Paradoxien der Generation ZWie toxisch ist die Weiblichkeit?
Zwei neue Bücher von jungen Frauen analysieren, wie ihre Generation tickt. Während die linke Autorin sich als Opfer fühlt, analysiert die konservative, warum die Opferhaltung eine Machtstrategie ist.
Generationenbücher sind ein spezielles Genre. Am Anspruch, für eine ganze Alterskohorte zu sprechen, kann man fast nur scheitern. Dennoch stossen solche Analysen aus gutem Grund auf Interesse. Sie versprechen Einblick in die spezifischen Probleme, Ansichten und Denkweise einer Epoche. Im Fall der Generation Z ist das besonders interessant, da ihre charakteristischen Überzeugungen und Probleme jetzt schon die immer zahlreicher werdenden Kulturkämpfe anheizen. Höchste Zeit also, dass uns jemand erklärt, was da eigentlich los ist.
Aktuell sind gerade zwei Bücher erschienen, die sich mit Glanz und Elend ihrer Generation befassen. Beide stammen von jungen Frauen, natürlich, schliesslich standen weibliche Anliegen in den vergangenen Jahren im Zentrum des Diskurses. Das eine Buch heisst «Generation Krokodilstränen – über die Machttechniken der Wokeness», geschrieben hat es die 30-jährige Journalistin Pauline Voss, die früher bei der NZZ arbeitete und jetzt als freie Autorin in Berlin lebt. Ihre Altersgenossin Sophia Fritz, Autorin, Filmemacherin, Tantramasseurin und Sterbebegleiterin, schickt einen Essay mit dem Titel «Toxische Weiblichkeit» ins Rennen. Sie will die Frage beantworten, was «in uns weiblich sozialisierten Menschen» steckt, so «dass wir uns immer wieder gegen uns selbst und andere richten».
In vorauseilendem Gehorsam
Damit enden aber die Gemeinsamkeiten der beiden Bücher. Denn die Diagnosen der beiden Frauen, was mit der eigenen Generation los ist, fällt vollkommen unterschiedlich aus. Was daran liegt, dass sie auch politisch unterschiedlich ticken.
Fritz kann für sich in Anspruch nehmen, für die links geprägte Mehrheit der jungen Frauen zu sprechen. Das wird schon auf den ersten Seiten ihres Buches klar: «Meine Freund:innen und ich nennen es jetzt nicht mehr Weltfrauentag, sondern Feministischer Kampftag, wir lehnen TERFs ab und finden es gut, dass der Paragraf 219a StGB gestrichen wurde.» Wenn sie in ihrem Essay die Frage nach toxischer Weiblichkeit stellt, hinterfragt sie nicht etwa das spezifisch weibliche Streben nach Macht. Sie will auch keine «misogynen Konzepte» reproduzieren, wie sie vorauseilend gehorsam schreibt.
Das ist denn auch das Problem ihres Buches: Zwar dürften die Fragen, die Fritz stellt, viele Zeitgenossinnen beschäftigen. Denn sie sind virtuos darin, «problematische» Konzepte und Verhaltensweisen ihres Umfelds zu erkennen. Leider hilft ihnen das in der praktischen Lebensführung offensichtlich wenig. Das ist auch der Grund, warum Fritz sich an jenen «typisch weiblichen» Verhaltensweisen abarbeitet, die gemäss Zeitgeist endlich überwunden sein sollten – und sich trotzdem hartnäckig halten.
Neuer Opferdiskurs statt scharfer Analyse
Das stellt auch Fritz fest. Doch leider fehlt ihr der Mut, den Gedanken zu Ende zu denken. «Selbst während des Schreibens ist mir unbehaglich zumute, Frauen Toxizität zu unterstellen oder zu behaupten, dass dieses oder jenes Verhalten ‹typisch weiblich› sei», schreibt sie etwa. Abgesehen vom oft bemüht wirkenden Substantivstil, stolpert der Text über lange Strecken auch logisch orientierungslos vor sich hin. Denn einerseits will Fritz toxische Weiblichkeit erkennen und definieren, fürchtet aber gleichzeitig, wirklich zu benennen, was sie meint. Die versprochene «toxische Weiblichkeit» wird nicht herausgearbeitet, sondern mündet einfach in einen neuen Opferdiskurs.
Es ist ein Katalog des Elends, den Fritz ausbreitet. Wir erfahren, was Frauen und Mädchen in einer «patriarchal geprägten Welt» angeblich alles erdulden müssen, wie ungerecht sie das finden und wie ratlos sie dennoch bleiben, wenn es darum geht, diesem Patriarchat etwas entgegenzusetzen. Erdulden muss allerdings auch die Leserin einiges. Zum Beispiel solche Sätze: «Allein die Frage, über wen oder was ich mich zu ermächtigen habe, um fully empowered zu sein, bereitet mir Unbehagen.» Immer wieder versichert die Autorin dazwischen, wie sehr sie fürchtet, dass ihre hier formulierten Sätze «schon bald überholt sein» könnten. Was Bände darüber spricht, wie die Autorin das selbst gestellte Problem durchdrungen hat. Nämlich gar nicht.
Vom Zwang zum Konformismus
Ganz anders geht Pauline Voss mit ihrem Buch «Generation Krokodilstränen» zu Werke. Bei ihr gibt es keine Befürchtungen, bald vom Zeitgeist überholt zu werden – weil sie sich dem Zeitgeist nicht unterwirft. Vielmehr analysiert sie mit einer beeindruckenden Tiefenschärfe die Paradoxien ihrer Generation. Es ist ein Text wie eine Peitsche – und der Hieb landet dort, wo es wehtut.
Voss’ Buch ist kein billiger Rant gegen ihre Altersgenossen. Vielmehr zieht sie ausgerechnet jenen Philosophen zurate, auf den woke Theorien sich am liebsten beziehen: Michel Foucault.
Soziale Medien als perfekte Disziplinarmassnahme
Eines der grossen Themen Foucaults ist die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse unter dem Aspekt von Machtgefällen. Das tut auch Voss, aber sie wendet Foucault gegen jene an, die sich auf ihn berufen. Denn der französische Denker zeigt eben nicht nur, wie Unterdrückung funktioniert, sondern auch wie sie instrumentalisiert wird. Wer nämlich Unterdrückung bekämpft, kann sich als Befreier feiern. Deshalb, so Voss, suche ihre Generation allerlei Scheinprobleme, über die sie dann Krokodilstränen vergiesse.
Sie schreibt über den Zwang zum Konformismus in ihrer Generation und die Spiessigkeit, die sich daraus ergibt. Und wie heute immer neue Diskriminierungen gefunden werden müssen, weil nur der Opferstatus Macht verspricht: «Diskriminierung muss erkannt, dokumentiert, angeprangert, bekämpft, verhindert werden. Wo sie sich maskiert, muss sie enthüllt werden, wo niemand mit ihr rechnet, muss sie aufgespürt werden, wo niemand sich diskriminiert fühlt, wird schon bald das Gefühl der Diskriminierung keimen: Es zündet eine diskursive Explosion.»
Voss identifiziert die sozialen Medien als das perfekte Disziplinierungsinstrument, mithilfe dessen eine ganze Generation abgerichtet wird. Denn die Generation Z ist zwar scheinbar so frei, wie kaum eine Generation vor ihr – und wiederholt gewisse Muster dennoch fast zwanghaft. Foucault nennt dies die «Kunst der guten Abrichtung»: In von Wokeness getriebenen Diskursen kann man sich nie sicher sein, ob das, was heute erlaubt ist, morgen immer noch okay sein wird. Regelverstösse werden mit Shitstorms und Reputationsvernichtung gesühnt, auch dann, wenn sie aus einer Zeit stammen, da es diese Regeln noch gar nicht gab. Deshalb muss jeder, der sich dieser Denkschule zurechnet, vorauseilend mögliche Fehler eingestehen. Wenn Fritz sich in ihrem Essay dafür entschuldigt, dass ihre Gedanken bald schon überholt sein könnten, unterwirft sie sich genau jenem Muster, das Voss beschreibt.
Wer nicht mitmacht, gilt als rechts
Voss lässt all jene Zeitgeistphänomene auffahren, die die modernen Kulturkämpfe prägen. Und denen wir uns oft unterwerfen, weil als rechts diffamiert wird, wer sich nicht beugen mag. Da geht es zum Beispiel um den modernen Fetisch der Individualität, hinter dem sich eigentlich der Zwang zur Konformität verbirgt. Es geht um die in den sozialen Medien marodierende Sprachpolizei, die permanent nach Verfehlungen sucht, angefangen beim Gendern bis zu den Mohrenköpfen. Sie beschreibt den Kult der Entschuldigung und die rhetorischen Tricks, mit denen sich heute jeder als David inszenieren möchte, der gegen einen Goliath kämpft.
«Generation Krokodilstränen» reiht sich in eine Serie jüngst erschienener Bücher, die sich der «woken» Ideologie widmen. Trotzdem sticht Voss’ Analyse heraus, weil sie nicht von aussen auf jene Generation blickt, die dieser Ideologie erst zu ihrem breiten Siegeszug verholfen hat. Weil sie selbst dazugehört, kann sie diese aus einer Innenansicht beschreiben. Und zwar theoretisch stringent und sprachlich elegant.
Es ist verlockend, Voss’ Generationenbuch als «rechtes» Pendant auf Fritz’ Essay zu lesen – aber es würde ihm nicht gerecht werden. Ihre politische Position verdient vor allem deshalb Erwähnung, weil sie damit als junge Frau zu einer ausgesprochenen Minderheit gehört. Das zeigt sich schon daran, dass manche Kritiker Voss’ Thesen «populistisch» nennen, wie sie im Gespräch mit der «SonntagsZeitung» verrät. «Ich bin bestimmt konservativer als der Durchschnitt meiner Generation», sagt sie. Aber es gehe ihr in erster Linie darum, sich die Offenheit beim Denken zu bewahren. Sie sei in ihrem Umfeld, der Schule und Familie links geprägt worden, «wie die meisten aus meiner Generation». Letztlich gehe es ihr darum, auch kritisch gegenüber den Mächtigen zu sein, die heute mehrheitlich links sind – nicht nur in der deutschen Regierung, sondern vor allem auch in den Institutionen, den Schulen, den Medien und Universitäten. «Das sehe ich bei meiner Generation ganz selten.»
Und so muss man die beiden Generationenbücher letztlich doch an entgegengesetzten Enden eines Spektrums verordnen. Voss’ übergeordnetes Thema bleibt die Freiheit – und die Frage danach, warum so viele Menschen im demokratischen Westen genau diese Freiheit ohne Not aufgeben. Fritz dagegen kreist um das Thema Angst – und warum die Frauen sich zwar befreit haben, aber dennoch immer in denselben Fallstricken landen, die das böse Patriarchat oder eben die «toxische Weiblichkeit» für sie bereithalten. Weil nämlich Letztere auch nur eine Form von Ersterem ist.
Sophia Fritz: «Toxische Weiblichkeit – Essay», Hanser Berlin, 2024.
Pauline Voss: «Generation Krokodilstränen – über die Machttechniken der Wokeness», Europaverlag, 2024
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