Massenproteste gegen RegierungPeru erhält dritten Präsidenten innert einer Woche
Nach dem Rücktritt des Interimspräsidenten Manuel Merino wählt das Parlament Francisco Sagasti als dessen Nachfolger. Zuvor wurde bereits Präsident Martín Vizcarra gestürzt.
Francisco Sagasti ist der Mann, der Peru aus einer monumen talen politischen Krise führen muss. Am Montagabend wählte ihn das Parlament als neuen Übergangspräsidenten. Der 76-Jährige ist Mitglied der zentristischen Lila-Partei. Er soll das Land im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im April stabilisieren. Sein Mandat endet im Juli.
Einen Tag vorher sah es noch so aus, als würde die linke Hochschulprofessorin Rocio Silva Santisteban gewählt. Sie wäre die erste Präsidentin Perus geworden. Doch Santisteban verfehlte die Mehrheit.
Zuvor war Übergangspräsident Manuel Merino nur fünf Tage nach seinem Amtsantritt unter massivem Druck zurückgetreten. Mindestens drei Menschen sind schon ums Leben gekommen, seit vergangene Woche Massenproteste ausgebrochen sind gegen die Übergangsregierung. Dutzende Demonstranten wurden teils schwer verletzt.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag kam es landesweit zu teils chaotischen Szenen: So hatten sich in der Hauptstadt Lima Tausende Menschen auf einem zentralen Platz versammelt, als die Polizei begann, mit Gummigeschossen und Tränengas in die Menge zu feuern. Demonstranten warfen daraufhin mit Steinen, Farbbeuteln und laut offiziellen Angaben auch mit Brandsätzen. Augenzeugen und lokale Medien sprachen von Strassenschlachten und bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Begonnen hatten die Proteste vergangene Woche, als das peruanische Parlament überraschend für eine Absetzung des bisherigen Präsidenten Martín Vizcarra stimmte. Er steht im Verdacht, 2014 Schmiergelder angenommen zu haben bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen. Konkrete Beweise gibt es nicht. Die Anschuldigungen beruhen lediglich auf Aussagen bereits inhaftierter Unternehmer, denen für ihre Zusammenarbeit mit der Justiz wohl Strafmilderung in Aussicht gestellt wurde.
Das Parlament begründete die Absetzung Vizcarras darum auch nicht mit dessen Bestechlichkeit, sondern lediglich mit seiner angeblichen «moralischen Unfähigkeit». Zwei Drittel der Abgeordneten sprachen sich am Montag vergangener Woche dafür aus, Vizcarra die Macht zu entziehen. Die Entscheidung löste in der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung aus.
Bis zu seiner Absetzung galt Martín Vizcarra als einer der beliebtesten Präsidenten in der jüngeren Geschichte Perus. 2018 hatte er sein Amt angetreten mit dem Versprechen, den Filz aus Vetternwirtschaft, persönlicher Bereicherung und Korruption zu bekämpfen, der die peruanische Politik seit Jahrzehnten durchzieht und lähmt. So gut wie alle Vorgänger Vizcarras im Amt sind heute entweder wegen Bestechung angeklagt, oder sie sitzen deswegen in Haft. Und auch das Parlament gilt als höchst korrupt: Gegen mehr als die Hälfte der derzeitigen Abgeordneten laufen Ermittlungen.
Mit einigen substanziellen Reformen wollte Vizcarra die Schmiergeldkultur in der peruanischen Politik bekämpfen, unter anderem sollte die parlamentarische Immunität von Abgeordneten beschnitten werden. Im Volk brachte ihm das viel Sympathie, im Kongress aber machte sich Vizcarra mit seinen Vorstössen viele Feinde. Schon im September hatten Parlamentarier versucht, dem Präsidenten die Macht zu entziehen. Damals noch ohne Erfolg. Vergangene Woche taten sich dann aber mehrere kleine Parteien des extrem zersplitterten peruanischen Parlaments zusammen und stimmten für eine Absetzung.
«Peru ist aufgewacht»
Als Haupttreiber gilt dabei der bisherige Parlamentspräsident Manuel Merino. Verfassungsgemäss ist er nun zum Übergangspräsidenten aufgestiegen. Die Wut der Demonstranten richtet sich vor allem gegen ihn und den Kongress. «Nicht mein Präsident», steht auf den Schildern bei den Protesten, und «Peru ist aufgewacht».
Es sind vor allem junge Peruaner, die derzeit auf die Strasse gehen. Die Polizei geht dabei immer brutaler gegen die Proteste vor. Beamte sollen gezielt auf Demonstranten und Journalisten geschossen und dabei nicht nur Gummigeschosse eingesetzt haben, sondern auch Glaskugeln. Amnesty International hat wegen der unangemessenen Gewalt schon protestiert, genauso wie die Vereinten Nationen.
Die Wirtschaft ist zusammengebrochen
Tatsächlich steckt hinter den Demonstrationen nicht nur der Unmut über die Absetzung eines beliebten Präsidenten. Die Auseinandersetzungen markieren auch das Ende eines scheinbar makellosen Aufstiegs: Über Jahre hinweg boomte Peru, Wohlstand und Wirtschaft wuchsen, vor allem aber junge Menschen bekamen oft nur prekäre Jobs. Ein Grossteil der Peruaner hat nicht einmal einen festen Anstellungsvertrag, und immer wieder lösten tödliche Arbeitsunfälle Proteste aus.
Covid-19 hat den Aufstieg Perus nun endgültig gestoppt. Trotz eines strengen Lockdown gab es umgerechnet auf die Bevölkerungszahl kaum irgendwo in Lateinamerika so viele Infizierte und Tote. Gleichzeitig ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Alleine dieses Jahr soll sie um bis zu 14 Prozent schrumpfen, Tausende haben ihre Jobs verloren, und nun kommt zu dem sozialen und ökonomischen Chaos auch noch eine politische Krise.
Dieser Artikel wurde nach der Wahl von Francisco Sagasti am 16. November aktualisiert.
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