Nach dem 5:1 gegen JuventusOrkan und Rock’n'Roll in Neapel
Neapel gewinnt das Spitzenspiel gegen Juventus Turin gleich 5:1. Warum nun eine Frage zum Griff in den Schritt verleitet.
Es hätte auch eng werden können, eine dieser taktischen und philosophischen Neutralisierungsnummern, an denen niemand Freude findet. Etwas für Schematiker. So hatte man sich das ausgemalt vor dem Spitzenspiel SSC Neapel gegen Juventus Turin, der vorweggenommenen Finalissima zur Hälfte der Meisterschaft zwischen dem Tabellenersten und dem Tabellenzweiten der Serie A. Neapels leichte Bellezza gegen Juves zynische Effizienz. Es hiess gar, wahrscheinlich würde erst in den letzten paar Minuten ein Tor fallen, da oder dort. Wenn die Paraden dann mal erlahmt sind.
Nun, es kam ganz anders, es kam sehr dick, sehr laut, sehr Rock’n’Roll. 5:1. Neapel, tausend Farben, wie im Lied von Pino Daniele. Und man darf sich nun endgültig fragen, ob es denn vielleicht diesmal reichen wird, 33 Jahre nach Neapels bisher letztem Scudetto. Allerdings würden die Neapolitaner selbst nie so reden, das bringt Unglück, man ist sehr abergläubisch. Luciano Spalletti, der Trainer der Süditaliener, sagte immerhin, es sei dies wohl die schönste Nacht gewesen, seit er in Neapel arbeite.
Und dann das!
Dazu muss man wissen, dass dieser Spalletti sonst gerne zum psychologisch motivierten Understatement greift: Vor Spielen redet er lieber die Gegner gross, mit Juventus hatte er es auch wieder gemacht. Die Turiner hatten vor dem Showdown im Stadio Maradona acht Mal in Folge gewonnen und kein einziges Gegentor kassiert. Null. Schon schien der Ewigrekord von Gianluigi Buffon in Gefahr zu geraten, fast tausend Minuten lang war der einmal ungeschlagen geblieben.
Und dann das! Eine «unwiderstehliche Show», schreibt die Mailänder Zeitung «Corriere della Sera». Die römische «Repubblica» sah die «neuen Monster» am Werk, so dominant, so erdrückend. Für die «Gazzetta dello Sport» ging ein «Orkan» über die Juve. Vielleicht aber treffen es die eher schulischen Metaphern besser. Die Gazzetta verteilt Zensuren: «Napoli 10 e lode», Neapel cum laude. Massimiliano Allegri, Juves Coach, ein Maurer vor dem Herrn, Maestro des «Unozerismo», des 1:0, habe da eine «Lektion» verpasst bekommen. Allegri und Spalletti sind sich These und Antithese, Minimalismus gegen Opulenz. Und wer Fussball mag, wenn der kollektiv und komponiert aufgeführt wird, der hat sicher gerade eine Schwäche für Neapel.
Osimhen, die Naturgewalt
Vielleicht müsste dann einmal länger von Stanislaw Lobotka die Rede sein, dem Slowaken in der Regie, tiefer Gravitationspunkt: Er macht das Spiel in der Umschalte so schnell, dass die gegnerische Abwehr sich in einem ständigen Umsturz wähnt. Da sitzt jeder Pass, Lobotka hatte wieder eine Quote von 94 Prozent gelungener Zuspiele. Auch sein Nebenmann Anguissa verdiente mal eine lobende Erwähnung, er stabilisiert die ganze Abteilung mit seinem Sinn für Balance. Doch natürlich fällt nun wieder alles Licht auf die Symbiose des Sturmduos, diese Kombo aus dem Nigerianer Viktor Osimhen und dem jungen Georgier Kvicha Kvaratshkelia.
Osimhen ist eine Naturgewalt, einer, der seinen Kopf mit der Schutzmaske im Luftduell immer vor den Kopf des Verteidigers drückt. Vor allem aber fürchtet er sich im Gegensatz zu vielen Neunern nicht vor Raum: Öffnet sich eine Prärie vor ihm, nimmt er sie sich, an guten Tagen ein bisschen wie Kilyan Mbappé. Trifft er, reisst er sich seine Maske vom Gesicht, man soll sein Lachen sehen.
Kvaratshkelias Signal an die Kritiker
Eine kleine Botschaft an die Welt wollte auch Kvaratshkelia loswerden. In den vergangenen zwei Spielen war er mal nicht ganz so inspiriert gewesen wie davor, eine Oktave unter dem üblichen Niveau. Gegen Juve aber war er wieder ganz da, mit samtenen Bällen, mit Flügen über den linken Flügel, mit dieser jugendlichen Unbekümmertheit eines Prädestinierten, der weiss, dass er prädestiniert ist. Beim Jubel über sein Tor, das zwischenzeitliche 2:0 in der 39. Minute, hielt er sich den Zeigefinger vor den Mund, um die bereits laut gewordenen Kritiker zum Schweigen zu bringen. In Italien geht das immer sehr schnell. Dann machte er mit beiden Händen eine Geste, die sagen sollte: immer mit der Ruhe, gebt mir Zeit, ihr täuscht euch schon nicht in mir. Er ist ja erst 21 Jahre alt.
5:1. In der Summe «eine Verladung», findet «La Stampa» aus Turin, recht prosaisch. Der Bunker sei diesmal einfach untergegangen. Die Zeitung gehört den Agnellis, den Besitzern von Juventus. War’s das schon mit der italienischen Meisterschaft? Nur schon beim Klang dieser Frage greifen sich die Neapolitaner reflexhaft in den Schritt.
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