Energiemangel im Kanton ZürichNotfalls würde der Strom alle vier Stunden ein- und ausgeschaltet
Nun ist klar, wie sich der Kanton Zürich auf den kommenden Winter vorbereitet. Noch hofft Baudirektor Martin Neukom, dass es nicht zum Äussersten kommt.
Das Szenario nennt sich zyklische Abschaltung. Und es ist drastisch. Würde sich der Gas- und Strommangel in Europa und der Schweiz massiv zuspitzen, so würden die Elektrizitätswerke den Kanton zweiteilen. Dann hätte jeweils die eine Hälfte vier Stunden lang Strom, die andere nicht. Nach vier Stunden käme die andere Hälfte dran. Jeweils am Wochenende würde Rhythmus um eine Stunde verschoben, damit nicht immer dieselben Gebiete zur selben Zeit Energie hätten.
Noch ist es nicht so weit. Und es braucht auch viel, dass es so weit kommt: Der Winter müsste sehr kalt werden, die französischen AKW anders als geplant nicht wieder ans Netz gehen, Sparappelle nichts fruchten, kaum mehr Gas verfügbar sein – und zusätzlich ein Schweizer Kraftwerk ausfallen. Das sagten Martin Neukom, als Baudirektor auch Energieminister des Kantons, und Daniel Bucher, Leiter des Geschäftsbereichs Netze bei den EKZ, heute Dienstag vor den Medien.
Aber die Botschaft war auch: Wir müssen auf alle Szenarien vorbereitet sein, und wir sind vorbereitet.
Immer grössere Einschränkungen
Zyklische Abschaltungen sind dabei die letztmögliche Massnahme, betonte Daniel Bucher: «Die Pläne dafür liegen bei uns im Tresor. Die Blaulichtorganisationen und die Krisenstäbe kennen sie. Aber wir müssen und werden alles tun, damit es nicht so weit kommt.» Denn dann stünde das öffentliche Leben ebenso wie ein grosser Teil der Wirtschaft praktisch still. «Davor haben wir grossen Respekt», so Neukom, «denn eine Abschaltung trifft alle Bezüger in der betroffenen Region.»
Um den schlimmsten Fall zu verhindern, ist deshalb eine Kaskade von immer grösseren Einschränkungen geplant, wie Bucher erklärte. Reichen die aktuellen Sparappelle nicht aus, so würden Strom und Gas zuerst kontingentiert.
Das betrifft aber nur Grossverbraucher. Sie bekämen Vorgaben, wie viel Energie sie noch verbrauchen dürften; manche nicht zwingend nötige Betriebe wie etwa Wellness-Anlagen würden geschlossen. Der grosse Vorteil: Kontingente können praktisch beliebig differenziert verfügt werden.
Von Gas auf Diesel umschalten
Zudem ist geplant, sogenannte Zweistoffanlagen, die mit Gas oder Diesel betrieben werden können, auf Diesel umzustellen. «Das ist fürs Klima zwar nicht optimal», sagte der grüne Baudirektor, «aber gemessen an der Gesamtbilanz vertretbar.» Zusätzlich könnten Notstromaggregate aktiviert werden.
«Es ist besser, während der nächsten Monate fünf oder zehn Prozent Energie zu sparen, als zu riskieren, dass wir im Februar plötzlich dreissig Prozent weniger verbrauchen dürfen.»
Mit all diesen Massnahmen könnten geschätzte 15 bis 20 Prozent Strom gespart werden, der Gasverbrauch könnte um bis zu 30 Prozent sinken. Gerade beim Strom gibt es laut Neukom Grund zur Zuversicht, denn die Schweiz stellt rund neunzig Prozent der Elektrizität selbst her. «Ich bin überzeugt, dass wir mit Sparmassnahmen Abschaltungen verhindern können.»
Wann welche Einschränkung verfügt würde, kann der Kanton nicht entscheiden. Das liegt in der Kompetenz des Bundesrats. «Wir können nur an den Bund appellieren, dass die Massnahmen rechtzeitig getroffen werden», so Neukom. «Es ist besser, während der nächsten Monate fünf oder zehn Prozent Energie zu sparen, als zu riskieren, dass wir im Februar plötzlich dreissig Prozent weniger verbrauchen dürfen.»
Der Rheinfall bleibt künftig dunkel
Der Kanton bleibe aber trotzdem nicht untätig, betonte Neukom: «Wir sind ja auch ein Energiebezüger, und wir sind von den Sparappellen nicht ausgenommen.» Einen Hebel sieht der Baudirektor vor allem in drei Bereichen:
Gebäudebeleuchtung: Vor allem die Aussenbeleuchtung soll reduziert werden. So haben Zürich und Schaffhausen beschlossen, die Rheinfall-Beleuchtung abzuschalten. Auch andere Gebäude wie etwa das Grossmünster werden möglicherweise nicht mehr angestrahlt. Details werden derzeit ausgearbeitet.
Tiefere Raumtemperatur: Die Büros in der kantonalen Verwaltung sollen nicht mehr über 20 Grad geheizt werden. Bei mehr als 2000 Gebäuden im Besitz des Kantons ist die Umsetzung allerdings nicht einfach und der Spareffekt schwer einzuschätzen, wie Neukom einräumte: «Wir können nicht einfach einen Schalter umlegen.»
Effizient lüften: Vor allem gekippte Fenster soll es diesen Winter in keinem Verwaltungsgebäude mehr geben. Aber auch da sei man auf die Mitwirkung der Mitarbeitenden angewiesen.
Einen unterschätzten, aber effizienten Hebel sieht Neukom zudem beim Stand-by von Geräten. Er blendete eine Grafik ein, die den Stromverbrauch der kantonalen Zentralverwaltung zeigt. Das Verblüffende: Nachts und am Wochenende liegt der Verbrauch nur um fünfzig Prozent tiefer als werktags, obwohl dann niemand arbeitet. «Da liegt noch viel drin», so der grüne Regierungsrat. «Gerade in Privathaushalten könnte mit der Installation von Kippschaltern viel Strom gespart werden.»
Keine Weihnachtsbeleuchtung in den Gemeinden?
Ähnliche Pläne wie der Kanton wälzen auch die Gemeinden, wie Jörg Kündig erläuterte. Kündig ist Präsident des kantonalen Gemeindepräsidien-Verbands. Er verwies auf einen unlängst aufgeschalteten Leitfaden für Gemeinden. Dieser sei «sehr wertvoll». Die Gemeinden hätten in einer Energiemangellage verschiedene Aufgaben: Sie müssten Auskünfte erteilen, Einschränkungen überprüfen und gleichzeitig den eigenen Verbrauch drosseln.
Im Fokus sind dabei – neben der Raumtemperatur in den Büros – nicht nur Hallenbäder, Freizeitanlagen oder Alterszentren, sondern auch die Weihnachtsbeleuchtungen. Noch nicht zur Diskussion steht eine generelle Reduktion der Strassenbeleuchtung – einerseits aus Sicherheitsgründen, anderseits aber auch, weil die Beleuchtung nicht einfach nur an bestimmten Orten ausgeschaltet werden kann. Denn noch lassen sich die Lampen nicht einzeln steuern.
Ebenfalls kein Thema ist eine Homeoffice-Pflicht. Denn Daten der Pandemie zeigen: Damit wird der Stromverbrauch einfach an Private ausgelagert, der Spareffekt ist minim.
Sparappelle wirken schon
Bleibt die Frage, wie viel die aktuellen, freiwilligen Sparappelle bringen. Für Privathaushalte und kleinere Betriebe haben die EKZ dazu noch keine Daten, aber zumindest bei Grossbezügern ist die Tendenz klar und erfreulich: Verglichen mit dem Vorjahr haben sie im September rund vier Prozent weniger Strom verbraucht.
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