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Helfen zwischen den Fronten
«Ohne Verhandlungen geht gar nichts – und die sind Chefsache»

Von der Ukraine scharf kritisiert: Der Besuch von IKRK-Präsident Peter Maurer beim russischen Aussenminister Sergei Lawrow in Moskau. 
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Gegen das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sei eine «breite und systematische Kampagne von Fehlinformationen» in Gang, beklagt die humanitäre Organisation in Genf. Die Vorwürfe, welche im Netz anonym, aber zum Teil auch von der ukrainischen Führung erhoben werden, sind massiv: Das IKRK stehe Moskau viel zu nahe, helfe bei der «Entführung» ukrainischer Flüchtlinge nach Russland und tue zu wenig, um Menschen zu retten, die etwa in Mariupol eingeschlossen sind. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine hat offenbar Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen.

Eines der Bilder, welche die Debatte anheizen, stammt vom 24. März. Es zeigt IKRK-Präsident Peter Maurer, der in Moskau dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht die Hand reicht. Doch Schweizer Helfer sagen, die Kritik der Ukraine sei nicht fair, denn ohne solche Kontakte könne die Hilfsorganisation nicht arbeiten.

Hat lange für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit mit der Ukraine gearbeitet: Dietrich Dreyer 2019 in Donezk.

«Das IKRK muss keine Rücksicht nehmen auf politische Befindlichkeiten», sagt Dietrich Dreyer, der lange für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit mit der Ukraine gearbeitet hat. Das Ziel sei dabei allein, dass die Organisation ihre humanitäre Arbeit machen könne. «Man hat auf beiden Seiten Verhandler, und ohne Verhandlungen geht gar nichts – und die hier sind Chefsache», sagt Dreyer. In Ländern wie Russland würden die wichtigen Entscheide ganz oben im Staat getroffen, und genau mit diesen Leuten müsse sich der IKRK-Präsident eben treffen.

Maurer kenne Lawrow persönlich von seiner früheren Arbeit bei der UNO und als Staatssekretär. Und das sei ein wichtiger Türöffner, dank dem das IKRK seine Arbeit in der Ukraine machen könne. Natürlich rede er auch mit der ukrainischen Seite. «Eine Woche vor seinem Besuch in Moskau war er in Kiew», sagt Dreyer, aber davon sei in der ganzen Kontroverse nie die Rede.

Hat im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit mehrere Jahre in der Ostukraine vermittelt: Der Schweizer Botschafter Toni Frisch.

Auch Toni Frisch, der mehrere Jahre in der Ostukraine zwischen der Regierungsseite und den abtrünnigen Republiken Donezk und Luhansk vermittelt hat, betont, dass es unerlässlich sei, mit beiden Seiten zu sprechen. «Wenn zwischen Kriegsparteien, noch dazu in der absolut heissen Phase wie gerade jetzt, Lösungen gefunden werden sollen, um beispielsweise einen humanitären Korridor zu öffnen und Zivilisten zu evakuieren, muss man natürlich mit beiden Seiten kooperieren», betont er. «Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit müssen dabei stets respektiert werden.»

Denn die Neutralität sei die Voraussetzung dafür, dass man Leben retten und beiden Parteien gerecht werden könne. Das IKRK sei eine erfahrene Organisation und sei es gewohnt, in solch schwierigen Situationen zu arbeiten, sagt Frisch. «Ich gehe davon aus, dass dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt in Mariupol und anderswo gefordert sind, alles daran setzen, Lösungen zu finden.»

Das IKRK hilft beim Öffnen von Fluchtkorridoren: Flüchtlinge aus Mariupol kommen in Saporischschja an.

Die ukrainische Seite wirft dem IKRK jedoch vor, gerade in Mariupol dabei geholfen zu haben, ukrainische Bürger zwangsweise nach Russland zu bringen. Die Stadtverwaltung spricht von 15’000 Menschen, die angeblich nach Russland verschleppt wurden. «Tatsache ist, dass die ersten, von russischer Seite offerierten, humanitären Korridore nach Osten gingen», sagt Frisch. «Die Leute haben teilweise abgelehnt, diese zu benutzen und in dieser Richtung evakuiert zu werden, was leicht nachvollziehbar ist.»

Ob und inwieweit in gewissen Fällen Druck oder sogar Gewalt ausgeübt wurde, könne er nicht sagen. Es habe aber sicher auch Menschen gegeben, die nach Russland fliehen wollten, auch aus Mariupol.

Dem schliesst sich Dreyer an. Man müsse nur die Karte zur Hand nehmen, Mariupol sei die letzten acht Jahre eine Frontstadt gewesen, praktisch an der Grenze zu den von Russland unterstützten abtrünnigen Gebieten. Als Erstes seien die Verwaltungsangestellten aus Mariupol geflohen, die direkte Repressalien fürchten mussten. «Der grosse Rest stellte sich die Frage: Wo bin ich schneller in Sicherheit, und wo habe ich meine Verwandten?» Viele Menschen in Mariupol hätten im ostukrainischen Donezk Familie; die Städte gehörten früher zur gleichen Region und waren eng verbunden. 

Vom Wasser abgeschnitten

Die Vorwürfe der Ukraine gegen die Helfer seien insbesondere unfair, weil das IKRK in der Ostukraine stark engagiert sei, wo der Krieg mit prorussischen Separatisten bereits acht Jahre dauert und über 13’000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Organisation verfüge dort über einen beeindruckenden Leistungsausweis, sagt Dreyer. Zusammen mit der UNO habe das IKRK auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie Hilfe gebracht, mehrheitlich aber in den von der Regierung kontrollierten Teil. 

An dritter Stelle kam dann bereits die Schweizer Unterstützung, sagt Dreyer, die ebenfalls auf beiden Seiten half. Etwa mit der Unterstützung der lokalen Wasserwerke, die fast vier Millionen Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgten – auf beiden Seiten der Front. Nach Kriegsbeginn hat die Ukraine die östlichen Gebiete allerdings vom Wasser abgeschnitten: Donezk lebe nun von Reserven, es gebe nur noch für zwei, drei Stunden Wasser am Tag, sagt Dreyer. Regionen in Luhansk hätten wie etwa Mariupol gar kein Wasser mehr.