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Missstände bei Basler Polizei
Sexismus und Angstkultur – wie heilt man eine kranke Organisation?

FRAKTIONSSITZUNG
«Kaffi und Gipfeli» mit Martullo-Blocher und Maurer: SVP geht auf Tuchfühlung in Basel – Linksautonome rufen zur Demo auf
Die SVP will am Samstag die Basler Bevölkerung zum Austausch treffen. Links-autonome Gruppierungen rufen nun zu einer unbewilligten Demonstration auf. Meret-Oppenheimplatz, Basel. Samstag 22. Mai 2022 Foto © nicole pont
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Sie teilten die jungen Polizeischülerinnen in Kategorien ein: «fickbar» und «unfickbar». Sie hängten von ihnen auf dem Polizeiposten Bilder auf. Sie schlossen Wetten ab, wer mit wem zuerst Sex hat. Sie nannten Polizistinnen «Scheissweib» oder «Matratze». 

Sie, das sind Polizisten aus dem Polizeikorps in Basel. Und damit beginnt ein Problem, das aus vielen weiteren Problemen besteht. Sind es viele? Wussten es die Chefs? Ist das Verhalten Teil einer Kultur? 

Im Juni zeigte ein Untersuchungsbericht im fast 1000 Personen starken Basler Polizeikorps Sexismus, Rassismus und eine Angstkultur auf. Das 60-seitige Dokument war eher vage gehalten, man wusste nach der Lektüre nicht genau, was vorgefallen war. Eine Recherche der Wochenzeitung (WOZ) konkretisierte darauf die erhobene Kritik. 

Polizisten haben nicht nur Frauen erniedrigt, sie waren auch rassistisch. Vorgesetzte hätten gemäss WOZ «N*fangis» angeordnet, worauf gezielt dunkelhäutige Menschen kontrolliert wurden. Festnahmen gegenüber nordafrikanischen Menschen seien zudem häufig gewalttätig ausgefallen, zum Beispiel folgte noch eine Ohrfeige oder ein Kniestich, auch wenn die Person schon gefesselt war. Selbst innerhalb des Polizeikorps gab es Rassismus: etwa Affenlaute gegenüber Mitarbeitenden mit dunkler Hautfarbe.

Die Polizei ist kein gewöhnlicher Arbeitgeber

Der Bericht hatte Folgen. Der Polizeikommandant wurde entlassen. Er hatte die Untersuchung angeordnet, weil überdurchschnittlich viele Angestellte ihren Job wieder aufgaben. Ein neuer Chef soll also die alten Probleme lösen.

Doch reicht das? Ändert man so eine Kultur? Wie geht das überhaupt, ein solcher Kulturwandel?

«Das ist ein ziemlich komplexer Prozess», sagt Adrian Ritz, Professor für Public Management an der Universität Bern. Dass es in Polizeikorps zu Missständen kommen kann, überrascht ihn nicht sonderlich. Das Ausmass bei der Basler Polizei hat ihn aber erstaunt. Ritz beginnt mit der Feststellung, dass die Polizei kein gewöhnlicher Arbeitgeber sei. 

Die Polizei ist nicht am Markt, der Vergleich mit Konkurrenten wie bei Firmen fehlt. Als Hoheitsverwaltung könne sie zudem ein Selbstverständnis einer höheren Autorität entwickeln und sich über dem Bürger sehen. «Sie ist dadurch gefährdeter für Fehlentwicklungen, wenn kein Korrektiv existiert», sagt Ritz. Eine weitere Besonderheit ist die starke Hierarchie. «Befehl und Gehorsam ist Teil der DNA», sagt er. Das könne bei dringlichen Entscheiden ein Vorteil sein, biete aber auch Potenzial für Machtmissbrauch. 

Adrian Ritz, Prof. Dr. Universitaet Bern Kompetenzzentrum fuer Public Managment. © Adrian Moser

Wenn man nun einen Kulturwandel herbeiführen wolle, müsse man sich mit diesen potenziellen Schwachstellen auseinandersetzen. Ritz sieht hier die künftige Polizeiführung in einer besonders wichtigen Rolle.

Der neue Kommandant ist in Basel noch nicht bestimmt, die verantwortliche Regierungsrätin Stephanie Eymann möchte zu dessen Anforderungsprofil keine Fragen beantworten, um sich «alle Handlungsoptionen» freizuhalten. 

Die schwarze Kasse mit 200’000 Franken

Daniel Aebli weiss, wie ein Kulturwandel geht. Er hat die Stadtzürcher Entsorgungsbetriebe (ERZ) mit seinen 1000 Mitarbeitenden aufgeräumt. 2017 entdeckte man dort Zustände, die einem Königreich glichen. 

Der damalige Direktor, er nannte sich CEO, hielt in seinem Büro eine schwarze Kasse mit 200’000 Franken, mit denen er Mitarbeitende belohnte. Er zerstückelte grosse Bauprojekte, damit der Gemeinderat nicht darüber verfügen musste. Er baute einen Freizeitpark für Angestellte und einen Kleinzoo mit Emus, australischen Laufvögeln. Er schuf Privilegien fürs Kader und organisierte epische Nachtessen. Alle wussten davon, nichts passierte, bis der Direktor fristlos entlassen wurde. 

Dann kam Direktor Aebli. Ein grosser, hagerer Mann, der von sich sagt, dass er Sachen sieht, die andere nicht sehen oder nicht sehen wollen. «Der Anfang war richtig schwierig», sagt Aebli. «Ich wusste nicht, wer zum System gehört und wer mir wirklich helfen wollte», sagt der 63-Jährige, der sich Ende April frühpensionieren liess. Er kann nun offen reden.

ZÜRICH 10.04.19 ERZ Pressekonferenz im Stadthaus Zürich. ERZ-Direktor Daniel Aebli. © Samuel Schalch

Die führenden Angestellten empfingen ihn mit offenen Armen, sie schauten aber auch, dass er stets mit den richtigen Leuten sprach. Und er hörte, wie man hinter seinem Rücken sagte: Der kann schon loslegen, der wird dann schon noch Teil von uns. 

«Am Anfang ist die Präsenz des Chefs sehr wichtig», sagt Aebli. Er ging am Morgen früh mit auf Güseltour, er sprach mit möglichst vielen Leuten. Der Neue tat darauf etwas Radikales: Er setzte die ganze Geschäftsleitung ab, liess bei Entscheidungen permanent Protokoll führen, informierte stets den Stadtrat – und er schaffte unerlaubte Privilegien ab, Wutausbrüche einiger inklusive. «Das muss man als Chef aushalten.» 

Aebli hält vom Ausdruck, man müsse einen Kulturwandel herbeiführen, sehr wenig. «Das geht am besten durch konkrete inhaltliche Ziele», sagt er. Wer sie erfüllt und sich einbringt, ist motiviert und bleibt. Wer nicht, geht. Meist von selbst.

Nach sechs Jahren ist das ERZ nun eine neue Organisation, sagt Aebli. Im Nachhinein frage er sich, ob er nicht noch mehr auf die Führungskräfte auf den unteren Ebenen hätte einwirken sollen. Und er staune, wie lange angewöhnte Denkmuster in den Köpfen der Angestellten blieben. Zum Beispiel bei den Vergaben von Aufträgen, eine heikle Angelegenheit in öffentlichen Betrieben. Auch Jahre später versuchten manche Angestellten, eine Ausnahme zu finden, um die Vergaben nicht von oben absegnen lassen zu müssen. 

Also, wie muss er sein, dieser Change Manager? Aebli überlegt lange und sagt dann: «Sicher unabhängig. Dann braucht man einen Plan und eine gewisse Härte, einen starken Wertekompass auch. Und ohne Unterstützung der Politik hat man verloren.» 

Der dürftige Zustand des Basler Korps

Der Basler Untersuchungsbericht zeigte nicht nur Sexismus und Rassismus auf, er offenbarte auch ein Polizeikorps in einem sehr dürftigen Zustand. Viele Stellen sind unbesetzt, viele Polizeikräfte überlastet. Die Stimmung ist schlecht, die Chefs von der Basis wenig gestützt, das Material mangelhaft, die Selbstreflexion wegen der Arbeitslast fast unmöglich. Kommt hinzu, dass bislang in der sechsköpfigen Polizeileitung bloss eine Person eine polizeiliche Grundausbildung absolviert hat.

Eckhard Schröter ist Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster und hat den Basler Untersuchungsbericht gelesen. Er findet es nötig, dass man erst diese strukturellen Mängel behebt, bevor man überhaupt von einem Kulturwandel spricht. «Die Polizistinnen und Polizisten müssen wieder gerne arbeiten gehen.» Das sei die Basis eines Wandels. 

Erst dann komme der Kulturwandel. «Den kann man nicht befehlen», sagt Schröter. Dieser müsse verinnerlicht werden. «Von oben nach unten.» Es braucht Vorbilder, es braucht eine kritische Selbstbeobachtung, es braucht dafür Kurse, immer wieder. «Das geht alles nicht zufällig.» 

Neues Personal könne den Kulturwandel unterstützen, ein diverseres Polizeikorps ebenso – mehr Frauen zum Beispiel, oder mehr Personen mit Migrationshintergrund. 

Schröter hat zum Thema geforscht, er warnt allerdings vor zu grossen Hoffnungen. «Eine bessere Repräsentativität ist wichtig, aber kein Allheilmittel.» Vor allem müsse man die Neuen begleiten und integrieren, dazu die Bisherigen mitnehmen. «Wenn man das falsch angeht, kann das zu neuen Problemen führen», sagt er. Zum Beispiel in Form einer Entfremdung innerhalb des Korps, oder wie man das in den USA gesehen hat: Vertreter von Minderheiten überanpassen sich und werden selbst zum Problem.

Polizisten sperren eine Wiese ab fuer Anhaenger der Bewegung Basel Nazifrei, die einer angekuendigten Kundgebung von Anhaengern der Bewegung Mass-Voll! entgegentreten wollen, in Basel, am Samstag, 21. Oktober 2023. Basel hatte fuer das ganze Wochenende ein Demonstrationsverbot verhaengt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Die Basler Enthüllungen haben eine Kehrseite. Nun steht plötzlich jede Polizistin, jeder Polizist unter Verdacht: Sie oder er könnte ja einer dieser Belästiger oder Rassisten sein, von denen man nun so oft lesen könnte. «Daran stören sich viele Polizeibeamte massiv», sagt Pascal Eisner. Der Präsident des Basler Polizeibeamten-Verbands bemängelt, dass man im Korps nichts Konkretes weiss über die Breite und Tiefe der Vorwürfe. Zugleich möchte er, dass die fehlbaren Polizisten sanktioniert werden.

Eisner geht davon aus, dass sich fast alle der Basler Polizistinnen und Polizisten richtig verhalten. In Basel fragt man sich zugleich, weshalb diese nicht aufgestanden sind und sich gegen die Minderheit gewehrt haben. «Gute Frage. Vielleicht haben sie nichts mitbekommen?» sagt Eisner, der durch den Bericht erstmals von Sexismus und Rassismus im Korps gehört hat. «An diesem Punkt muss man arbeiten.» 

Wichtig sei, dass man nun nicht jene schütze, die sich falsch verhalten hätten. Sondern jene, die sich für eine Besserung einsetzen würden.

Das wäre ein erster Schritt. Ein anderer scheint ungleich grösser. Der Basler Polizei ist in den vergangenen Jahren viel Glaubwürdigkeit abhandengekommen. Es wird eine ziemlich komplizierte Rückholaktion.