Seltenes Phänomen am HimmelLöst der Mond das Rätsel von Stonehenge?
Im Sommer 2024 steht der Mond südlicher, als die Sonne es je kann. Eine Studie soll nun zeigen, ob dieses seltene Phänomen den Bau von Stonehenge mitmotivierte.

Schon bald feiern die Menschen in Stonehenge den längsten Tag des Jahres. Das prähistorische Monument im Süden Englands ist ein beliebter Ort, um die Sommersonnenwende am 21. Juni zu zelebrieren. Dahinter steckt eine Jahrtausende alte Tradition. Der Steinkreis in der Ebene von Salisbury ist nach dem Sonnenstand ausgerichtet und steht in einer Achse vom Sonnenuntergang am kürzesten zum Sonnenaufgang am längsten Tag des Jahres.
Dann scheint das Licht in den Morgenstunden genau auf den Heel Stone, einen einzelnen grossen Block, der den Eingang zum Steinkreis markiert. Am kürzesten Tag im Dezember würde die Sonne, wenn sie untergeht, zwischen den Pfosten des höchsten Trilithen hindurchleuchten. Trilithen sind Torbauten aus zwei grossen Steinen, auf denen ein dritter Stein als Dach liegt. Dieser höchste Trilith ist jedoch umgekippt.
Doch nicht nur die Sonne regiert Stonehenge. Schon seit Jahrzehnten gibt es Vermutungen, dass auch der Mond bei der Planung von Stonehenge entscheidend war. In der Ausrichtung des Monuments existieren Anhaltspunkte für diese Theorie. Dieser Vermutung will ein britisches Forscherteam nun genauer auf den Grund gehen. Die Universitäten Oxford, Leicester und Bournemouth haben sich dafür mit der Stiftung English Heritage zusammengeschlossen.
Was wir heute sehen, ist rund 4500 Jahre alt
Und für den Zeitpunkt des Projekts gibt es gute Gründe: Im Sommer 2024 geschieht am Nachthimmel Aussergewöhnliches. Der Mond geht an Stellen im Firmament auf, an denen die Sonne niemals steht. Normalerweise legt der Mond ähnliche Bahnen zurück wie die Sonne. Er geht im Osten auf und im Westen unter. Doch alle 18,6 Jahre steht der Mond weiter nördlich und südlich, als die Sonne es kann. Und er steht höher am südlichen Himmel als die Sommersonne zur Mittagszeit.
Dieses im Englischen «major lunar standstill» (Mondstillstand) genannte Phänomen ist zwischen Juli 2024 und Januar 2025 am deutlichsten sichtbar. Zu tun hat es mit dem Winkel, in dem die Umlaufbahn des Mondes um die Erde und jene der Erde um die Sonne zueinander stehen. Sie weichen um fünf Grad voneinander ab.
Es gibt Vermutungen, dass die seltenen Mondstände in den frühen Bauphasen von Stonehenge sichtbar waren und die Konzeption des Monuments beeinflusst haben. Stonehenge entstand in verschiedenen Phasen und veränderte sich im Lauf der Jahrhunderte. Was wir heute noch sehen, wurde vor rund 4500 Jahren errichtet.
Knochen von mindestens 63 Menschen gefunden
In einer ersten Phase vor 5000 Jahren hoben die Menschen einen Erdwall aus, der alle zukünftigen Bauten umschliessen sollte, und einen ersten Kreis mit 56 Löchern, die sogenannten Aubrey Holes. Ihn sieht man heute nicht mehr. Er hatte einen grösseren Durchmesser als das noch erhaltene Monument. In den Aubrey Holes steckten vermutlich Steine oder Holzpflöcke. Sie waren vor allem aber auch Begräbnisort. So fand man die Überreste von Kremationen in diesen Löchern.
Heute weiss man, dass Stonehenge damals nicht allein in der Landschaft stand, sondern Teil einer sakralen Landschaft war. Das ganze Gebiet ist voller Spuren anderer prähistorischer Monumente. Doch sie waren teilweise aus Holz oder Erde und überdauerten die Zeit nicht.
Schon bevor die Menschen die ersten Steine errichteten, begruben sie vor Ort ihre Toten – oder vermutlich einige auserwählte Verstorbene. Knochen von mindestens 63 Menschen, Männern, Frauen und Kindern, fand man bei Ausgrabungen im 20. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe der Steine, unter anderem eben in den Aubrey Holes.
Auch die Gräber nehmen Bezug auf den Mondstand
Diese Gräber befinden sich vor allem im Südosten der Anlage. Genau dort, wo der Mond während eines «major lunar standstill» weiter südlich steht, als die Sonne es je kann. Auch in späteren Bauphasen bleibt dieser Bezug erhalten. Heute ist er noch sichtbar in den sogenannten Station Stones, von denen allerdings zwei fehlen.
Die vier Station Stones bilden ein Rechteck um den grossen, heute sichtbaren Steinkreis und waren vermutlich eine Hilfskonstruktion. Der Mittelpunkt des Rechtecks liegt in der Mitte des Steinkreises. Und genau diese Station Stones, so vermutet man, sind nach den extremen Mondpositionen ausgerichtet, die nur alle 18,6 Jahre am Firmament sichtbar sind.
Die Menschen hatten damals eine tiefere Lebenswartung und sahen eine solche Konstellation möglicherweise nur einmal im Lauf ihres Lebens. Das verlieh dem Phänomen noch mehr Bedeutung. «Aufgrund ihrer Seltenheit markierten diese Mondstände vielleicht spirituelle Feste oder besondere Zeremonien», schreibt English Heritage zu den Forschungen. Und vielleicht sei es auch ein Moment gewesen, in dem die Mondgöttin alle 18,6 Jahre als mächtiger galt als der Sonnengott.
Im Rahmen des aktuellen Projekts wollen die Forschenden den Stand des Mondes über Monate an verschiedenen Stellen des Steinmonuments aufzeichnen, um weitere mögliche Bezüge zu erkennen.
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Die Sonne und der Mond spielten für die Menschen damals eine sehr wichtige Rolle. Sie lebten von dem, was das Land hergab, und im Zyklus der Jahreszeiten. Es gibt verschiedene Theorien, warum sie Stonehenge bauten und warum sie ausgerechnet diese Stelle für das Monument aussuchten.
Eine dieser Theorien bezieht sich auf eine Besonderheit in der Topografie. Neben der Avenue, die früher zum Steinkreis führte, gibt es Risse in der Landschaft. Ausgrabungen machten sie sichtbar. Es sind Spuren der letzten Eiszeit, und diese Risse verlaufen zufälligerweise parallel zu den Strahlen, wenn die Sonne am längsten Tag aufgeht.
Spielten auch Gletscherspuren eine Rolle?
Möglicherweise, so spekuliert der Stonehenge-Experte Mike Parker Pearson, war dieses zufällige Zeichen in der Landschaft mit ein Grund dafür, dass die Gegend als aussergewöhnlich galt. Er leitete das Forschungsprojekt «Stonehenge Riverside Project», in dem er die Bezüge des Monuments zur Landschaft erforschte. Der Archäologe Mike Pitts, Autor des Buches «How to Build Stonehenge», vermutet hingegen, dass an dem Ort des Monuments ursprünglich zwei Megalithen lagen, die genau in die Richtung des Sonnenaufgangs zeigten.
Andere Experten glauben, dass die ursprüngliche Wahl der Stelle eher zufällig war. Irgendwann habe das Ganze dann eine Eigendynamik angenommen. Menschen hätten auf kultische Stätten mit weiteren ähnlichen Bauten reagiert und dabei auch Bezug auf aussergewöhnliche Ereignisse wie beispielsweise einen seltenen Mondstand genommen. Einig sind sich alle Forschenden darin, dass die Bauten einen spirituellen oder zeremoniellen Hintergrund hatten.
Stonehenge war kein lokales Phänomen. Vor 4000 bis 5000 Jahren begannen die Menschen nicht nur auf den Britischen Inseln, sondern auch an anderen Orten in West- und Mitteleuropa, kreisartige Monumente zu bauen. Denn die Gesellschaften waren erstaunlich gut vernetzt. Rohstoffhandel lässt sich schon für diese Periode nachweisen. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die Metallverarbeitung machte in der Bronzezeit (2200–800 v. Chr.) Fortschritte.
Der Mond war in vielen Kulturen ein wichtiger Zeitmesser. Auch frühe Kalendersysteme basieren auf der Reise des Mondes. Der Mond hat drei monatliche Zyklen, die seine Helligkeit und Schwerkraft verändern. Der Wechsel zwischen Voll- und Neumond ist für uns der offensichtlichste und dauert rund 29,5 Tage.
Aber der Mond kreist nicht auf einer fixen Bahn um die Erde. Er verändert seine Position zum Äquator. Dieser Zyklus umfasst 27,3 Tage und wird auch tropischer Monat genannt. Deshalb steht der Mond nicht immer gleich hoch und nicht immer in der gleichen Position am Himmel.
Für diesen Mondstand gibt es im Schweizerdeutschen die Begriffe nidsigend (absteigend, die Spitzen der Mondsichel zeigen zur Erde) und obsigend (aufsteigend), was traditionell bei der Aussaat berücksichtigt wurde. Zudem umkreist der Mond die Erde auf einer Bahn, die nicht rund, sondern elliptisch ist, und deshalb ist er manchmal näher und manchmal ferner. Das verändert sich in einem Rhythmus von 27,5 Tagen.
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Nicht nur in Stonehenge gibt es dieses Jahr besondere Beobachtungen. Parallel dazu erforscht die Archäoastronomin Erica Ellingson das Monument Chimney Rock in Colorado (USA). Dort errichteten Natives vor rund 1000 Jahren im Chaco Canyon Bauten, die ebenfalls einen Bezug zu dieser seltenen Mondkonstellation zu haben scheinen.
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