Politischer Stillstand beendetNetanyahu schlägt «glorreiches Kapitel» des Zionismus auf
Nach drei Wahlen und 18 Monaten des Wartens hat Israel wieder eine Regierung. Der neue und alte Premier will Fakten schaffen.
Immer wieder ist Benjamin Netanyahu von Zwischenrufen unterbrochen worden, als er am Sonntag in der Knesset vor der Vereidigung der Regierung redete. Er versprach dabei, sich in seiner neuen Amtszeit als Ministerpräsident nach der Corona-Krise vor allem darauf zu konzentrieren, neue Jobs zu schaffen. «Die Öffentlichkeit will eine Einheitsregierung, und das ist, was nun kommt.» Mit der Vereidigung wurde nach drei Wahlen und 18 Monaten des Tauziehens die politische Krise in Israel vorerst beendet. Der neuen Regierung gehören neben Netanyahus rechtsnationalem Likud noch die ultra-orthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie das von Benny Gantz geführte Bündnis Blau-Weiss, die Arbeitspartei und zwei Abgeordnete anderer Gruppierungen an.
«Besatzung und Apartheid»
Begleitet von heftigen Protesten von Abgeordneten der arabischen Liste kündigte Netanyahu an, «ein glorreiches neues Kapitel in der Geschichte des Zionismus aufzuschlagen», indem die israelische Souveränität auf Teile des Westjordanlandes ausgeweitet werden soll. «Es ist Zeit, dass Palästinenser erkennen, dass es Zeit für Frieden ist», sagte Netanyahu. Der arabische Abgeordnete Jusef Jabareen rief ihm zu: «Es wird keinen Frieden mit Besatzung und Apartheid geben!» Danach wurde Jabareen nach drei Verwarnungen des Plenarsaals verwiesen.
Immer wieder schallten Netanyahu die Rufe «Betrug, Untreue und Bestechlichkeit» entgegen – das sind die Vorwürfe in der Anklage gegen Netanyahu, über die am 24. Mai erstmals vor Gericht verhandelt werden soll. Netanyahu liess sich auch nicht durch Zwischenrufe beirren, als er die lange Liste von Ministern und ihren Zuständigkeiten vorlas. Mit vorerst 34 Ministerposten, die auf 36 aufgestockt werden sollen, und 16 Vizeministern ist es das grösste Kabinett in der Geschichte des Landes. Netanyahu verteidigte die Grösse mit dem Hinweis, dass dieses Kabinett günstiger sei als eine vierte Wahl.
Bis kurz vor der Vereidigung war noch um die Ressortzuschnitte und Ministerposten gerungen worden. Netanyahu und Gantz hatten eine paritätische Aufteilung im Kabinett vereinbart: Netanyahu musste aber nicht nur seine eigenen Parteifreunde mit Posten versorgen, sondern auch Vertreter der Koalitionspartner Schas und Vereinigtes Tora-Judentum. Wegen des Unmuts in seiner Partei und Drohungen einzelner Likud-Abgeordneter, nicht für die Regierung zu stimmen, bat Netanyahu um die Verschiebung der für Donnerstagabend angesetzten Vereidigung auf Sonntag.
Gantz ist Ersatzministerpräsident
Netanyahu zeigte sich beim Ressortzuschnitt kreativ: So wurden Teile des Bildungsministerium abgespalten, um ein Ressort für «höhere Bildung» zu kreieren, das wiederum mit der Zuständigkeit für «Wasserressourcen» angereichert wurde. Aufgaben aus dem Energieministerium wurden auf andere Ministerien verteilt, obwohl die Bezeichnung für das Ressort blieb. Netanyahu vergab zur Aufwertung auch Positionen im Sicherheitskabinett, das heikle politische Entscheidungen etwa bei Auseinandersetzungen mit der Hamas im Gazastreifen oder der Hisbollah im Libanon trifft.
Keine Ministerämter bekamen die wichtigsten innerparteilichen Rivalen Netanyahus, Gideon Saar und Nir Barkat. Saar hatte im Dezember die Vertrauensabstimmung im Likud gegen Netanyahu verloren. Barkat war Bürgermeister in Jerusalem. Beide gelten als mögliche Nachfolger Netanyahus, der seit 2009 ununterbrochen an der Spitze der Regierung steht. Da er auch zwischen 1996 und 1999 Regierungschef war, ist er der am längsten amtierende Ministerpräsident in der Geschichte Israels.
Um weiter regieren zu können, hat er Schlüsselpositionen im Kabinett Benny Gantz und seiner blau-weissen Partei überlassen: Gantz übernimmt das Verteidigungsministerium und trägt auch den neu geschaffenen Titel Ersatzministerpräsident. Netanyahu nannte in seiner Rede auch das Datum, an dem er das Amt des Regierungschefs an Gantz abtreten will: am 17. November 2021. Er wird danach weiter in der offiziellen Residenz wohnen.
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