Der Star auf der BankPortugal zaubert und tanzt – und Ronaldo bleibt nur die Nebenrolle
Die Portugiesen treffen nach dem hohen Sieg gegen die Schweiz im Viertelfinal auf Marokko. Aber es dominiert nur Ronaldo und dessen Gefühlslage.

Es hätte jeder sein können, aber weil er es war, ist Portugal in Aufruhr. Nach dem imposanten 6:1 gegen die Schweizer verschwand Cristiano Ronaldo als Erster in der Kabine, während der Rest des Teams feierte. Und eben genau weil es Ronaldo war und nicht irgendjemand anders aus dem Kader, lässt das in portugiesischen Medien herrlich viel Raum für Interpretationen und Spekulationen.
Da ist zum Beispiel die Zeitung «A Bola», zu Deutsch der Ball, aus Lissabon, die in den letzten Tagen Artikel mit der Kadenz eines Livetickers veröffentlicht. Scheinbar darf jeder etwas zu der Sache sagen, dessen Handynummer irgendwo auf der Redaktion liegt. Das geht vom portugiesischen Nationaltrainer Nigerias über den Coach von Sporting Lissabon bis hin zu jenem von Botafogo, einem brasilianischen Verein.
Sie alle müssen sich mit dieser Frage auseinandersetzen: Darf man den König einfach so auf die Bank setzen?
Ronaldo spielte gegen die Schweiz nicht von Anfang an, das kommt selten vor. Bei einem grossen Turnier, also WM oder EM, letztmals 2008 in einem Gruppenspiel. Ironischerweise gegen die Schweiz. Portugal verlor, war aber ohnehin schon weiter, es ging also um nichts mehr. Dafür ging es diesmal um ziemlich viel.

Viele Portugiesen sprachen sich in Umfragen dafür aus, Ronaldo nicht von Anfang an spielen zu lassen. Zwischen dem 37-Jährigen und Trainer Fernando Santos soll es zu einem hitzigen Gespräch gekommen sein, so steht es in portugiesischen Medien. Ronaldo habe gar mit der Abreise aus Katar gedroht. Seine Schwester bat ihn über Instagram, nach Hause zurückzukehren, weil die Degradierung auf die Bank «eine Schande» sei.
Der portugiesische Verband reagierte auf das Durcheinander und veröffentlichte am Donnerstag ein Statement. Darin stand, dass Ronaldo zu keinem Zeitpunkt damit gedroht habe, die Nationalmannschaft zu verlassen. Der Spieler selbst schrieb auf Instagram unter ein Bild, das ihn mit seinen Teamkollegen zeigt: «Eine Gruppe, die zu vereint ist, um von externen Kräften gebrochen zu werden. Eine Nation, die zu mutig ist, um sich von irgendeinem Gegner einschüchtern zu lassen.»
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Im ganzen Trubel um den Abgang in die Kabine wird vergessen, dass Ronaldo bei den Toren seiner Teamkollegen nicht gerade die Spassbremse spielte. Er jubelte mit ihnen und schien sich ehrlich zu freuen, insbesondere als Pepe, sein langjähriger Weggefährte, das 2:0 schoss. Ein bisschen erinnerte das sogar an den EM-Final 2016, als Ronaldo wild in der Coachingzone herumfuchtelte und es trotz Verletzung schaffte, zu Portugals Titel-Held zu werden.
Der überragende Portugiese: Bruno Fernandes
Am Samstag treffen die Portugiesen im Viertelfinal auf Marokko. Im ersten Moment dürften sie froh gewesen sein, nicht die Spanier erwischt zu haben. Die Nordafrikaner allerdings sind die grosse Überraschung dieses Turniers. Sie haben erst ein Tor kassiert, und das war auch noch ein Eigentor. Demgegenüber steht eine der zwei besten Offensiven von Katar, wie England traf Portugal in vier Spielen zwölfmal.
Momentan aber interessieren nur Ronaldo und seine Gemütslage. Für den Entscheid, zumindest zu Beginn auf ihn zu verzichten, bekommt Trainer Santos in Portugal viel Respekt. Die sechs Tore gegen die Schweiz geben ihm recht, sein Team war unberechenbar und überforderte die Mannschaft von Murat Yakin komplett, kein Unterschied mehr zu den Gruppenspielen, wo es wenig berauschende Siege gegen Uruguay und Ghana und eine Niederlage gegen Südkorea gab.
Ronaldo war schon da nicht der entscheidende Faktor der Portugiesen. Direkt beteiligt war er nur an einem Tor, er erzielte das 1:0 gegen Ghana mit einem Penalty, der umstritten war, den er aber immerhin selbst herausgeholt hatte. Danach fiel er vor allem auf, als er eine Flanke von Bruno Fernandes berührt haben wollte, die Fifa gab das Tor aber dem Mitspieler.
Dieser Fernandes, er stiehlt Ronaldo gerade ohnehin etwas die Show. Er sticht heraus, weil er fast bei jedem zweiten Tor der Portugiesen seinen Fuss im Spiel hat, er kommt auf zwei Tore (gegen Uruguay) und drei Assists in drei Einsätzen. Sollte es Portugal in diesem Turnier noch weiter schaffen, stehen seine Chancen jetzt schon nicht schlecht, die richtig grosse Nummer dieser WM zu werden.
Aber es glänzen noch andere. Da ist zum Beispiel Gonçalo Ramos, bisher ausserhalb der Landesgrenzen eher unbekannt, der gegen die Schweiz drei Tore erzielte. Der Einsatz gegen die Schweizer war sein vierter überhaupt im Nationalteam, bei seinem Club Benfica Lissabon steht er nach elf Spieltagen auch schon bei neun Toren und drei Assists.

Im offensiven Mittelfeld holte sich João Félix bisher Bestnoten ab, und dass Manchester Citys Bernardo Silva ein Spieler von Weltklasseformat ist, ist nichts Neues. Über links hat Trainer Santos zudem noch die Option Rafael Leão, der Flügel der AC Milan kommt bisher auf vier Kurzeinsätze, die reichen ihm aber zu zwei Toren. Einmal traf er besonders sehenswert, zum 6:1 gegen die Schweiz.
Fernandes, Ramos, Félix, Silva, Leão – man braucht kein Fernando Santos zu sein, um zu erkennen: Einem geht hier langsam der Platz aus.
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