Jugendkrawalle gegen CoronaOberster Polizeidirektor fordert Lockerungen für Junge
Polizeikontrollen seien die falsche Antwort auf Jugendpartys in Schweizer Städten, sagt der St. Galler Polizeidirektor Fredy Fässler. Er verlangt eine Debatte über Erleichterungen der Corona-Massnahmen für junge Leute.
St. Gallen, Wil, Winterthur, Zürich: In all diesen Städten planten Junge am Freitag grosse Partys – wie schon an den vergangenen zwei Wochenenden in St. Gallen. Die Polizei versuchte überall, Ansammlungen mit Personenkontrollen und Wegweisungen zu verhindern.
Nun fordert der oberste Schweizer Polizeidirektor eine Kursänderung. «Unser System gelangt sehr schnell an den Anschlag, wenn es jeden Freitag und Samstag zu solchen Ausschreitungen kommt, und erst noch an mehreren Orten», sagt Fredy Fässler, St. Galler SP-Regierungsrat und Präsident der Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren. «Die Polizei kann das auf Dauer nicht prästieren. Wir brauchen rasche Lösungen, nicht erst in zwei Monaten.»
Auch bei Fangewalt funktionierte Repression allein nicht
Wohl könne die Polizei bei Gewalt und Sachbeschädigungen eingreifen, wie das in St. Gallen bereits geschehen ist (lesen Sie, welche Rolle ein Hollywood-Film dabei spielte). Sie sei aber weder zuständig noch dazu ausgebildet, gesellschaftliche Aufgaben zu lösen, sagt Fässler. «Die Gewalt bei Fussballspielen wollten wir zu Beginn auch ausschliesslich mit der Polizei lösen, bis wir merkten, dass das nicht funktioniert, wenn die präventive Fanarbeit fehlt.» Ähnlich sei es nun mit den Jugendkrawallen. «Ein Jahr lang haben alle darüber geredet, was Corona mit den alten Menschen, den Spitälern und der Gastronomie macht. Wie es der Jugend dabei wirklich geht, war nur am Rand ein Thema», kritisiert der St. Galler Sicherheits- und Justizdirektor. «Und die Jugendlichen wurden auch nie in die Entscheidfindung einbezogen.»
Anfang Woche hatten fünf Schweizer Jungparteien bereits mehr Mitsprache für Junge bei der Bewältigung der Corona-Krise verlangt. Mit Fässler erhalten sie nun einen ersten gewichtigen Fürsprecher.
«Wir müssen uns überlegen, wie wir den Bedürfnissen der Jungen etwas entgegenkommen können.»
Fässler fordert einen «neuen Diskurs» mit den Jungen und bis zuoberst zum Bundesrat. «Wir müssen uns überlegen, wie wir den Bedürfnissen der Jungen etwas entgegenkommen können. Wenn die Obergrenze für Treffen von 15 Personen das nicht zulässt, müssen wir uns etwas Besseres einfallen lassen», sagt Fässler. Diese Überlegung hat der Bundesrat bereits im Februar begonnen: Per 1. März erlaubte er sportliche und kulturelle Aktivitäten für junge Menschen bis 20 Jahre wieder.
Wohl kann eine Covid-Erkrankung auch ihre Gesundheit stark beeinträchtigen, doch ist das deutlich seltener der Fall als bei Erwachsenen. Zudem seien die Einschränkungen des Soziallebens für Junge besonders hart, argumentierte Gesundheitsminister Alain Berset damals.
Eine Experimentierklausel für die Städte
Bersets Parteikollege Fredy Fässler erwartet darum, dass der Bundesrat einen weiteren Schritt tut und auch für die jungen Erwachsenen Erleichterungen prüft. «Eine Möglichkeit wäre, Veranstaltungen für Junge mit strengen Schutzkonzepten wieder zuzulassen. Die Risiken lassen sich auch mit Corona-Tests reduzieren», sagt Fässler. Er könne sich auch eine Experimentierklausel vorstellen, die Kantonen oder Städten die Möglichkeit gebe, etwas auszuprobieren.
«Wir müssen einfach etwas über den Tellerrand hinausschauen und uns von der Illusion lösen, dass die Polizei das Problem schon aus der Welt schaffen wird», sagt der St. Galler Justiz- und Polizeidirektor. Systemwidrig sei es nicht, Veranstaltungen nur für Junge zu erlauben. «Schliesslich werden die Impfungen vorerst auch nur für die älteren Menschen bereitgestellt. Seit Beginn der Pandemie gab es keine Gleichberechtigung, und jetzt wäre es angezeigt, dass man für die Jungen etwas macht.»
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