Frühlingsskitouren in der ZentralschweizNervenkitzel zwischen Felstürmen und Gletschermeer
Ob Titlis-Rundtour oder Engelberger Haute Route: Abseits vom Rummel der Skipisten wartet eine archaische Kulisse – und für unentwegte Tourenfahrer eine Nacht im Biwak.
In der Rotair-Gondel, die uns auf den Klein Titlis bringt, reisen auch Touristen und Hobby-Skifahrerinnen. Sie ahnen nicht, dass wir bald die hochalpine Komfortzone verlassen und eine Tour in Angriff nehmen, die Nervenkitzel verspricht. Erst mal schwebt die sich drehende Kabine über den Steinberg, der Blick geht zu einer der weltberühmten Engelberger Big-Five-Freeride-Abfahrten. Am Titlisjoch zieht sich eine Trittspur über die scharfe Kante im Schnee – das berühmte Messer! Dahinter liegt die erste Abseilstelle.
Bald stehen wir am Fuss des Messers. Die Spur auf dem steil sich aufschwingenden Grat sieht gut und griffig aus. Wir binden die Ski auf den Rucksack, nehmen den Pickel hervor. Bergführerin Angela Weibel hält das Seil bereit: Es ist eine abenteuerliche Skihochtour, nichts für schwache Nerven.
Wir sind zu dritt unterwegs und wollen den ersten Teil der Titlis-Rundtour bewältigen, dann aber im Grassenbiwak übernachten und am nächsten Tag über die Engelberger Haute Route weiter zum Gross Spannort und über die steilen Nordhänge zurück ins Tal.
Abrutschen mit den Stöcken in der Hand
Kaum liegt das kurze Gratstück hinter uns, stehen wir auch schon an der Abseilstelle. Angela richtet das 60 Meter lange Seil am fest montierten Abseilhaken ein. Am Rand des Abgrunds ist nur der eisig glänzende Einschnitt über der Rinne zu sehen. «Wenn das Seil zu Ende ist, hakt ihr euch aus, nehmt die Stöcke in die Hand und rutscht weiter ab», so die Anweisung der Bergführerin. Judith geht voran.
Der Einstieg braucht Mut, doch dann läufts ganz locker. Nur: Als das Seil endet, ist erst die Hälfte der Rinne geschafft. Der Schnee ist pickelhart, die Rutschspur gefroren und mit kleinen Eisklümpchen von einem alten Lawinenabgang durchsetzt.
Vorsichtig tasten wir uns weiter abwärts, die Oberschenkel brennen. Dann schwingen wir ein paar Kurven das Chli Gletscherli hinab Richtung Schwarzi Naad zur zweiten Abseilstelle. Hier ist der Schnee etwas aufgesulzt und weicher. Nochmals seilen wir zweimal 50 Meter ab und überwinden auch dieses Felsband. Kühn fährt Angela hinter uns die Steilstufe hinunter.
Dann stehen wir schon fast auf dem Wendengletscher. Wir haben das Tal ganz für uns. Der Rummel des grossen Skigebiets spielt sich auf der anderen Seite des Titlis ab. Unter der Titlis-Südwand halten uns Stille und Weite in Bann. Vom Massiv der Fünffingerstöck ziehen sich ein paar alte, geschwungene Spuren herab. Eine unberührte Schneedecke streckt sich zum Grassenjoch, einem der Übergänge zur Sustlihütte im Meiental. Und eine alte Spur führt den Gletscher aufwärts zu unserem Biwak.
Allein in der Schutzhütte
Wir haben Glück: Obwohl es noch früh im Jahr ist, waren schon andere Gäste hier. Das Biwak duckt sich unter eine dicke Schneekuppe, doch der Eingang ist freigeschaufelt. Unsere Vorgänger haben gar eine Terrasse mit Blick über das Tal und eine Sitzbank aus Schnee gebaut.
Durch den oberen Türflügel klettern wir ins Innere der Schutzhütte. Als Erstes heizen wir den Ofen ein und schmelzen Schnee zu Wasser. Judith holt Holz aus dem Kellerloch unter der Falltür, bald flackert das Feuer. So wird es gemütlich in dem vieleckigen Rundbau, wo sich ein Matratzenlager mit 18 Schlafplätzen auf drei Etagen verteilt. Eng ist es trotzdem, immer auch etwas improvisiert auf dem knappen Raum. Wir sind froh, nur zu dritt zu sein.
Die Nachmittagstour auf den Grassen, die dreihundert Höhenmeter und die Nordabfahrt schenken wir uns. Anderntags wartet noch genug Programm. Früh wollen wir los, um bei Tagesanbruch bei der ersten Schlüsselstelle zu stehen: einer Steilabfahrt über 80 Höhenmeter, aber nordseitig und mit griffigem Schnee bedeckt.
Vom Biwak aus überblicken wir die ganze Strecke, die sich über die weiten Gletscherflächen unter dem Grassengrat zieht. «Schaut, dort ist der schöne Hang der Talabfahrt unter dem Schlossberg», sagt Angela, «dort dürften wir morgen feinen Sulz haben.»
Atemberaubende Tiefblicke
Auf der Engelberger Haute Route wechseln sich Auf- und Abstiege ab, immer wieder müssen die Ski umgerüstet werden, fordernd sind auch abschüssige Anstiege mit atemberaubenden Tiefblicken aufs Klosterdorf, bei denen man sich keinen Ausrutscher erlauben darf.
Krönender Abschluss ist der Gross Spannort, einer der beiden Felstürme hoch über dem Talkessel von Engelberg, die wie aus dem Monument Valley in eine Gletscherwüste versetzt scheinen. Je nach Schneeverhältnissen und vorhandener Spur ist der Aufstieg auf den Gipfel nicht allzu schwer, es gibt auch Sicherungshaken. Dennoch muss man für diese letzten dreihundert Höhenmeter auf Steigeisen nochmals gut zwei Stunden einrechnen.
Später braucht es Kraft für die Abfahrt zurück ins Tal. Und man darf nicht zu spät sein, denn die steilen Hänge verlangen sichere Lawinenverhältnisse. Aber hat sich der Schnee dank der Wärme erst mal gesetzt, muss man zeitig zurück sein, bevor Nassrutsche drohen.
Zunächst jedoch geniessen wir die Nacht unter dem mächtigen Ostpfeiler des Titlis. Das Grassenbiwak sitzt auf dem Tierberg, einem Felssporn inmitten eines Gletschermeeres. In der Verlängerung des Wendengletschers blinken die Lichter von Gadmen in der Ferne. Ansonsten glimmen nur Sterne am Nachthimmel. Die Stille ist endlos.
Man schläft in dieser Höhe nicht besonders gut, aber das lässt sich verschmerzen. Denn etwas vom Beglückendsten auf Frühlingsskitouren sind die blauen Stunden in der Einsamkeit der Berge.
Die Tour wurde unterstützt von Engelberg-Titlis Tourismus.
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