Bilanz zum Zurich Film FestivalMit Zuversicht in eine ungewisse Zukunft
Das 16. Zurich Film Festival schaffte es mit Masken durch die Corona-Zeit. Aber war das jetzt ein Signal des Auflebens oder des Absterbens der Kultur?
Es war das erste Jahr des neuen Festivaldirektors, und nein, man hätte ihm kein schwierigeres zumuten können. Christian Jungen aber wollte trotz Corona beweisen, dass man dem kulturellen Leben mit der vollständigen Live-Durchführung des Zurich Film Festival neuen Optimismus einimpfen kann. Und ja, er verhandelte, kämpfte um Filme und Stars – was bleibt einem in solchen Zeiten auch übrig? –, und er brachte die Message unters Volk. Aber kam sie auch an?
Mit den Publikumszahlen aus früheren Jahren, so viel ist klar, kann man diese 16. ZFF-Ausgabe nicht vergleichen. Jungen stapelte deshalb von Beginn weg tief und rechnete mit einem Drittel des regulären Besucheraufmarschs. Es sollte um einiges besser herauskommen: Gezählt wurden 68’000 Eintritte (Vorjahr: 117’000).
Dass die Zuschauerzahlen im passablen Bereich liegen, hat auch damit zu tun, dass sich Jungen umtriebig und jovial gab, zum Kinobesuch animierte, wo er konnte – und er war präsent. Die «Dürrenmattinée», die er initiiert hatte und die zu Ehren des 100. Geburtstags von Friedrich Dürrenmatt stattfand, moderierte er persönlich. Und da spürte man auch die Lust, das Feuer und das Augenzwinkern des Connaisseurs, wenn er bei einem Film von Ettore Scola einwarf, dass es damals in den Siebzigerjahren der feuchte Traum jedes europäischen Autorenfilmers gewesen sei, eine nackte Schwedin im Film zu haben.
Neu justieren, aufwerten, ausweiten
Aber natürlich erfindet Jungen solche Reihen nicht zum Spass, sondern aus Berechnung. Dem neuen Chef geht es darum, das Festival neu zu justieren, es aufzuwerten und auszuweiten – also das ZFF nebst den Nachmittags- und Abendvorführungen auch Frühschoppen-tauglich zu machen. Ein ambitioniertes Unterfangen, insbesondere zu Zeiten des kulturellen Corona-Jammers.
Und die Wettbewerbe? Bewusst legte Jungen hier den Fokus auf den «Fokus» – also den Wettbewerb unter den Filmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz; diese Sektion figurierte im Programmheft 2020 nicht zufällig erstmals an erster Stelle. Hier will der neue Chef punkten, um sich nach der Berlinale als klare Nummer 2 der Festivals im deutschsprachigen Raum zu positionieren. Das war unter Jungens Vorgängern Karl Spoerri und Nadja Schildknecht noch anders, sie bewirtschafteten den «Fokus» eher als Almosensektion, in der auch deutlich weniger Preisgeld vergeben wurde.
Der Umgang mit den Stars blieb blass
Etwas blass geriet dann allerdings Jungens Umgang mit den Stars, also jenen, die überhaupt einreisen durften – Juliette Binoche zum Beispiel, die mit dem grössten Ehrenpreis des Festivals bedacht wurde. Die Verleihung hätte einer Aktionärsversammlung gut angestanden, die Reden (inklusive jener des französischen Botschafters) wurden abgelesen, die Filmeinspieler langweilten, Persönliches liess sich kaum erkennen. Aber vielleicht wars ja Entertainment genug für die anwesenden Zuschauer und Sponsoren.
Von Letzteren dürfte Jungens Überleben als Direktor abhängen und sogar das Bestehen des Festivals überhaupt, da das ZFF grossmehrheitlich aus privaten Geldern gespeist wird. In diesem Jahr gelang dem Neuling unter schwierigsten Umständen der Spagat, alle Beteiligten bei der Stange zu halten und sie zur physischen Präsenz zu animieren – die Stars, die Sponsoren, die Zuschauer. Mit Masken, versteht sich. Und er zeigte sich mit Locarno-Präsident Marco Solari bei der «Solidarité Festivals»-Aktion, um gemeinsam fürs Kino zu werben. Vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Neustart oder Anfang vom Ende?
Aber wie wird das sein, wenn die Wirtschaft in den kommenden Wochen und Monaten wegen Corona nur noch stottert und spuckt? Wenn grosse Filme weiterhin verschoben werden, wenn Stars nur noch bedingt oder gar nicht mehr verfügbar sind? Gewiss, das alles liegt nicht in der Macht eines Festivaldirektors. Aber man muss auch sagen, dass es vielen seltsam aufstiess, dass just das ZFF in Windeseile eine Corona-Ausfallsentschädigung von über 700’000 Franken von der Stadt und dem Kanton Zürich erhielt, während herkömmliche Kinobetreiber noch immer auf ihren ersten Corona-Ersatzfranken warten.
Bei aller Liebe zum Kino: Das ist Ungleichheit in Zeiten der Ungewissheit, und es ist nicht das erste Mal, dass es beim ZFF ums Geld geht. Was das Festival als solches betrifft, ist eine Prognose deutlich schwieriger zu stellen. Funktioniert das unter dem neuen Direktor? Das erste Jahr lässt Perspektiven erkennen. Ob es ein zweites Jahr geben wird, kann niemand sagen.
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