Kommentar zur italienischen FlüchtlingspolitikNicht schon wieder!
Die rechte italienische Regierung unter Giorgia Meloni hat die Häfen für Seenotretter geschlossen. Das ist reine Propaganda.
Italiens rechte Regierung unter Giorgia Meloni ist noch keinen Monat im Amt, und schon spielt sich auf dem Mittelmeer wieder eines dieser unwürdigen Dramen ab: Vier Schiffe von privaten Rettungsorganisationen mit insgesamt mehr als 1000 Geretteten an Bord warten darauf, den nächsten sicheren Hafen anlaufen zu können, wie es das Seenotrecht vorsieht.
Aber Italien deklariert seine Häfen für geschlossen («porti chiusi») und lässt die Flüchtlinge – darunter laut den NGOs Minderjährige und Schwangere – auf den Schiffen unter täglich übleren Bedingungen regelrecht schmoren.
Meloni suggeriert damit der Bevölkerung, dass ihre Regierung wieder gegen die irreguläre Migration durchgreift, wie es der damalige Innenminister Matteo Salvini vor vier Jahren getan hat.
Wieder mehr Migration
Wahr ist, dass inmitten sich verschärfender ökonomischer und politischer Krisen deutlich mehr Menschen auf der Mittelmeerroute – und auch auf der sogenannten Balkanroute – nach Europa kommen. Laut Daten des italienischen Innenministeriums sind allein seit Melonis Amtsantritt rund 9000 Personen über das Mittelmeer nach Italien gelangt. Die italienische Zeitung «Repubblica» schreibt, dies seien fast fünfmal mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres, als noch Mario Draghi regierte. Seit Jahresbeginn beträgt der Zuwachs 60 Prozent.
Die als «Meerestaxis» diffamierten NGOs haben nur 15 Prozent der Neuankömmlinge an Land gebracht.
Die von gewissen Rechten auch hierzulande als «Meerestaxis» oder «Schlepperorganisationen» diffamierten NGOs haben allerdings nur 15 Prozent der Neuankömmlinge gerettet, während die überwiegende Mehrheit dank der italienischen Küstenwache oder durch Einsätze der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex ans Ufer gelangte. Oder die Flüchtlinge schafften die Überfahrt selbst.
Zwischen Januar und Ende Oktober 2022 sind rund 1400 Migrantinnen und Migranten im Mittelmeer ertrunken. Ohne die privaten Seenotretter hätten es deutlich mehr sein können. Die migrationspolitische Grosswetterlage, die stark geprägt ist von der notorischen Unfähigkeit der EU, koordiniert zu handeln, wäre jedoch dieselbe.
Italiens Politik der «porti chiusi» ist reine Propaganda. Sie führt dazu, dass von der Küstenwache Gerettete umgehend in Sicherheit gebracht werden, während den 15 Prozent der Flüchtlinge, die NGO-Schiffe vor dem Ertrinken bewahren, ein zusätzliches wochenlanges Martyrium auf hoher See bevorsteht. Dass es vom Zufall abhängt, wie Behörden auf individuelle lebensbedrohliche Notlagen reagieren, ist eines Rechtsstaates unwürdig.
Meloni hat einen doppelten Salto rückwärts gemacht.
Jahrelang ist Meloni mit den üblichen rechtspopulistischen Anti-EU-Sprüchen auf Stimmenfang gegangen. Die Europäische Union werde beherrscht von einer «Wuchererbande», Italien müsse aus dem Euro austreten. Als sich jedoch abzeichnete, dass sie Regierungschefin werden könnte, begann die 45-jährige Römerin kiloweise Kreide zu schlucken, weil Italien auf die Milliarden angewiesen ist, welche die EU im Rahmen ihres Corona-Hilfsprogramms verteilt.
Europapolitisch hat Meloni einen doppelten Salto rückwärts gemacht. In der Hoffnung, der beachtlich grosse rechtsextreme Teil ihrer Wählerschaft möge dies verzeihen, macht sie jetzt auf unnachgiebige Kämpferin gegen private Flüchtlingsretter. Das ist schnell inszeniert und propagandistisch wirkungsvoll, trägt aber nichts dazu bei, das Problem irregulärer Migration zu entschärfen. Und human ist es schon gar nicht.
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