Alarmierende RekordeNoch nie wurden in der Arktis so viele Treibhausgase freigesetzt
Die Sommerbilanz der Waldbrände im hohen Norden ist ernüchternd. Die CO₂-Emissionen waren noch höher als im Rekordjahr 2019. Setzt sich der Trend fort, hat das gravierende Folgen für den Klimaschutz.
Die negativen Botschaften aus der Arktis reissen auch dieses Jahr nicht ab. Im Gegenteil. Der europäische Überwachungsdienst für die Atmosphäre Copernicus meldet heute einen neuen Rekord: «Diesen Sommer tobten Brände um den Nördlichen Polarkreis, welche die Rekord-Emissionen des letzten Jahres um einiges übertrafen.»
Die CO2-Emissionen des ersten Halbjahres sind im Vergleich zu 2019 um rund ein Drittel gestiegen. Der geschätzte Wert liegt gemäss Copernicus bei 244 Megatonnen CO2, das entspricht etwa der fünffachen Menge, die jährlich in der Schweiz durch Verkehr, Heizungen und die Industrie ausgestossen wird.
Die grössten Feuersbrünste beobachtet der Überwachungsdienst in der russischen Republik Jakutien, wo Millionen Hektaren wertvoller Wald verbrannten. Die Wissenschaftler schätzen, dass die Emissionen in diesem Gebiet im Vergleich zum Vorjahr um knapp 90 Prozent zugenommen haben. Die Feuerintensität war ungewöhnlich hoch und lang – von Juli bis Ende August. Insgesamt übertrafen die Emissionen mit 540 Megatonnen CO2 in der 18-jährigen Datenreihe sogar die bisher höchsten Messwerte aus dem Jahr 2003.
Wo genau die Feuer entfacht wurden, ist laut Wissenschaftlern schwer auszumachen. Die Forscher gehen aber davon aus, dass zu Beginn der Saison sogenannte Zombie-Feuer die Brände entzündeten. «Sie schwelten wahrscheinlich über die Wintermonate unter dem Boden», schreiben sie in einer Mitteilung.
Feuer gehören grundsätzlich zum Lauf der Natur. Sie sind wichtig, um die Wälder zu verjüngen. Nach Bränden wächst stets eine neue Vegetation nach. Die ungewöhnlich hohe Feueraktivität der letzten beiden Jahre muss deshalb nicht schon ein eindeutiges Zeichen des Klimawandels sein. Dennoch passen die Beobachtungen aus dieser Region zu dem, was die Klimaforscher erwarten, wie Andreas Fischlin, Vizevorsteher im Weltklimarat IPCC erklärt.
Nirgendwo erwärmt sich die Erdoberfläche so stark wie in den arktischen Gebieten. Hinzu kommt, dass durch den Rückgang der Eisflächen mehr Sonnenstrahlung auf der Erdoberfläche gespeichert wird, was zusätzlich zu einem Temperaturanstieg führt. Die Fläche der arktischen Meereisdecke schrumpfte gemäss Copernicus auf das bisherige Juli-Rekordminimum des Datensatzes aus dem Jahr 2012. Sie lag knapp 27 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt von 1981 bis 2020. Das hatte auch Konsequenzen auf die Schifffahrt: Die arktische Nordostpassage entlang der nördlichen Küste Sibiriens war nahezu komplett eisfrei.
Ungewöhnlich hohe Temperaturen
Zwar weisen der nördliche Polarkreis und Sibirien stets hohe Temperaturschwankungen auf. Solche überdurchschnittlich hohen Temperaturen in Westsibirien im Winter und im Frühling gäben jedoch zu denken, erklärte Carlo Buontempo, Direktor des Copernicus Service für Klimawandel, bereits im Juli in einer Mitteilung.
Niederschlagsarmut und hohe Temperaturen trocknen die Oberböden und die Vegetation dermassen aus, dass ein Blitzschlag genügt, um riesige Feuer zu entfachen. Auch Ulf Büntgen macht sich Sorgen über die Entwicklung in den arktischen Gebieten. Der Professor im Departement für Geografie an der britischen Universität Cambridge und Wissenschaftler am Forschungsinstitut ESL in Birmensdorf ist aber noch vorsichtig bei der Interpretation der Befunde. Die Datenreihen aus den Satellitenmessungen seien noch zu kurz, um einen wirklichen Trend bei den Waldbränden zu beobachten.
Wälder verlieren Pufferwirkung
Dennoch: Für Büntgen ist das Monitoring von Copernicus wichtig für die Sensibilisierung. Denn nehmen die Waldbrände in den nächsten Jahrzehnten zu, dann würde das die Anstrengungen im Klimaschutz erheblich bremsen. Denn werden Wälder durch Feuer zerstört, wird das CO2, das sie beim Wachstum aus der Luft entnehmen und im Holz speichern, wieder frei. Der Forst spielt also eine Schlüsselrolle im Klimaschutz.
Was die Wissenschaftler noch nicht genau wissen: wie lange es dauert, bis der Wald nach einem Feuer so weit nachgewachsen ist, dass er als CO2-Speicher wieder eine Rolle spielt. Im schlechtesten Fall sind in Zukunft die Feuer in der Arktis so stark, dass die Freisetzung von CO2 so gross ist wie die Speicherung in den Wäldern. Dann würde die wichtige Pufferwirkung der Wälder für die durch den Menschen verursachten Emissionen vollends fehlen.
Die Indizien verdichten sich jedenfalls, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen in der Arktis keine einzelnen Ereignisse waren. Die Zahl und die Dauer von Hitzewellen haben seit 1950 in fast allen Regionen der Welt zugenommen, wie eine im Fachmagazin «Nature Communication» veröffentlichte Studie zeigt. Die Wissenschaftler sehen sogar einen beschleunigten Trend in den letzten 70 Jahren.