Südamerika leidet starkHier fordert Corona die meisten Opfer
Obwohl in Lateinamerika nur acht Prozent der Weltbevölkerung leben, stammen 30 Prozent der Corona-Toten von dort. Nun kommt die nächste Welle.
Seit nunmehr fast 500 Jahren hilft die Jungfrau von Guadalupe gläubigen Katholiken in Krankheit, Armut und Not. In ganz Lateinamerika wird die Marienerscheinung darum verehrt. Jedes Jahr am 12. Dezember pilgern Anhänger zur riesigen Basilika, die in Mexiko-Stadt zu Ehren der Jungfrau errichtet wurde. Nun aber sind die Tore des Heiligtums verschlossen, Tausende Polizisten haben die Strassen abgesperrt. Die Menschen mögen zwar gerade dieses Jahr den Beistand der Jungfrau brauchen – während der Pandemie wäre eine Pilgerfahrt mit mehreren Millionen Teilnehmern aber selbst im tiefkatholischen Mexiko Wahnsinn.
Über 113’000 Menschen sind in dem Land schon gestorben an dem Erreger, nur in Indien, Brasilien und den USA gab es noch mehr Tote. Ende Juli sah es immerhin so aus, als ob die Infektionskurve langsam sinken würde. Doch nun, ein halbes Jahr später, sind die Ansteckungszahlen so hoch wie nie zuvor. «Die Situation ist sehr beunruhigend», erklärte vor ein paar Tagen der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus.
In Paraguay werden die Betten knapp
Und nicht nur Mexiko gibt in Südamerika Grund zur Sorge. Auch in Brasilien steigen die Fallzahlen wieder. In Paraguay werden die Betten in den Notaufnahmen knapp, und in Chiles Hauptstadt Santiago dürfen die Bewohner an Wochenenden ihre Häuser wieder nur mit Sondererlaubnis verlassen. «Wir machen uns grosse Sorgen», sagte der chilenische Gesundheitsminister Enrique Paris Anfang Dezember. Die zweite Welle könnte «viel stärker sein als eine erste».
Das Virus hat die Region zwischen Feuerland und dem Rio Grande bisher so hart getroffen wie kaum eine andere auf der Welt. Obwohl in Lateinamerika nur acht Prozent der Weltbevölkerung leben, stammen 30 Prozent der Covid-19-Toten von hier. Das hat strukturelle Gründe: Die Armut ist gross, viele Menschen haben keine festen Jobs und können es sich nicht leisten, daheimzubleiben.
Eine Mitschuld trägt aber auch die Politik. So haben die Präsidenten von Mexiko und Brasilien, Andrés Manuel López Obrador und Jair Bolsonaro, das Virus lange verharmlost, strenge Massnahmen abgelehnt und Lockerungen früh wieder eingeführt. So öffneten brasilianische Fitnessstudios und Schönheitssalons wieder, obwohl die Kurve der Infektionen noch gar nicht abgeflachte. Und auch wenn in Mexiko die Wallfahrt zur Jungfrau von Guadalupe abgesagt wurde, so sind Restaurants und Shoppingzentren dennoch voll.
Grosse Hoffnungen richten sich nun auf die Impfstoffe. Mexiko hat vergangene Woche den Einsatz des Mittels von Pfizer-BioNTech genehmigt. Noch vor Jahresende will man mit ersten Immunisierungen beginnen. Allerdings fragen sich Experten, wie das Land und viele andere Staaten in der Region eine riesige Impfkampagne durchführen wollen, wenn die meisten Regierungen und Gesundheitssysteme schon an der Eindämmung des Virus gescheitert sind.
Länder wie Argentinien oder Ecuador waren schon vor dem Beginn der Pandemie faktisch pleite.
Der organisatorische Aufwand einer Massenimmunisierung ist immens, die technische Herausforderung zum Teil ebenfalls. Manche Impfstoffe müssen auf Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt heruntergekühlt werden, Anlagen hierfür gibt es derzeit höchstens in den grösseren Metropolen Lateinamerikas. Die Dosen müssen dazu auch noch bezahlt werden, dabei waren Länder wie Argentinien oder Ecuador schon vor dem Beginn der Pandemie faktisch pleite.
Allein Brasilien baut als eines der wenigen Länder der Region auf ein gut entwickeltes Impfsystem auf. Schon früher hat das Land immer wieder grosse Kampagnen mit Erfolg durchgeführt, davon könnte es auch bei der Bekämpfung des Coronavirus profitieren – vorausgesetzt allerdings, dass die Menschen auch bereit dazu sind, sich immunisieren zu lassen. Bei einer Umfrage des renommierten Datafolha-Instituts gab rund ein Viertel der Brasilianer an, sich nicht impfen lassen zu wollen
Fehler gefunden?Jetzt melden.