Das grosse Medaillen-ChaosDas Skandalrennen wird immer absurder: Fünf der neun Schnellsten haben betrogen
Der Wirbel um das 1500-m-Olympiarennen von London nimmt zu. Die Folgen erinnern an eine unwürdige Szene beim Burger King am Flughafen.
- Tatjana Tomaschowa verlor ihre Silbermedaille von den Spielen in London 2012 wegen Dopings.
- Mittlerweile sind bereits fünf Finalistinnen des damaligen Rennens disqualifiziert.
- In der olympischen Geschichte wurden etwa 160 Medaillen wegen Dopings entzogen.
Es gibt Dinge, die so nur im Sport passieren – zum Beispiel diese Geschichte: Letzte Woche meldeten die globalen Dopingbekämpfer der Leichtathletik, dass das Resultat der Russin Tatjana Tomaschowa nun offiziell wegen Betrugs annulliert sei. Tomaschowa erlief sich vor 12 Jahren bei den Spielen in London über 1500 m die Silbermedaille.
Dass einer Athletin 12 Jahre nach dem Silberlauf die Medaille abgenommen wird, gehört noch zu den kleineren Pointen dieser Geschichte – ebenso, dass es sich bei ihr um eine Wiederholungstäterin handelt und dass sie nun nach ihrem Rücktritt noch zehn Jahre gesperrt wurde. Davor war sie wie andere russische Leichtathletinnen schon einmal überführt worden, weil sie bei einer Kontrolle Fremdurin abgegeben hatte, also Urin, der nicht von ihr stammte.
Trotzdem war sie – und hier beginnt das 1500-m-Rennen sukzessive zum Skandal zu werden – von Platz 4 auf 2 nachgerutscht. Denn den beiden Türkinnen, die an jenem lauen Sommerabend in London die Plätze 1 und 2 belegt hatten, wurde ein paar Jahre später Doping nachgewiesen.
Die schon einmal gesperrte Tomaschowa erbte. Dabei hatten kurz nach dem Final mehrere Athletinnen enorme Zweifel an der Lauterkeit so mancher Finalistin angebracht, die wortmächtigste war die chancenlose Britin Lisa Dobriskey. «Ich werde wohl Probleme bekommen mit dem, was ich nun sage», polterte sie ins Mikrofon von BBC, «aber ich habe das Gefühl, nicht faire Bedingungen vorzufinden.»
Mittlerweile wissen wir: Dobriskey hatte recht. Denn mit Tomaschowa wurde nun von den schnellsten neun Finalistinnen von London die fünfte Athletin wegen Dopings aus der Rangliste gestrichen. Längst ist eine Olympiasiegerin, die nicht als Erste ins Ziel gelaufen war: Maryam Yusuf Jamal aus Bahrain (die temporäre Dritte).
Und mit der Amerikanerin Shannon Rowbury (im Bild ganz rechts) kommt nun die Sechstplatzierte noch zu Bronze. Darüber kann sich Rowbury, die ebenfalls Zweifel an ihren Konkurrentinnen angebracht hatte, natürlich nur bedingt freuen. Ihr entging unter anderem so mancher Dollar von Sponsoren oder Meetingveranstaltern (Antrittsgeld).
Dass sie trotzdem mit einem lachenden Auge auf den Ausgang blickt, hat mit den Spielen von 2016 zu tun. Da war sie im Finish noch von ihrer Teamkollegin um einen Hauch vom Bronzeplatz verdrängt worden.
Das 100-m-Rennen ohne Olympiasiegerin
Trotzdem geht es sehr wohl noch absurder: Bei den Spielen von 2000 siegte über 100 m die Amerikanerin Marion Jones. Die Medaille war sie nach ihrer Dopingüberführung zwar los. Die Griechin Ekaterini Thanou wäre als Zweite zwar gern nachgerückt, durfte nach einer ebenfalls positiven Probe aus späteren Jahren aber nicht. In jenem Rennen hat es darum bis heute offiziell nie eine Olympiasiegerin gegeben, was in der Geschichte der Spiele einmalig ist.
Seit 1968 und dem Beginn von Dopingtests wurden überführten Athletinnen und Athleten rund 160 olympische Medaillen weggenommen – was uns zum Geher Jared Tallent führt. Der Australier verkörpert den Nachrück-Irrsinn in Person. Er stiess in seiner Karriere gleich dreimal vom Silberplatz auf den Goldrang vor, einmal auch an Sommerspielen, weshalb er mittlerweile Olympiasieger von 2012 ist.
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Bekannter wurde der Nischensportler dafür, dass er in seinem Garten eine eigene Olympiafeier abhielt, ehe er das Gold dann auch offiziell bekam. Denn lange wurde nachgerückten Olympiasiegern der Medaille-gewordene Lebenstraum bloss an Nichtorten übergeben, im Fall von US-Kugelstosser Adam Nelson etwa ausserhalb eines Burger King am Flughafen von Atlanta – neun Jahre nach seinem vermeintlichen zweiten Platz bei den Spielen von 2004.
Immerhin dieses stillose Medaille-in-die-Hand-Drücken hat das IOK inzwischen teilweise korrigiert. Bei den diesjährigen Spielen in Paris etwa ehrte es ein paar nachgerückte Athletinnen und Athleten würdevoll. Es ist eine minimale Anerkennung ihrer Leistung – stets verbunden mit der bangen Frage: Wie viele von ihnen sind Medaillenbesitzerinnen und -besitzer auf Zeit?
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