Not in der PandemieNordkorea hungert
Um das Land vor Corona zu schützen, hat Kim Jong-un die Verbindungen nach aussen gekappt. Nun werden die Lebensmittel knapp. Wie ernst ist die Lage?
Es ist, als sei Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un mit neuem Elan aus den Ferien zurück. Im Mai war er kaum zu sehen. Jetzt erscheint er wieder häufiger in den Staatsmedien. Am Dienstag eröffnete er in Pjöngjang eine Parteiversammlung, auf der es um Nordkoreas grosse Gegenwartsthemen gehen soll. Unter anderem um die schlechte Versorgungslage im Land, die internationale Hilfsorganisationen sowie Südkoreas Vereinigungsministerium seit Monaten anmahnen und die Kim in seiner Ansprache einräumte.
Laut der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA sagte Kim: «Die Lebensmittelsituation der Menschen wird jetzt angespannt, weil der landwirtschaftliche Sektor wegen der Schäden durch Taifune letztes Jahr seinen Plan zur Getreideproduktion nicht einhalten konnte.»
Der «mühsame Marsch»
Dass Kim Jong-un über Krisen spricht, ist im Grunde nicht ungewöhnlich. Er will ja der Führer sein, der die Probleme erkennt. Aber Nordkoreas aktuelle Lebensmittelkrise muss besonders schlimm sein, sonst würde er nicht derart deutlich internationale Warnungen bestätigen. Schon im April hatte Kim Jong-un die 25 Millionen Menschen im Land auf einen «mühsamen Marsch» eingeschworen. Die Redewendung kennen alle in Nordkorea. Sie bezieht sich auf die Hungersnot in den Neunzigerjahren, bei der damals insgesamt bis zu 3 Millionen Menschen gestorben sein sollen.
Die Frage nach den Gründen für die Not beantwortet Kim Jong-un naturgemäss etwas anders als die internationalen Beobachter. Diese verweisen nicht nur auf Unwetter und internationale Sanktionen. Sie sehen die Probleme auch als Folge der strengen nordkoreanischen Anti-Coronavirus-Politik, die verhindern soll, dass eine Infektionswelle auf das schlecht ausgestattete Gesundheitswesen der Parteidiktatur trifft. Das Regime hat die Nation wegen der Pandemie weitestgehend abgeschottet. Fast niemand kommt ins Land. Es gibt wohl auch strenge Reisebeschränkungen innerhalb Nordkoreas.
10 Millionen hungern
Die internationalen Hilfsorganisationen mit Sitz in Pjöngjang haben das Land verlassen. Auch Südkorea kann nicht helfen. Dabei stellte die unabhängige Genfer Analyse-Organisation Acaps erst kürzlich fest, dass in Nordkorea wegen «chronischer Lebensmittelunsicherheit und begrenzten Zugangs zu grundlegenden Dingen wie Gesundheitsversorgung und sauberem Wasser mehr als 10 Millionen Menschen humanitäre Hilfe» bräuchten.
Immerhin, Nordkorea-Beobachter glauben nicht, dass diese Hungersnot so gross wird wie die in den Neunzigerjahren. Damals war gerade die Sowjetunion zusammengebrochen, Nordkorea verlor deshalb überlebenswichtige Wirtschaftshilfen. Und ein bisschen helfen lässt sich das Regime doch: Von der chinesischen Regierung nämlich, die ein strategisches Interesse daran hat, dass ihr kleines Nachbarland durch diese Krise kommt.
Keine Selbstkritik
Wie gross das Problembewusstsein von Kim Jong-un wirklich ist, kann keiner wirklich abschätzen. Es gibt unbestätigte Gerüchte aus Nordkorea, wonach Menschen während der strengen Ausgangssperren verhungert seien. Und wirklich selbstkritisch wirkte Kim Jong-un in den Staatsmedien nicht. Er sprach sogar von Erfolgen: Die nationale Industrie habe um 25 Prozent mehr produziert als zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr.
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