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Cybermobbing an Schulen
Céline starb mit 13 Jahren – «Es braucht nur zwei Klicks, und dein Kind ist erledigt»

«#Byebitch»: Die 13-jährige Céline wurde Opfer von Cybermobbing und nahm sich 2017 das Leben, jetzt kommt ihre Geschichte auf die Theaterbühne

Das Klassenzimmerstück wird mehrheitlich an Schulen aufgeführt, aber auch im Schauspielhaus.

Zuerich, 30.10.2024
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In Kürze:
  • Das Theaterstück «#Byebitch» behandelt Cybermobbing und zeigt die fatalen Folgen auf.
  • Es ist angelehnt an die Geschichte von Céline Pfister, die sich nach Cybermobbing das Leben nahm.
  • Ihre Eltern haben den Verein celinesvoice.ch gegründet, um gegen Cybermobbing vorzugehen.
  • Eine Gesetzesreform zur Anerkennung von Cybermobbing als Straftat wird diskutiert.

«Du hässliche Schlampe»

«Ich mach dich fertig, du dreckige Bitch»

«Haha cry bitch»

Im Sommer 2017 nimmt sich im aargauischen Spreitenbach ein Mädchen das Leben. Céline Pfister wird nur 13 Jahre alt. Wie ihre Eltern erst später herausfinden werden, wurde ihre Tochter während Monaten im Internet gemobbt. Ein älteres Mädchen hatte ein intimes Bild von Céline veröffentlicht, samt übelsten Beschimpfungen und Drohungen.

Das Foto war nur für die Augen eines Jungen bestimmt gewesen, nun konnten es aber alle sehen. Das hat Céline gebrochen. «Wenn so etwas passiert, kannst du nicht denken, nicht essen, nichts geht», sagte die Mutter Nadya Pfister vor vier Jahren dieser Redaktion.

Angelehnt an die Geschichte von Céline

Nadya und Candid Pfister haben am 28. August 2017 ihr einziges Kind verloren. Nun stehen sie gespannt vor der Kantonsschule Rämibühl in Zürich: In zwei Stunden findet die Vorpremiere von «#Byebitch» statt, einem Theaterstück, das von Célines Geschichte inspiriert ist.

«Es braucht nur zwei Klicks, und dein Kind ist erledigt. Das ist Cybermobbing», sagt Nadya Pfister kurz vor der Premiere. Seit dem Tod ihrer Tochter warnen die Eltern vor dem Hass im Netz, dem viele junge Menschen häufig ausgesetzt sind.

Darum haben sie eingewilligt zu «#Byebitch». Die Produktion des Theaterkollektivs Stick Around und des Zürcher Schauspielhauses wird in Klassenzimmern sowie am Schauspielhaus aufgeführt. Es fragt die Jugendlichen, ihre Lehrpersonen und Eltern: Was geschieht, wenn intime Bilder in die falschen Hände geraten und Grenzen überschritten werden? Und wie verhältst du dich dann – als Opfer, als unbeteiligte Beobachterin, als Mitläufer, als Täterin?

Selfies und andere Spässe

Bevor es ernst wird im Stück – vor dem folgenreichen Selfie –, wird getanzt, gesungen, herumgekaspert. Wir sehen heitere Alltagsszenen aus den Leben von Thomas Strasser (gespielt von Matthias Neukirch), seiner Tochter Chris und deren besten Freundin Noë (Mira Guggenbühl in einer Doppelrolle). Chris macht Selfies mit dem jungen Publikum und erteilt Ratschläge, wie man sich für die sozialen Medien richtig in Pose wirft, um im Wettbewerb der Likes und Herzen zu punkten.

Mira Guggenbühl spielt in einer Doppelrolle das Mobbingopfer Chris und ihre beste Freundin Noë.

Chris schwärmt für diesen Jungen, Jonas. Er fragt nach Bildern, sie schiesst Selfie um Selfie. Jonas will mehr sehen, «you know how it works». Chris’ Hand fährt zum Reissverschluss ihres Pullovers, sie hält inne, aber am Ende zeigt sie Jonas doch mehr Haut.

Es ist diese Szene, mit der «#Byebitch» den Eltern Nadya und Candid Pfister erstmals richtig nahegeht. Es ist ein Moment, wie er sich vielleicht genau so in Célines Kinderzimmer abgespielt hat.

Erfolg im Bundeshaus

In der Handtasche trägt Nadya Pfister ein gerahmtes Bild ihrer verstorbenen Tochter mit sich: Es zeigt ein lebensfrohes Mädchen, das noch viele Träume und Ziele hatte. Die Eltern haben den gemeinnützigen Verein celinesvoice.ch gegründet, an dem Freundinnen von Céline beteiligt sind. Er verfolgt zwei Ziele: Erstens halten die Eltern Vorträge an Schulen, um «Kopf und Herz der Schülerinnen und Schüler zu erreichen», wie Candid Pfister sagt. «Wir wollen aufzeigen, was Cybermobbing auslösen kann.»

Zweitens fordern die Eltern, dass das Strafgesetzbuch um den Straftatbestand Cybermobbing ergänzt wird. Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter hat das Anliegen mit einer Parlamentarischen Initiative (PI) aufgenommen. Mobbing habe es wohl schon immer gegeben, aber mit der digitalen Welt habe das Thema neue Dimensionen angenommen, sagte Suter Ende 2022 in der Debatte im Nationalrat. «Cybermobbing ist deshalb so schlimm, weil es nur ein einziges Bild braucht, das ins Netz hochgeladen wird. Dieses erreicht ein riesiges Publikum und ist kaum mehr löschbar.»

Gabriela Suter, SP-AG, begruendet einen Vorstoss, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 10. September 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Im Dezember 2023 hat nach der grossen Kammer auch der Ständerat die PI angenommen. Trotz Empfehlung auf Ablehnung aus der Ständeratskommission für Rechtsfragen. Diese hatte sich auf den Standpunkt gestellt, das bestehende Recht reiche aus, um Straftaten in Zusammenhang mit Cybermobbing abzudecken.

Ausserdem ortete sie Probleme bei der Täterverfolgung: Ermittlungen in sozialen Medien seien mit Rechtshilfegesuchen bei den Techkonzernen verbunden, was sich als äusserst schwierig erweise. Ein neuer Straftatbestand würde neue Aufwände für die bereits überlasteten Staatsanwaltschaften bedeuten.

«Als Opfer kannst du dich Cybermobbing nicht entziehen»

Für Célines Eltern sind diese Argumente blanker Hohn. «Der Staat scheut seine Arbeit», sagt Nadya Pfister. Im heutigen Gesetz seien Straftatbestände wie Nötigung oder Ehrverletzung auf Einzelhandlungen ausgelegt, aber nicht auf Cybermobbing, bei dem über einen längeren Zeitraum viele Handlungen zusammenkommen und in ihrer ganzen Wucht auf das Opfer einwirken. «Als Opfer kannst du dich dem Cybermobbing nicht entziehen», sagt Nadya Pfister. «Cybermobbing trägst du mit dir mit, wenn du nach der Schule nach Hause kommst und in dein Zimmer gehst.»

An einer Stelle in «#Byebitch» sprechen Thomas und Chris über die Hackordnung im Hühnerstall. Ein Huhn, das neu dazustösst, muss seinen Platz in der Hackordnung finden. So sei das auch bei Susi gewesen, die von drei anderen Hühner geplagt wurde. Die Lösung sei gewesen, die drei Mobber-Hühner für eine Weile wegzusperren. Ob das bei Menschen wohl auch funktioniert? Nein, sagt Chris: «Die verhalten sich dann genau gleich weiter – einfach online.»

«Hätte ich doch …», sagt der Vater

Wie in der wahren Geschichte wird im Theaterstück das Bild von einer eifersüchtigen Ex des Jungen im Internet veröffentlicht. Das setzt eine unkontrollierbare Dynamik in Gang. Bis das Opfer daran zerbricht.

Den Vater Thomas plagen Selbstzweifel. «Warum bin ich damals nicht in dieses Zimmer gelaufen und hab ihr das Scheisshandy aus der Hand gerissen! Ich hätte … wir hätten doch … irgendwie zusammen … ich meine … irgendeine Lösung …»

«Hätte ich doch …»: Matthias Neukirch spielt in «#Byebitch» den Vater des gemobbten Mädchens.

«#Byebitch» geht nahe – wegen des bedrückenden Themas, und dank der lebensnahen Inszenierung und des engagierten Schauspiels. Das 45-minütige Stück wird in den kommenden Wochen und Monaten in Klassenzimmern gezeigt, bisher sind 25 Vorführungen vom Stadtzürcher Schuldepartement und der kantonalen Bildungsdirektion finanziert.

Die Schülerinnen und Schüler wissen vorab nichts vom Theaterstück und erwarten einen Vortrag zum Thema Cybermobbing. Nach der Aufführung ist der Austausch mit dem Produktionsteam und einer Theaterpädagogin vorgesehen.

Gegen Ende des Stücks hält eine anonyme Figur mit Maske nacheinander grosse Papptafeln auf, auf der in grossen Lettern Beleidigungen stehen, die Céline zu grossen Teilen auch wirklich erhalten hat:

«Ich mach dir dein leben kaputt»

«bring dich doch um»

«BYE BYE BITCH»

Das Stück habe sie tief berührt, sagen Nadya und Candid Pfister später. «Es ist die Geschichte von Céline, und leider von vielen anderen auch.» Im Stück lässt die Regie junge Menschen in kurzen Videos zu Wort kommen. Sie sagen, wie sie Cybermobbing schon selbst erlebt haben, und zu welchem Umgang sie raten: nicht schweigen, nichts dulden, nie nur zuschauen, sondern immer dagegen angehen.

Besonders gefallen habe ihnen das Statement eines Jungen ganz zum Schluss, sagen Nadya und Candid Pfister: «Wenn du gemobbt wirst, dann sprich mit jemandem. Du musst dich nicht dafür schämen. Wenn sich jemand schämen muss, dann sind es die Mobber.»

Die Premiere von «#Byebitch» am Freitag, 1. 11., in der Pfauen-Kammer im Schauspielhaus ist ausverkauft. Weitere Aufführungsdaten sind für Januar 2025 vorgesehen, Infos ab Dezember auf der Schauspielhaus-Website.