Fragen an Hans Ulrich ObristWas ist Universalismus?
Gibt es eine gedankliche Säule, welche die ganze Welt trägt? Darüber diskutierten kürzlich einige der grössten Denkerinnen und Denker.
Die Frage, ob es etwas gibt, worauf sich alle einigen können, beschäftigt mich seit langem. In gewisser Weise bieten Kunstwerke eine Erfahrung, die jeder Mensch auf der Welt auf seine Weise machen kann. Aber das ist eben nicht dasselbe wie die Idee, dass die Weltgemeinschaft ein paar grundlegende Wertvorstellungen, Ideale und Anschauungen teilt. Dass es eine gemeinsame Basis gibt, eine fundamentale Übereinstimmung in einer sonst völlig fragmentierten Welt.
Natürlich kennen wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Charta der Vereinten Nationen, auf die sich die meisten Länder der Erde verständigt haben. Doch Staaten sind nicht Menschen, und zudem wird der Vorwurf lauter, diese Form des völkerrechtlichen Universalismus sei ein unfreier, hegemonialer Universalismus, ein Universalismus Europas beziehungsweise des Westens, der eben nicht von allen Menschen, vielleicht nicht einmal von ihrer Mehrheit geteilt werde.
Weil mich diese Frage so umtreibt, habe ich in Zusammenarbeit mit dem Berggruen Institute und meinem Kollegen Lorenzo Marsili eine mehrtägige Marathondiskussion organisiert, auf der wir mit achtzehn Philosophinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt über dieses Thema debattierten. Unter ihnen war der senegalesische Philosoph Souleymane Bachir Diagne, der an der New Yorker Columbia University lehrt und erklärte, dass es einen Universalismus nie einfach gibt, sondern dass man ihn sich immer erarbeiten muss. Diesen Faden nahm die Stanforder Politikwissenschaftlerin Margaret Levi auf. Sie sagte, dass sie statt von Universalismus lieber von Kollaboration spreche, von Zusammenarbeit. An einem sehr anschaulichen Beispiel demonstrierte sie, wie Gewerkschaften Menschen, die politisch völlig unterschiedlich ticken, hinter einer gemeinsamen Mission versammeln konnten. Entscheidend sei dabei gewesen, dass das gemeinsame Ziel niemanden ausschliesst, sondern sich an potenziell alle richtet.
Levi kritisierte auch, dass Begriffe wie Freiheit oder Gerechtigkeit, die von einer Elite definiert werden, ungeeignet seien als gemeinsamer Nenner für alle. Ähnlich argumentierte auch die französische Philosophin Barbara Cassin. Die Einteilung in mehr oder weniger wichtige Werte sei eine Hierarchisierung einer Minderheit für eine Mehrheit.
Wahren Universalismus, darin waren sich letztlich alle einig, kann es nur geben, wenn auch alle dabei mitmachen.
Mehr Informationen unter: berggruen.org/projects/universalism
Hans Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London.
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