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Nachruf auf Ernst Buschor
Als Reformturbo krempelte er Spitäler und Schule um

Alt-Regierungsrat Ernst Buschor redet zu Bildung und Finanzen in der ZHAW, School of Management and Law in Winterthur.
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Mit Laptop, komplizierten Excel-Tabellen und Ausdrücken wie wirkungsorientierte Führung, Qualitätsmanagement, Kundennähe oder Benchmarking: So trat der frisch gewählte Regierungsrat Ernst Buschor 1993 vor Spitäler und zwei Jahre später vor die Schulen. Der frühere HSG-Professor sorgte mit seiner ungestümen Art zuerst einmal für Unruhe und  Ängste vor Veränderungen.

Die CVP zauberte Buschor bei einer Ersatzwahl als Quereinsteiger aus dem Hut – er war zuvor nicht in der Politik, hatte die übliche Ochsentour vom Gemeinde- über den Kantonsrat nicht absolviert. Und in die CVP war er erst vor kurzem eingetreten. 

Theorie in Praxis umsetzen

Der Ökonom Ernst Buschor war ein international gefragter Spezialist für Verwaltungsführung, war Experte im Europarat und beriet die österreichische Regierung. Zuvor war er Chef der Zürcher Finanzverwaltung und hatte dabei viel bürokratischen Leerlauf im Staatsapparat geortet. Zum Wechsel in die Politik hatte ihn der frühere Bundesrat Arnold Koller überredet. «Meine Kandidatur ist eine Pflicht und eine Chance», sagte er damals. Es juckte ihn in den Fingern, die Theorie in die Praxis umzusetzen.

Buschor wollte aufräumen. Sein Zauberwort hiess New Public Management nach angloamerikanischem Muster.

Buschor rief seine Beamten kurz nach seiner Wahl zusammen und machte ihnen klar: In der Verwaltung steckt der Wurm drin – Reformstau, Selbstgerechtigkeit, zu wenig Effizienz. Buschor wollte aufräumen. Sein Zauberwort hiess New Public Management nach angloamerikanischem Muster. Sein Slogan: Spitäler müssen Unternehmen werden. 

Der verdutzten Ärzteschaft beamte er Folien an die Wand: In den Zürcher Spitälern sei die Aufenthaltsdauer weit über dem OECD-Schnitt, der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nur durch die Einführung von Fallpauschalen würden die Krankenhäuser ihre Betten freiwillig reduzieren. Bis zu 1500 Spitalbetten weniger, proklamierte er.  «Heute liegen Patienten manchmal zwei bis vier Tage im Spital, ohne dass viel passiert», dozierte Buschor.

Die Schulen machten sich auf das Schlimmste gefasst

1995 drängte der Gesamtregierungsrat seinen Kollegen sanft in die Bildungsdirektion, angeblich mit dem Versprechen, dass die Globalbudgets für die Spitäler unter der neuen Gesundheitsdirektorin Verena Diener durchgezogen würden. Im Gesundheitswesen feierte man die Befreiung von «Störenfried» Buschor mit Apéros, während sich die Schulen aufs Schlimmste gefasst machten. 

Im Gesundheitswesen feierte man die Befreiung von «Störenfried» Buschor mit Apéros.

Buschor legte in der Bildung los wie die Feuerwehr. Stefan Widmer war damals als stellvertretender Generalsekretär hautnah dabei. «Er sprudelte wie ein Wasserfall, produzierte Ideen frisch von der Leber weg, und kaum hatte er ein Projekt angestossen, kam schon das nächste.» Viele – damals waren es noch Beamte – fühlten sich durch sein Tempo überfordert. 

«Ernst Buschor war aber ein sehr angenehmer Mensch, er konnte nichts Böses sagen und hat nie jemanden zusammengestaucht», erinnert sich Widmer. Buschor sah sich nie als Befehlshaber, sondern als Ideenlieferant und Koordinator.

Sein Frühenglisch löste ein Erdbeben aus

Ernst Buschor wollte das zürcherische Schulsystem «vom hohen pädagogischen Ross herunterholen und zu einem Dienstleistungsunternehmen umformen». Er entwickelte ab 1995 revolutionäre Ideen, die schweizweit für Schlagzeilen sorgten: Englischlektionen und digital vernetzte Klassenzimmer bereits für Erstklässler, die Finanzierung von Schulversuchen mit Sponsoren zur Entlastung der leeren Staatskasse, oder überdurchschnittlich begabte Kinder sollen unbürokratisch eine Klasse überspringen. 

Ernst Buschor, als erster Regierungsrat mit einem Laptop in der Ahnengalerie, gemalt 2003 von Arnold Imhof.

Vor allem mit dem Frühenglisch für Erstklässler löste Buschor ein Erdbeben aus. Als die Diskussionen in der Erziehungsdirektorenkonferenz immer unergiebiger wurden, verkündete er, Zürich werde Frühenglisch allein einführen. Der Aufschrei war riesig. Buschor wurde Arroganz vorgeworfen, vom Ende des Sprachfriedens war die Rede und von einer McDonaldisierung der Schweiz. 

Es war nicht das erste Mal: Buschor hatte zu hoch gepokert und wurde doch wegweisender Initiant. Heute regelt das Harmos-Konkordat in der Schweiz die Sprachenfrage, Zürich passte sich an: die erste Fremdsprache ab der dritten und die zweite ab der fünften Klasse. Die Einsicht setzte sich durch, dass Englisch für die Kinder die wichtigste Fremdsprache ist und es darum gut sei, früh damit zu beginnen. Dass deswegen die Liebe zu den sprachlichen Minderheiten in der Schweiz kleiner würde, glaubt niemand mehr. 

Die grösste Reform scheiterte an der Grundstufe

Parallel forcierte Buschor die gesetzlichen Anpassungen bis hinauf zur Hochschule – das damals gültige Unterrichtsgesetz stammte aus dem Jahre 1859. Gemäss Stefan Widmer kam Buschor eines Morgens ins Büro und schlug vor: «So, jetzt machen wir ein neues Volksschulgesetz.» Vorschläge von altgedienten Politprofis, einzelne Vorlagen aufzudröseln, statt eine Monsterreform durchzupauken, schlug Buschor in den Wind. Er wollte den Mühlen der Verwaltung einen Turbo einbauen. 

Buschor kam eines Morgens ins Büro und schlug vor: «So, jetzt machen wir ein neues Volksschulgesetz.»

2002 scheiterte das Volksschulgesetz prompt an der Urne mit 53 Prozent. Auf dem Land und in der Lehrerschaft hatte das Gesetz mit der umstrittenen und unerprobten Grundstufe keine Chance. Viele Lehrerinnen und Lehrer feierten ihren Sieg über einen Tyrannen. Dabei waren die ebenfalls von Buschor angeregten Blockzeiten, Aufgabenhilfen, Schulleitungen, Tagesstrukturen oder Massnahmen zur Integration von schwächeren Schülerinnen und Schülern unbestritten. 2005 wurde das Gesetz dann unter Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP)  – ohne Grundstufe – mit 70 Prozent angenommen. Die Angst vor dem schulpolitischen Umsturz war verflogen. 

«Ein Anti-Politiker mit extremer Arbeits- und Lebenslust»

1999 musste Ernst Buschor um seine erste Wiederwahl als Bildungsdirektor zittern, er landete auf dem siebten und letzten Platz. «Wer Reformen einleitet, weckt Widerstand», begründete er sein schwaches Abschneiden. Peter Grünenfelder, der spätere Avenir-Suisse-Chef, ist quasi der Ziehsohn von Buschor. Er war damals dessen persönlicher Mitarbeiter und erinnert sich: «Wir mussten ihn jeweils daran erinnern, dass Wahlkampf ist. Buschor war ein Anti-Politiker, der sich nicht um seine Wiederwahl kümmerte, aber mit extremer Arbeits- und Lebenslust etwas bewegen wollte.» 

Grünenfelder bezeichnet Buschor als «überragende Figur in der Bildungslandschaft und als grossen wissenschaftlichen Reformer». Die Zahlen geben ihm recht: In seiner Amtszeit hat er 21 Vorlagen vors Volk gebracht, 20 wurden gutgeheissen. Ein neues Uni-Gesetz (Verselbstständigung), ein Mittelschulgesetz, eine Pädagogische Hochschule, dies alles kam auf seine Initiative hin zustande. Auch die grösste Fachhochschule der Schweiz (ZFH) ist unter Buschor verwirklicht worden.

Eltern und Lehrkräfte überfordert

Buschor musste sich aber auch viel Kritik anhören. Hans-Ulrich Stöckling, damals St. Galler Bildungsdirektor und Präsident der Eidgenössischen Bildungsdirektorenkonferenz, sagte 2012: «In Zürich und im Aargau haben die Reformturbos viel zerstört. Regierungsräte wie Ernst Buschor haben extremen Druck gemacht und Gesamtkonzepte für eine schnelle und umfassende Reform vorgelegt. Ihnen konnte es nicht schnell genug gehen. Damit haben sie Eltern und Lehrer überfordert und sind gescheitert.»

Nach seinem Ausscheiden aus der Zürcher Regierung im Jahr 2003 war Buschor Präsident des Altherrenbundes des Schweizerischen Studentenvereins und engagierte sich in der Johann-Jacobs- und in der Bertelsmann-Stiftung. Seit einem halben Jahr war er gesundheitlich angeschlagen. Am Wochenende ist er 80-jährig verstorben.