Porsche 911 DakarDer Gipfel der Vielseitigkeit
Seit 60 Jahren überzeugt der Porsche 911 als sportliches Multitalent. Doch keine Version vereint Performance, Alltagstauglichkeit und Abenteuer so schön wie der 911 Dakar.
Ich besitze ein einziges Auto. Es ist in die Jahre gekommen, das Leder im Interieur brüchig und der Motor nach fast 300’000 Kilometern revisionsfällig. Aber es ist ein braves Auto, fährt zuverlässig von A nach B, macht auf Kurvenstrecken Spass, bereitet dank guter Gewichtsverteilung selbst im Winter keine Probleme und verfügt über einen praktischen Campingtisch von einem Heckspoiler. Für meine Bedürfnisse bietet es genügend Platz: Kindersitz auf die Beifahrerseite, Handtasche in den Fussraum, Kindervelo in den Fond, Einkaufssäcke in den Gepäckraum, passt. Und falls noch jemand mitfahren möchte, geht das – unter der Voraussetzung, dass es sich dabei um einen Schlangenmenschen im Format eines Kindervelos handelt – auch. Kurzum, ich bin von den Allrounderqualitäten dieses 2+2-Sitzers überzeugt.
Damit bin ich nicht allein. Warum sonst sollte sich der Porsche 911 seit seiner Vorstellung auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt vor genau 60 Jahren – Happy Birthday, übrigens! – mehr als 1,2 Millionen Mal verkauft haben? Wegen seines ikonischen Designs? Wegen der sportlichen Fahrleistungen? Weil ihm der gehobene Preis eine Aura der Exklusivität verleiht? Dank der illustren Marken- und Rennhistorie? Ja, klar, aber. So weit trifft das auch auf Modelle von Ferrari und Lamborghini zu, die während eines weit kürzeren Zeitraums in geringerer Stückzahl gebaut wurden. Das Geheimnis des 911ers liegt vielmehr in seiner Vielseitigkeit. Er ist, wie es sein Erfinder Ferry Porsche ausdrückte, «das einzige Auto, mit dem man von einer afrikanischen Safari nach Le Mans, dann ins Theater und anschliessend auf die Strassen von New York fahren kann».
Ein SUV im Wortsinn
In seiner aktuellen, achten Generation mit der internen Bezeichnung 992 ist der Porsche 911 sogar grösser, geräumiger, komfortabler, leistungsstärker, anpassungsfähiger und damit vielseitiger denn je. Das gilt für den Carrera in all seinen Spielarten genauso wie für die verschiedenen Turboderivate. Doch den ultimativen Ausdruck seiner Variabilität findet das Modell in der 2023 neu eingeführten Version Dakar.
Vordergründig handelt es sich dabei um eine mit All-Terrain-Reifen, Schutzelementen, erhöhter Bodenfreiheit, Allradantrieb, Rallye- und Offroad-Modus versehene Hommage an den Wüstenrenner, mit dem Porsche 1984 den Gesamtsieg bei der Langstreckenrallye Paris–Dakar einfuhr. Um einen 911er fürs Grobe, sozusagen, der auch auf Sand und Geröll schnell ist. Doch in der Annahme, dass der neuzeitliche Wüstenrenner sowieso häufiger auf dem Boulevard als in der Sahara zum Einsatz kommt, ist er vor allem das: ein Sport Utility Vehicle im eigentlichen Wortsinn.
Legendäre Gene
Tatsächlich gibt es kaum eine Situation, in der das Fahrzeug nicht «utilizable», sprich brauchbar wäre. Für den klassischen Sportteil sind neben einem 480 PS starken 3-Liter-Biturbo-Boxer mitlenkende Hinterräder, Wankstabilisierung, Leichtbauelemente und das Motorlager aus dem Topsportler 911 GT3 an Bord. Die speziell entwickelten Pirellis mit einem groben Profil von neun Millimeter Tiefe sorgen für maximale Traktion auf unbefestigten Wegen und gewähren im Alltag dennoch genügend Rollkomfort. Die Vollschalensitze sind auch auf der Langstrecke bequem. Die ohnehin schon höhergelegte Karosserie lässt sich über ein Liftsystem an beiden Achsen um weitere drei auf insgesamt 19 Zentimeter erhöhen, was sowohl Hindernissen im Gelände als auch städtischen Randsteinen den Schrecken nimmt.
Dazu kommen typische 911er-Zutaten vom souverän schaltenden 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe über ein fein verarbeitetes Interieur mit grosszügiger Infotainmentausstattung bis hin zum Parkassistenten mit Surroundview. Und das alles, während man von einer afrikanischen Safari nach Le Mans, dann ins Theater und anschliessend auf die Strassen von New York fährt und dazwischen nicht etwa im Hotel, sondern eigens für den Dakar gefertigten Dachzelt nächtigt. Oder zumindest davon träumt.
Auf 2500 Stück limitiert
Natürlich hat das Konzept auch Grenzen. Zum unauffälligen Fluchtfahrzeug nach einem Bankraub taugt der auf gerade einmal 2500 Exemplare limitierte Dakar eher nicht – schon gar nicht mit dem optionalen Rally Design Paket, inspiriert von den Rothmans-Rennwagen der 1980er. Einen Geschwindigkeitsrekord zu brechen, gelingt ebenso wenig, denn aufgrund der besonderen Reifen ist bei 240 km/h Schluss. Weil aus Gewichtsgründen auf die hinteren Notsitze verzichtet wird, fährt im Fond selbst der versierteste Schlangenmensch nicht mit. Und dass Spritsparen mit anderen Fahrzeugen besser geht – der Normverbrauch ist mit 11,3 Liter auf 100 Kilometer angegeben –, versteht sich von selbst.
Vor allem aber bleibt der Dakar einigen wenigen vorbehalten, die sich den Preis von mindestens 268’700 Franken überhaupt leisten können. Menschen, so wage ich zu behaupten, die den Dakar sowieso nicht als einziges Auto besitzen und dadurch gar nie erfahren werden, wie viele andere Autos sich mit einem einzigen 911er ersetzen lassen. Über 300’000 Kilometer hinweg, und darüber hinaus.
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