Neue nationale KlimastrategieDer Bund will Fleisch essen nicht verbieten, aber «nachhaltige Ernährung» propagieren
Die Schweiz soll auf Einsicht und Eigenverantwortung setzen, um das Ernährungssystem klimaverträglich zu gestalten.
Das wussten bisher wohl nur Fachleute: Essen und Trinken tragen in Schweizer Haushalten mehr zur Klimaerwärmung bei als alle anderen Tätigkeiten. Das geht aus der neuen Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung hervor, die der Bund am Dienstag präsentiert hat.
Der Fussabdruck der Schweizer Haushalte für Lebensmittel belief sich gemäss Umweltgesamtrechnung im Jahr 2020 auf 16,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Das ist ein Viertel des gesamten Treibhausgas-Fussabdrucks der Haushalte. «Noch mehr als der Verkehr», sagte Jens Leitfeld von Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt des Bundes.
Gleichzeitig gehört die Landwirtschaft zu den Branchen, die besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse zwingen zu Anpassungen.
Ziele: Selbstversorgung, Ernährung, Emissionen
Mit einem grossen Paket an Analysen und Massnahmen hat der Bund seine neue Klimastrategie für die Landwirtschaft und die Ernährung vorgestellt. Sie betrifft die Bäuerinnen und Bauern ebenso wie den Handel und die Konsumentinnen und Konsumenten.
Der Bund strebt mit einem neuen Massnahmenpaket drei Ziele an:
Die Landwirtschaft erreicht einen Selbstversorgungsgrad von mindestens 50 Prozent.
Die Bevölkerung soll sich «gesund und ausgewogen» verpflegen und so den Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung pro Kopf um zwei Drittel gegenüber 2020 senken.
Die Treibhausgasemissionen der landwirtschaftlichen Produktion im Inland werden gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent gesenkt.
Mit der geballten Kraft von drei Bundesämtern
Bemerkenswert für Berner Verwaltungsverhältnisse: Gleich drei wichtige Bundesämter haben sich für die Ausarbeitung der Strategie an einen Tisch gesetzt, neben dem Bundesamt für Landwirtschaft auch das Bundesamt für Umwelt sowie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. So will der Bund sicherstellen, dass die ganze Verwaltung bei der Umsetzung der Ziele am selben Strick zieht und sich nicht selbst laufend widerspricht.
Vor der Präsentation am Dienstag hatte es geheissen, im Zentrum der Strategie stünden mehr Ver- und Gebote für Konsumentinnen und Konsumenten, nach dem Motto «Kohl statt Wurst». Aber der Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, Christian Hofer, dementierte. Er strebt an, dass die Landwirtschaft bis 2050 «klima- und standortangepasst» produziert. Dafür soll der Staat in die Züchtung von Nutzpflanzen investieren, die an extremere Klimabedingungen angepasst sind.
Mit einem «Aktionsplan gegen Food-Waste» sollen Lebensmittelabfälle markant vermindert werden.
Vorschläge für Vorschriften, um den Fleischkonsum einzuschränken, beinhaltet das Massnahmenpaket demgegenüber ebenso wenig wie neue Gesetze, mit denen der Staat den Haushalten in den Kühlschrank hinein befehlen könnte. Angesagt sind stattdessen «Sensibilisierungskampagnen» – also Werbung für nachhaltiges Essen – und mehr Aus- und Weiterbildung von Berufsleuten in der Landwirtschaft, in der Lebensmittelverarbeitung und im Handel.
Und schliesslich sollen mit einem «Aktionsplan gegen Food-Waste» Lebensmittelabfälle markant vermindert werden. Ein wichtiges Element dieses Aktionsplans ist eine branchenübergreifende Vereinbarung zur Reduktion der Lebensmittelverluste. Mit der Abmachung verpflichten sich die Beteiligten aus Handel, Gastronomie, verarbeitender Industrie und Landwirtschaft zur Halbierung der vermeidbaren Lebensmittelverluste bis 2030.
Zweifel an der Wirksamkeit
Die Kritik aus Landwirtschaftskreisen an den Anschluss der Präsentation liess nicht lange auf sich warten. Verschiedene Organisationen loben die Ziele, zweifeln aber an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Massnahmen. Slow Food Schweiz, Vision Landwirtschaft und die Kleinbauern-Vereinigung schrieben in einer gemeinsamen Mitteilung, dass es eine grosse Diskrepanz zwischen den gesetzten Zielen und dem Massnahmenpaket gebe.
Auch der Tierschutzverband Animal Rights Switzerland kritisierte die Massnahmen als ungenügend. Der Umweltverband WWF bemängelt, es bleibe offen, ob der politische Wille bestehe, die vorgeschlagenen Massnahmen auch wirklich umzusetzen. Der Zeithorizont 2050 ignoriere die heute bereits bestehenden Herausforderungen durch die Klimakrise.
Der mächtige Bauernverband schliesslich befürchtet, dass der Bund versucht, die tierische Produktion einzuschränken und den Konsum zu lenken, auch wenn es nur mit «Sensibilisierungskampagnen» ist.
Für den Bauernverband ist klar, dass die Konsumentinnen und Konsumenten weiterhin gern (Schweizer) Fleisch kaufen und essen. Gemäss Ernährungsempfehlungen sollten zudem mehr Milchprodukte konsumiert werden. Der Verband lehnt daher eine politisch gesteuerte Schwächung der einheimischen, standortgerechten Tierhaltung ab.
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