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Sensation in Rümlang
Nicht alle beklatschen die erste Brut des Waldrapps in der Schweiz

Waldrappe füttern die Küken mit Insekten und Würmern aus dem Kropf.
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Die Glatzköpfe mit den roten Schnäbeln, die über der Harley-Davidson-Garage in Rümlang brüten, faszinieren viele Tierfreundinnen und Tierfreunde. Der Zoo Zürich lässt sie mit einer Liveübertragung aus dem Nest an der Brut teilhaben. Das mit gutem Grund: Seit Jahren hält der Zoo Waldrappe und liefert Jungvögel für eine Wiederansiedlung der Vogelart in Süddeutschland und Österreich. Andere Zoos und Wildparks sind ebenfalls am Projekt beteiligt. So stammen denn auch die Rümlanger Waldrappe aus einer Zoozucht.

Während der Zoo Zürich die ersten Schweizer Waldrappjungen seit 400 Jahren feiert, verhalten sich die grossen Vogelschutzorganisationen Birdlife Schweiz und Vogelwarte Sempach auffallend still. In der Schweiz geniesst der Waldrapp keine Priorität bei der Artenförderung. Die Vogelwarte verweist bei Fragen darum auf den Zoo Zürich. Birdlife Schweiz verweist auf eine Stellungnahme aus dem Jahr 2014. Damals wurden Stimmen laut, die Waldrappe auch in der Schweiz ansiedeln wollten, worauf Birdlife Schweiz erklärte, warum man das nicht unterstützt.

Gelder effizient einsetzen

«Eine Ausweitung der Aussetzungen ist der völlig falsche Ansatz», hielt die Naturschutzorganisation in ihrem damaligen Mitteilungsblatt fest. Viel wichtiger sei, dass genügend Mittel für den Schutz der letzten wild lebenden Waldrappe in Marokko eingesetzt würden. Dort leben etwa 200 bis 250 Waldrappe in Kolonien an der Küste, Birdlife Schweiz unterstützt ein Förderprojekt, damit die Kolonien wieder grösser werden.

Die Gelder für den Artenschutz sind beschränkt. Und Wiederansiedlungen aufwendig und teuer. Für die Auswilderung des Waldrapps in Deutschland und Österreich allein in der Zeit zwischen 2014 und 2019 wurden 4,4 Millionen Euro investiert. Von 2022 bis 2028 sogar 6,5 Millionen Euro. Das erfährt man auf der Projektwebsite der EU. «Weil die Finanzen im Naturschutz viel zu knapp sind, sollte deshalb immer die Frage gestellt werden, ob mit einer grossen Summe anderweitig nicht viel mehr für die Biodiversität erreicht werden könnte», hielt Birdlife Schweiz im Mitteilungsblatt fest. Andere Artenförderungs­projekte könnten zwar ebenfalls teuer sein, würden aber meistens auch Lebensräume aufwerten, die mehreren Arten zugutekämen.

Zoovögel ohne Zugverhalten

Es geht aber nicht nur ums Geld. Ein weiterer Kritikpunkt: Der Mensch will den Vögeln ein Zugverhalten antrainieren, indem er sie mit Fluggeräten über die Alpen ins Winterquartier lotst. Von sich aus würden die Waldrappe im Winter nicht mehr wegziehen. Seit 2004 fliegen ihnen die Forscher mit Ultraleichtflugzeugen voraus, damit die Waldrappe den Weg in das vom Menschen vorgesehene Gebiet in der Toskana finden. «Die Vögel sollten die Zugwege inzwischen eigentlich kennen. Dennoch müssen jedes Jahr verirrte Vögel eingefangen und im Käfig ins Zielgebiet gefahren werden», stellte Birdlife Schweiz fest. 

Dazu kommt: Wie weit der Waldrapp vor 400 Jahren in Mitteleuropa verbreitet war, ist nicht gesichert. Laut den Vogelfachleuten sind nur eine Handvoll Brutplätze ausreichend belegt. Und auch an diesen sei der Waldrapp wohl spätestens um 1621 wieder ausgestorben.

Aus Italien gebe es keine belegten Nachweise. Dass man Italien als Überwinterungsgebiet für die ausgesetzten Vögel gewählt hat, bezeichnete Birdlife Schweiz darum als willkürlich. «Ob die heutigen Lebensräume in Mitteleuropa und Italien für die Art geeignet sind, ist fraglich, und die zeitweilige Zufütterung der Vögel auch nach dem Aussetzen stimmt kritisch.» 

Handeln, bevor eine Art ausstirbt 

Fakt ist: Der Waldrapp erhält viel Aufmerksamkeit, während andere Arten still und leise aussterben. 17 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz sind «vom Aussterben bedroht» oder «stark gefährdet». Weitere 16 Prozent gelten als «verletzlich» – ihr Bestand ist in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent geschrumpft. So lautet die traurige Bilanz des Bundesamts für Umwelt vom Mai dieses Jahres. Die Vogelwarte und Birdlife Schweiz engagieren sich dafür, die Lebensräume der bedrohten Arten aufzuwerten, damit diese erst gar nicht aussterben. Sie unterstützen darum die Bemühungen für die letzten wild lebenden Waldrappe in Marokko. Jene in Europa überlassen sie den Zoos und Tierparks.