314 Abgeordnete wurden 2017 für LREM in die Nationalversammlung gewählt, inzwischen sind so viele aus der Fraktion ausgetreten, dass sie nur noch 268 sind. Auch für französische Verhältnisse ein beeindruckender Mitgliederschwund. Bei der Kommunalwahl konnte LREM keine wichtigen Städte gewinnen, bei der Regionalwahl keine einzige Region. Fragt man führende LREM-Mitglieder nach der Schwäche der Partei, sagen sie, «die Bewegung» müsse nur wachsen und «ihre Hände zu neuen Partnern ausstrecken».

Wie auch immer das Konstrukt aussehen wird, auf das Macron sich für seine Wiederwahl stützen will, seine Basis findet man am vergangenen Wochenende in Avignon auf dem Campus de la Majorité. 4500 Menschen sind gekommen, Interessierte, Mitglieder, Abgeordnete, Minister und Ministerinnen. Es ist eine Mischung aus Klassentreffen, Selbstfindung und Leistungsschau.

«Die Leute haben sich während der Pandemie dank Macron beschützt gefühlt.»

Frédérique Taupin, Lehrerin und LREM-Mitglied

Hier sitzt ein kleines Grüppchen auf Papphockern um den Europastaatssekretär Clément Beaune herum und lässt sich die Aussenpolitik der Regierung erklären. Dort wird Gesundheitsminister Olivier Véran zum Impffortschritt gratuliert. Und in einem Workshop wird erklärt, wie man neue Wähler gewinnt: «Ihr müsst ins Gespräch kommen.»

Frédérique Taupin und Priska Portoferri sind aus Colombes bei Paris angereist. Sie wollen sich in Avignon darauf vorbereiten, für Macron «von Haus zu Haus zu gehen, die Leute zu überzeugen». Portoferri ist Filmproduzentin, Taupin Grundschullehrerin, sie haben sich über die LREM-Gruppe in ihrer Stadt kennen gelernt. Beide sind über 40, und beide haben 2017 zum ersten Mal «wirklich mit Überzeugung gewählt», und zwar Macron. Sie nennen ihn «pragmatisch, mutig, brillant».

«Die Leute haben sich während der Pandemie dank Macron beschützt gefühlt», sagt Taupin. «Wir sind kein Fanclub», sagt Portoferri, «aber Macron ist einer der wenigen Politiker, die wirklich mit den Leuten debattieren können.» Sie warten nur noch darauf, dass Macron seine Kandidatur offiziell erklärt und sie loslegen können.

Macron «handelt, wo andere nur reden»

Zweifelnde Stimmen hört man kaum in Avignon. Wer extra hierhergereist ist, will noch fünf weitere Jahre Macron. Und so besteht ein grosser Teil des Treffens darin, die Unterstützer mit Euphorie zu betanken. «Ob an der Kaffeemaschine im Büro oder in den sozialen Netzwerken: Wir müssen die Bilanz von Macron verteidigen.»

Auf der Bühne steht Marlène Schiappa, Macron-Vertraute der ersten Stunde und heute beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft. Schiappa ist an diesem Tag zuständig für die Euphorie. «Kein Präsident hat in fünf Jahren so viel geschafft wie Macron», ruft Schiappa. Was «unsere Bewegung» ausmache? «Mut, die gängigen Pfade zu verlassen», und «Wohlwollen im Umgang».

Nur wofür diese neue, an der Macht etwas alt gewordene Mitte konkret stehen soll, bleibt unklar. «Unser Projekt ist es, zu investieren, damit jeder Einzelne sich sein Leben selbst aussuchen kann», steht auf den Jutebeuteln, die an die Besucher verteilt werden. Einen griffigeren Slogan gab es wohl nicht. LREM hält an der Erzählung fest, dass sie «handelt, wo andere nur reden» und das Beste von links und rechts vereine.

«Majorité présidentielle», die Mehrheit des Präsidenten: Jahrestreffen von La République en Marche in Avignon.

Nur hat sich Frankreichs politische Landschaft in den vergangenen vier Jahren verändert. Macron ist nicht mehr der Einzige, der die alten Parteien für überholt erklärt. Die politische Landschaft ist zu einem unübersichtlichen Archipel kleiner Inselchen geworden. Und nicht einmal auf die Feinde ist mehr Verlass.

Vier Jahr lang galt es als lähmend sicher, dass Macron in einer Stichwahl auf die Rechtsextreme Marine Le Pen treffen wird. Doch nun droht Le Pen rechts von dem ungebremst hetzenden Éric Zemmour überholt zu werden. Obwohl Zemmour noch nicht offiziell Kandidat ist, fällt sein Name in Avignon in fast jeder Rede, der von Le Pen kaum.

Will man ans Gute glauben, dann nimmt man den LREM-Politikern ab, dass sie ehrlich erschüttert sind von Zemmours Positionen und deshalb so viel über ihn reden. Denkt man ein wenig zynischer, fällt einem auf, dass LREM von einem starken Zemmour profitieren könnte, weil er Le Pen schwächt.

Macrons Ex-Premier gründet eigene Partei

Ohnehin sind es nicht die Feinde, sondern ein Freund, der die Macron-Unterstützer in diesen Tagen so richtig nervös macht. Als eine Videobotschaft von Édouard Philippe eingespielt wird. Drei Jahre lang, bis Sommer 2020 war Philippe Premierminister. Eine Rolle, die er so souverän ausfüllte, dass er zum beliebtesten Politiker Frankreichs wurde.

Heute ist er das nach wie vor und ausserdem Bürgermeister von Le Havre. Und, wie er ständig betont, ein «loyaler, aber freier» Unterstützer Macrons. Am kommenden Samstag wird Philippe eine eigene Partei gründen. «Ich lade euch alle nach Le Havre ein», sagte Philippe den Zuhörern in Avignon.

Die Medien wollten danach nur noch eines wissen: Baut sich da ein Konkurrent auf? Im Gegenteil, betonen die LREM-Parteispitzen, Philippe erweitere die Mehrheit des Präsidenten. Und irgendwann wurde das «völlig entspannte» Verhältnis zu Philippe so oft beteuert, dass es ein bisschen wirkte wie lautes Singen, wenn man allein im Wald ist.