Meinung zur Gewalt in der ErziehungOhrfeigen gehören verboten
Den Nachbarn darf ich nicht schlagen. Das eigene Kind aber schon. Nächste Woche könnte der Nationalrat
diesen Missstand endlich beheben.
Bisher wollte das Parlament nichts wissen von einem Ohrfeigenverbot. Nur SP und Grüne stimmten jeweils zu. Wenn der Nationalrat nächste Woche über den Vorstoss der Freiburger CVP-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach abstimmt, könnte es aber klappen. Ziel ihres Postulats ist es, ein Züchtigungsverbot im Zivilgesetzbuch zu verankern, wo die Erziehung geregelt ist. Heute sind Ohrfeigen erlaubt, seit 1978 zwar nicht mehr ausdrücklich, aber nach gerichtlicher Auslegung dennoch: So weit die Strafaktionen ein «von der Gesellschaft toleriertes Mass» nicht überschreiten.
Ohrfeigen sind nicht das grösste Problem der heutigen Jugend. Spricht man mit Lehrkräften, Psychologen und Sozialarbeitern, zeigt sich ein anderes Bild: Kinder und Jugendliche sind überfordert und reizüberflutet. Sie haben zu viele Möglichkeiten, zu viel Leistungsdruck, zu wenig Ruhe. Sie sind ab Primarschulalter permanent erreichbar und mit ihrem Freundeskreis vernetzt. Die Folgen sind Ängste, Kopfschmerzen und Suizidgedanken. Darauf sollte die Politik ebenfalls achtgeben, von diesem Problem sind noch viel mehr Kinder betroffen.
Dennoch bleibt Gewalt ein Thema, bei einer «stabilen Subgruppe von Eltern» gehörten Körperstrafen zur Erziehung dazu, analysierte die Universität Freiburg vor wenigen Wochen. Im Schnitt werde heute noch ein Kind pro Schulklasse regelmässig körperlich bestraft.
Eine Busse für jede Ohrfeige?
Viele fragen sich, welche Folgen ein Gewaltverbot hätte für Eltern, die ihrem Kind im Affekt hin und wieder eine Ohrfeige verpassen, und wie so ein Verbot durchgesetzt werden könnte, da man ja nicht in die Familien hineinsieht. Manche sind deshalb skeptisch gegenüber einem Gewaltverbot, sie halten es für realitätsfern.
Die Erklärung ist einfach: Was verboten ist, wird nicht mit derselben Selbstverständlichkeit gemacht. Wer sich über ein Verbot hinwegsetzt, weiss, dass er potenziell dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Natürlich nicht immer: Nicht auf jede Geschwindigkeitsübertretung flattert eine Busse ins Haus. Und nicht bei jeder Ohrfeige müsste die Mutter oder der Vater künftig vor den Richter. Zahlreiche Gesetzesverstösse bleiben im Alltag unbemerkt und ungesühnt. Doch es könnte passieren, dass jemand erwischt wird. Mit diesem Risiko leben Menschen, wenn sie gesetzliche Schranken missachten. Mit diesem Risiko würden künftig Eltern leben, denen «die Hand ausrutscht».
Es muss heute einfach klar sein, dass man nicht schlagen darf. Auch nicht die eigenen Kinder – gerade die nicht.
Ein Gewaltverbot hätte – wie jedes Verbot – eine grosse Signalwirkung. Es gäbe weniger Gewalt in Familien, und das allein wäre schon sehr wertvoll. Darüber hinaus muss es in unserer Gesellschaft heute einfach klar sein, dass man nicht schlagen darf. Auch nicht die eigenen Kinder – vor allem die nicht, die Schwächsten und Wehrlosesten. Ausgerechnet bei ihnen ist es erlaubt.
Es ist eben nicht so, dass eine Ohrfeige zum richtigen Zeitpunkt unschädlich oder sogar nützlich wäre. Auch würden die wenigsten eine Ohrfeige wie die Komikerin Hazel Brugger als «wahre Liebe» schildern (sie meint das natürlich ironisch). Vielmehr verletzt jeder körperliche Übergriff die Integrität eines Menschen und behindert ihn in seiner emotionalen und geistigen Entwicklung. Wenn der Übergriff von einem Erziehungsberechtigten kommt, der das Kind beschützen und fördern müsste, und der Staat diesen Übergriff noch billigt, ist das zum Schämen.
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