Perus Präsident abgesetztWut, Eifersucht und Zorn
Das peruanische Parlament hat Staatschef Martín Vizcarra seines Amtes enthoben. Ihm wird Korruption vorgeworfen. Zur Corona-Krise kommt nun eine politische.
Die Lage in Peru war bereits dramatisch, nun aber hat sich die Situation in dem südamerikanischen Land noch einmal verschärft: Am Montagabend Ortszeit hat das Parlament einem Antrag zur Amtsenthebung von Präsident Martín Vizcarra stattgegeben. Das Staatsoberhaupt muss seinen Posten nun niederlegen, eine Übergangsregierung wird verfassungsgemäss die Geschäfte übernehmen.
Wegen der Entscheidung brachen überall im Land teils wütende Proteste aus. Es droht eine schwere politische Krise, dabei hat schon die Corona-Pandemie Peru hart getroffen. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sind kaum irgendwo sonst so viele Menschen an dem Erreger gestorben. Dazu versinkt Peru auch noch in dem wohl schwersten Wirtschaftseinbruch in der jüngeren Geschichte des Landes.
Trotz der prekären Lage stimmte eine grosse Mehrheit der Abgeordneten im Parlament am späten Montagabend für eine Amtsenthebung Vizcarras. Ihm wird vorgeworfen, 2014 im Gegenzug für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen mehrmals Schmiergelder angenommen zu haben. Solche krummen Machenschaften wären keine Neuheit in der peruanischen Politik: So gut wie alle Präsidenten in der jüngeren Geschichte standen unter Korruptionsverdacht. Ein ehemaliger Präsident sitzt wegen der Beteiligung an einem gigantischen Schmiergeldskandal in den USA in Haft, ein anderer hat sich durch Suizid seiner Festnahme entzogen.
Wenig Beweise
In einer langen Rede vor dem Parlament beteuerte Vizcarra am Montag aber seine Unschuld. Und tatsächlich ist die Beweislage gegen ihn zumindest bislang dünn. Zwar gibt es Zeugenaussagen, die Perus scheidendes Staatsoberhaupt belasten. Diese stammen allerdings von bereits inhaftierten Unternehmern, die durch ihre Angaben wohl Strafmilderungen bekommen könnten. Abgesehen von den mündlichen Aussagen gibt es derzeit keine nennenswerten Beweise. Der peruanische Kongress hat darum auch nicht wegen der konkreten Korruptionsvorwürfe für eine Absetzung Vizcarras gestimmt. Stattdessen wird ihm «moralische Unfähigkeit» vorgeworfen.
Vizcarra sagte am Montagabend, er werde den Parlamentsentscheid akzeptieren. Allerdings fügte er hinzu: «Die Geschichte und das peruanische Volk werden die Entscheidungen der Einzelnen beurteilen.» Perus Parlament wird von der Opposition dominiert. Die Entscheidung kam für viele Peruaner überraschend und löste in Teilen der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung aus. Vizcarra galt als einer der populärsten Staatschefs in der jüngeren Geschichte seines Landes. 2018 war er vom Vize zum Präsidenten aufgestiegen, nachdem sein Vorgänger im Amt nach Bestechungsvorwürfen seinen Rücktritt eingereicht hatte. Vizcarra versprach damals, die Korruption zu bekämpfen, die das Land lähmt und alle politischen Ebenen und Parteien durchzieht. In seiner Verteidigungsrede vor dem Parlament am Montag betonte er, dass gegen über die Hälfte der Abgeordneten selbst ebenfalls Ermittlungen im Gange sind.
Nach der Absetzung des Präsidenten gingen wütende Peruaner in fast allen grossen Städten des Landes auf die Strasse, um gegen die Entscheidung des Parlaments zu protestieren. Demonstranten und Kommentatoren sprachen dabei von einem Putsch.
Gemäss der peruanischen Verfassung werden die Amtsgeschäfte nun von Parlamentspräsident Manuel Merino übernommen. Der Oppositionspolitiker und zukünftige Präsident Perus war in der breiten Bevölkerung lange Zeit so gut wie unbekannt. Erst vor ein paar Wochen erlangte Merino grössere Aufmerksamkeit, als bekannt wurde, dass er im Zuge des ersten Amtsenthebungsverfahrens gegen Vizcarra im September wohl im Hintergrund bereits Gespräche mit dem Militär geführt hatte, um sich die Unterstützung der Streitkräfte im Falle eines Machtwechsels zu sichern. Merino bestritt, einen Putsch geplant zu haben, musste sich aber dennoch öffentlich entschuldigen.
Appell des Erzbischofs
Nach der Abstimmung am Montagabend, die Vizcarras Amtszeit dann nun doch beendet hat, soll Merino am Mittwoch offiziell vereidigt werden. Turnusgemäss finden die nächsten Präsidentschaftswahlen in Peru bereits im April nächsten Jahres statt. Beobachter befürchten aber, dass die Wahlen von der Übergangsregierung verschoben werden könnten. Die politische Lage im Land sei chaotisch, sagte der Erzbischof von Lima, Carlos Castillo. Er rief den Kongress auf, seine Entscheidung zu revidieren. «Peru braucht Menschen mit Verstand und Weisheit», sagte Castillo. Stattdessen aber gebe es nur Wut, Eifersucht und Zorn.
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