«Oasis: Knebworth 1996»Wenn man bei einem Konzert dabei gewesen sein sollte, dann bei diesem
Oasis waren vor 25 Jahren für kurze Zeit mindestens so etwas wie die neuen Beatles. In dem Dorf Knebworth spielten sie zwei legendäre Konzerte – vor 250’000 Fans ohne Handys. Eine neue Doku bringt das Spektakel nun ins Kino.
Natürlich verhalten sich Konzertfilme zu Konzerten ungefähr so wie Selbstbefriedigung zum Geschlechtsverkehr – aber manchmal geht es eben nicht anders.
Wenn man zum Beispiel im Sommer 1996 dermassen mit den Niederungen des Nicht-in-Latein-Durchfallens beschäftigt war, dass man es partout nicht zum Oasis-Konzert nach Knebworth geschafft hat, ist das im Nachhinein sehr schade, und man kann sich jetzt wenigstens an der Filmversion des Auftritts erfreuen.
Denn die Band war damals für kurze Zeit mindestens so etwas wie die neuen Beatles. Sie spielte in dem Dorf Knebworth in Hertfordshire, England, zwei legendäre Konzerte. Die dortige Parkanlage eines Landsitzes wird seit Jahrzehnten als Open-Air-Spielstätte genutzt. Die Rolling Stones traten dort auf, Pink Floyd, die Beach Boys und Paul McCartney – aber eben niemand vor so vielen Menschen wie Oasis am 10. und 11. August 1996. Jeweils 125'000 Fans kamen pro Abend, eine Viertelmillion insgesamt, die BBC übertrug live.
Die Tickets kosteten ungefähr so viel wie heute auf einem Konzert ein Bier
An diesen Höhepunkt des Britpop erinnert nun der Konzertdokumentarfilm «Oasis: Knebworth 1996» von Jake Scott, der für kurze Zeit ins Kino kommt (und auf den im November noch ein Live-Album folgen wird). Der Film ist für jeden Oasis-Fan eine schöne Sache. Als Fan gilt man zum Beispiel, wenn man einst in einem One-Pound-Bookstore in Greenwich nicht ein und auch nicht zwei, sondern drei Ausgaben des Buchs «Getting High: The Adventures of Oasis» erworben hat.
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Selbst wenn nur fünf Prozent der Backstage-Exzesse stimmen, die in diesem Buch geschildert werden, muss es sehr wild zugegangen sein, als die Gebrüder Liam und Noel Gallagher ihre Sturm-und-Drang-Phase durchlebten. Die beiden sprechen zwar seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr miteinander, seit sie Oasis 2009 im Streit aufgelöst haben (und zwar, wie das bei erwachsenen Männern so üblich ist, weil der eine die Gitarre des anderen kaputt gemacht hatte). Aber sie haben den Film trotzdem beide mitproduziert und sind auch in O-Tönen zu hören.
Warum um Gottes willen, rekapituliert Noel Gallagher, er ausgerechnet bei diesem Monsterkonzert nicht seinen offensichtlichsten Hit gespielt habe – «Rock'n'Roll Star» – sei ihm bis heute ein Rätsel. Vielleicht waren es die Drogen. Beide haben ja oft genug erörtert, dass sie sich an die Neunzigerjahre eher unscharf erinnern.
Vor einiger Zeit berichtete der Regisseur Danny Boyle bei einem Interview, dass er Noel Gallagher um einen Beitrag für den Soundtrack seines Films «Trainspotting» gebeten habe, der im Knebworth-Jahr 1996 ins Kino kam. Dieser habe aber genervt abgesagt, weil er dachte, es handele sich um eine Dokumentation über Menschen, die sich Züge anschauen. Diese Anekdote nur zur Einordnung des Gemütszustands der Brüder damals. Aber wo soll man schon anderes landen als im Wahnsinn, wenn man, wie Noel Gallagher, innerhalb einer einzigen Woche die Songs «Wonderwall» und «Don't Look Back in Anger» geschrieben hat?
Der Film porträtiert die Zeit, in der diese Songs neue Hymnen waren. Eine Zeit, in der Konzerttickets nicht im Internet beworben und verkauft wurden. Von Knebworth, erinnern sich Fans im Film, erfuhren sie aus dem Teletext. Die Tickets kosteten 22 Pfund und 50 Pence – also ungefähr so viel wie heute auf einem Stadionkonzert ein lauwarmes Bier im Plastikbecher.
Warum Oasis vor der Coldplay-isierung des Britpop die wichtigste Band des Königreichs, vielleicht auch der Welt waren, zeigt das Konzert eindrücklich. Es mangelte in den Neunzigerjahren ja nicht an Konkurrenz. Auch die anderen Helden jener Jahre – Richard Ashcroft, Thom Yorke, Damon Albarn, Jarvis Cocker und wie sie alle hiessen – schrieben ihre Hits. Aber irgendwie standen sie sich mit dem Anspruch, nicht nur Rockstars, sondern auch Künstler sein zu wollen, immer ein bisschen selbst im Weg bei der Superstarwerdung.
Nachdem er mit dem Hammer eins über die Rübe bekommen hatte, wollte Liam Gallagher unbedingt Sänger werden
Kunst war für Oasis eher nicht das Problem, es gab andere Motivationen. Liam Gallagher erzählt gern die Anekdote, dass er als junger Bursche vor der Schule stand und eine Zigarette rauchte, als ein paar Schlägertypen vorbeikamen und ihm mit einem Hammer auf den Kopf schlugen – durch diesen Schlag sei ihm klar geworden, dass er Sänger werden müsse. Ob das stimmt, ist eigentlich egal, er behauptete später ja auch gern, dass der Geist von John Lennon in ihn gefahren sei – und wegen dieses Nonsens liebte man die Band ja erst recht.
Auf Knebworth angesprochen, erzählte Liam Gallagher vor ein paar Jahren bei einem Treffen in Berlin: «Nicht mal zwei Jahre davor hatten wir vor höchstens zwei Dutzend Besoffenen in Pubs und Clubs gespielt, die sich einen Scheiss für uns interessiert haben. Wenn der Erfolg dann so schnell und so heftig kommt, ist das ein verdammter Druck. Wenn du vor verdammten 125'000 Leuten gespielt hast, gehst du ja nicht um zehn ins Bett.»
Nein, dann geht man natürlich nicht um zehn ins Bett. Die Selbstverpflichtung, einfach Rockstar um des Rockstar-Daseins willen zu werden (und nicht wegen irgendeines Kunstquatsches!), gab die Songs vor, mit denen die Band die Massen nach Knebworth lockte: «Cigarettes & Alcohol». «Champagne Supernova». «Live Forever».
Natürlich war in diesem hedonistischen Erfolgsrezept der Niedergang schon inkludiert. In Knebworth war die Band «tight as fuck» wie Noel Gallagher es im Film resümiert – nicht allzu viel später franste aber alles auseinander. Drogenbedingt. Geschwisterzwistbedingt. Bei dem Versuch, auch in den Vereinigten Staaten auf Knebworth-Grösse zu wachsen, waren die Brüder so dicht, dass sie bei einem Konzert zwar gleichzeitig anfingen zu spielen – aber leider unterschiedliche Songs. Nun ja.
Auf jeden Fall gab es zuletzt tatsächlich bei H&M Oasis-T-Shirts. Da fühlt man sich natürlich sehr alt, wenn die Lieblingsband von früher sich merchandisingmässig neben den Ramones einreiht. Man hätte weitergehen können, kopfschüttelnd, schimpfend, wie man es als soeben alt gewordener Mann eben so macht.
Aber weil man eben gerade vor dieser schockierenden Entdeckung den schönen Knebworth-Konzertfilm aus dem weit entfernten Sommer 1996 gesehen hatte (das war ja sogar noch vor den Tamagotchis!), musste man halt doch zuschlagen. Die eigenen Jugendjahre, destilliert in einem T-Shirt für 14.95 Franken, Made in India. Aber immerhin 100% Baumwolle.
«Oasis: Knebworth 1996» hat vorerst keinen Filmstart in der Schweiz.
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