Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neue Weltraumbahnhöfe
«Europa braucht einen unabhängigen Zugang zum All»

This handout photograph taken and released by ArianeGroup on November 23, 2023, shows smoke during a Ariane 6 rocket test run at the Guyanese Space Centre in Kourou, French Guiana. Europe's Ariane 6 rocket underwent a "full-scale" dress rehearsal on November 23, 2023, in Kourou, French Guiana, in preparation for its maiden flight in 2024, with the successful firing of the Vulcain 2.1 engine on the launcher's main stage. (Photo by P. PIRON / ArianeGroup / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /  HO/ ARIANEGROUP " - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

An verschiedenen Orten in Europa werden Weltraumbahnhöfe aus dem Boden gestampft. In Grossbritannien gibt es gleich mehrere Projekte. Zum Beispiel ganz im Norden den Saxavord Spaceport, von wo schon bald erste Raketen ins All starten sollen.

In Esrange im Norden Schwedens eröffnete König Carl Gustav im Januar 2023 einen neuen Raketenstartplatz, an dem auch die Schweiz beteiligt ist. Im Dezember desselben Jahres tat es ihm der Kronprinz von Norwegen gleich, auf der Insel Andøya direkt am Polarkreis. Auch hier mischt die Schweiz zusammen mit anderen Ländern mit. In Deutschland plant ein Konsortium, Raketen von einer in der Nordsee schwimmenden Plattform zu starten.

Doch warum braucht Europa plötzlich Weltraumbahnhöfe? Und ist es nicht besser, wenn Raketen am Äquator starten?

Fragt man Scott Hammond, den stellvertretenden Geschäftsführer des Saxavord Spaceport auf Unst, ist die Sache klar. «Europa wird gerade abgehängt», sagt er. Die Raumfahrt boomt: In den USA, in China, auch in Indien bringen Raketen Satelliten ins All. Aber Europa? «Wir befinden uns in einer Krise», sagt Hammond, «es mangelt an Startkapazitäten.»

Tatsächlich nimmt die Zahl der Satelliten in der Umlaufbahn rapide zu. Derzeit umkreisen nach Angaben der europäischen Weltraumagentur ESA gut 9000 funktionsfähige Satelliten die Erde. Im Jahr 2030 werden 58’000 weitere dazukommen, schätzt der amerikanische Rechnungshof.

Bauern oder Behörden nutzen Satellitendaten

Dutzende Firmen weltweit haben das Weltall als Geschäftsfeld entdeckt. Besonders die Nachfrage nach Daten aus dem All ist hoch. Landwirte zum Beispiel nutzen Satellitendaten, um ihre Erträge zu steigern, Behörden entdecken dank der Daten in grossen Gebieten auch kleine Waldbrände. Auch für die Wissenschaft sind die Daten von grosser Bedeutung. Der Klimaforschung liefern Satelliten laut dem Global Climate Observing System mehr als die Hälfte der wichtigsten Messwerte.

Bald soll auch ein grosser Teil der Kommunikation über Satelliten laufen. Mehrere Unternehmen versprechen schnelles Internet aus dem All, allen voran Starlink, eine Firma des Milliardärs Elon Musk. Mit über 5000 Satelliten betreibt sie die grösste Satellitenflotte weltweit.

Viele Satelliten sind heute wesentlich kleiner und günstiger als früher. Die Technik hat sich weiterentwickelt. Von der Grösse eines Autos sind viele von ihnen auf das Format eines Zügelkartons oder einer Schuhschachtel geschrumpft. Sie werden in Serie produziert und kosten dadurch weniger. Miteinander vernetzt kreisen sie zu Hunderten oder Tausenden um die Erde.

Um die grosse Zahl zukünftiger Satelliten in ihre Umlaufbahnen zu bringen, braucht es entsprechend viele Raketen und Orte, wo diese starten können. Genau da sieht Hammond ein Geschäft. Erst im Dezember 2023 bekam der Weltraumbahnhof von den britischen Behörden eine kommerzielle Lizenz. Somit dürfen auf Unst 30 Raketen pro Jahr starten.

Jede Rakete soll rund 30 Meter hoch sein und etwas mehr als eine Tonne Fracht ins All befördern können. Das reicht für Kleinsatelliten aus. Mit der derzeit meistgenutzten Rakete, der Falcon 9 der Firma Spacex, können sie jedoch kaum mithalten. Diese ist 70 Meter hoch und kann fast 23 Tonnen transportieren.

Wege werden kürzer, was die Kosten senkt

Obwohl eine Falcon 9 von keinem der neuen europäischen Weltraumbahnhöfe starten könnte, sieht Hammond vom Saxavord Spaceport Bedarf an diesen kleineren Rampen. «Es dreht sich alles darum, den Preis für den Zugang zum All zu senken», sagt er. Den Weltraumbahnhof seiner Firma vergleicht er gerne mit einem Flughafen. Seine Firma baut die Startbahn sowie die Hangars und stellt die technische Infrastruktur bereit. Die Raketenfirmen sind sozusagen die Fluggesellschaften. Sie mieten sich ein und bezahlen, was sie nutzen.

Für europäische Firmen, so Hammond, seien die Weltraumbahnhöfe im Norden schnell und günstig zu erreichen. Ein Sattelschlepper, eine Fähre und ein paar Tage Fahrtzeit reichten aus. Bisher mussten Europäer, wenn sie einen Satelliten ins All bringen wollten, einen weiten Weg zurücklegen. Viele Starts fanden etwa in Russland statt. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine gibt es diese Option nicht mehr.

Alternativ konnten Raketen und Satelliten auf Schiffen über den Atlantik gebracht werden, in die USA oder nach Kourou in Französisch-Guayana. In dem französischen Überseegebiet im Nordosten Südamerikas betreibt die ESA gemeinsam mit der französischen Raumfahrtagentur CNES einen grossen Weltraumbahnhof. Auch die Schweiz ist als ESA-Mitglied daran beteiligt. Jahrzehntelang war es Europas einziger Startplatz.

Noch in diesem Jahr sollen von hier aus Raketen, hoch wie zehnstöckige Häuser, ins Weltall fliegen.

Doch anders als die kleinen Weltraumbahnhöfe auf Unst oder in Nordnorwegen liegt Französisch-Guayana in der Nähe des Äquators. Das ist geografisch ein besonders günstiger Ort, um Raketen weit ins All zu bringen, etwa um Sonden zu anderen Planeten zu schicken, Menschen zum Mond oder Satelliten in sehr hohe Umlaufbahnen – zum Beispiel in eine sogenannte geostationäre Umlaufbahn in Höhe von etwa 36’000 Kilometern.

Geostationär bedeutet, dass ein Satellit stets über demselben Punkt auf der Erdoberfläche fliegt. Dazu muss er den Planeten entsprechend schnell in Drehrichtung der Erde umkreisen.

Umlaufbahn von Pol zu Pol

Der Äquator ist hierfür ein guter Startpunkt, weil sich ein Ort dort schneller in Drehrichtung der Erde bewegt als etwa ein Punkt am Polarkreis. Raketen können sich das zunutze machen: Wenn sie dort mit der Erdrotation in Richtung Osten starten, erhalten sie zusätzlichen Schwung und sparen Treibstoff und dadurch Gewicht. So können sie auch mehr Fracht ins All bringen.

Die Raketen, die in Nordeuropa starten sollen, sind auf diese Starthilfe aber nicht angewiesen. Im Gegenteil: Für sie ist die Erdrotation sogar eher hinderlich. Sie sollen stattdessen ein möglichst grosses Gebiet überfliegen, etwa um die Erde zu beobachten oder Menschen mit Internet zu versorgen. Deshalb sollen sie die Erde auf einer deutlich tieferen Umlaufbahn von Pol zu Pol umkreisen: vom Nordpol zum Südpol und auf der anderen Seite wieder zurück.

Während sich die Erde unter den Satelliten dreht, überfliegen sie im Anschluss nach und nach jeden Punkt auf der Erde. Mehrere Satelliten hintereinander decken so jeden Tag den gesamten Globus ab.

Simulation eines Raketenstarts in der Nordsee. Bild: Visualisierung Offshore Spacepor

Man könne sich einen Raketenstart wie die Durchquerung eines Flusses vorstellen, die Erdrotation wie dessen Strömung, erklärt Scott Hammond vom schottischen Weltraumbahnhof. Um auf die gegenüberliegende Flussseite zu kommen, kann man nicht einfach geradeaus schwimmen. Die Strömung würde einen seitlich wegtragen: «Man muss sich zugleich stromaufwärts kämpfen.» Je weniger stark sich die Erdrotation auswirkt, desto besser: Raketen statt am Äquator in Nordeuropa zu starten, sei, wie durch einen Fluss mit schwächerer Strömung zu schwimmen. Das spare Energie – und den Kunden Geld, sagt Hammond.

Nachteile eines Startplatzes im Norden

Aus Sicherheitsgründen liegen Weltraumbahnhöfe wie der auf Unst zudem möglichst so, dass nördlich von ihnen nur unbesiedelte Flächen und das Meer liegen. Sobald die Raketen ihre Fracht ausgesetzt haben, stürzen sie im besten Fall wieder in Richtung Erde. Im schlechtesten Fall explodieren sie kurz nach dem Start.

Doch ein Startplatz in Nordeuropa habe auch Nachteile, sagt Felix Huber, Direktor für Raumflugbetrieb und Astronautentraining am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Zum einen sei das Wetter häufig mies. Zum anderen sei die Erde wegen ihrer Rotation und der daraus entstehenden Fliehkräfte keine perfekte Kugel, sondern am Äquator leicht ausgebuchtet und an den Polen etwas flacher. Das bedeutet: Eine Rakete, die in der Nähe des Polarkreises startet, muss höher und weiter fliegen, um einen Satelliten in seine Umlaufbahn zu bringen. Bei niedrigen Umlaufbahnen sei das nicht zu unterschätzen, so Huber. «Der Vorteil, weit im Norden zu starten, ist nicht so gross.»

Dass es gleich mehrere Weltraumbahnhöfe in Nordeuropa gibt, hält Huber ebenfalls für übertrieben. «Der Bedarf an Kleinraketen wird nicht so gross sein», sagt er. Zwar gebe es immer mehr Satelliten, doch deshalb brauche man nicht unbedingt genauso viele Raketen: Eine einzelne Rakete könne Dutzende Kleinsatelliten auf einmal ins All bringen.

Dass Firmen Weltraumbahnhöfe in Europa bauen, könne er trotzdem nachvollziehen, sagt Huber. Denn für Kleinraketen sei der Startplatz in Französisch-Guayana einfach zu teuer, die Sicherheitsauflagen zu hoch. «Europa braucht einen unabhängigen Zugang zum All.»

Denn bei den europäischen Weltraumbahnhöfen geht es nicht nur ums Geld. Das hat zuletzt auch der russische Angriff auf die Ukraine gezeigt: Am ersten Kriegstag legte ein mutmasslich russischer Cyberangriff einen Kommunikations­satelliten eines US-Unternehmens lahm. Die Kommunikation der ukrainischen Armee wurde dadurch massiv gestört. In Europa liessen sich Tausende Windkrafträder zeitweise nicht mehr ansteuern, und mobile Einsatzstellen von Feuerwehren hatten keine Internetverbindung mehr.