Ein fast vergessenes HandwerkMit winzigen Perlen erschafft sie einen ganz besonderen Christbaum
Die 81-jährige Klosterfrau aus Schlieren hat ein bewegtes Leben. Abends widmet sie sich einer kunstvollen Nifeliarbeit, um zur Ruhe zu kommen.

Wenn Elisabeth Müggler zur Ruhe kommen will, tut sie etwas, was die meisten Menschen nur schon beim Zuschauen zappelig macht. Sie beginnt mit winzigen Perlen immer noch winzigere Blumen zu formen. Sie faltet hauchdünne Papierstreifen, nicht breiter als ein Grashalm, zu Ranken. Sie umwickelt feinen Silberdraht mit goldenen Fäden, die so dünn wie Spinnweben sind.
Elisabeth Müggler lässt ein Kunsthandwerk wieder aufleben, das in den barocken Klöstern seinen Ursprung hat. Sie fertigt Klosterarbeiten an. Klosterarbeiten sind Andachtsbilder oder Objekte, die mit unterschiedlichsten Techniken verziert werden. Gemeinsam ist allen: Das Material ist edel. Und: «Es ist eine Nifeliarbeit», spricht Elisabeth Müggler aus, was man unweigerlich denkt.

Eigentlich ist sie Schwester Elisabeth Müggler. Die 81-Jährige ist eine Klosterfrau und gehört zum Ingenbohler Orden, dessen Mutterhaus in Brunnen SZ liegt. Leben tut sie aber schon seit fünfzig Jahren im Limmattal. Sie ist gelernte Krankenschwester – damals hiess das noch so.
Unter schon etwas älteren Pflegefachpersonen ist Schwester Elisabeth eine Legende, leitete sie doch zwanzig Jahre lang das Theodosianum am Spital Limmattal, wo bis 2008 Pflegerinnen und Pfleger ausgebildet wurden. Eine ihrer Schülerin sagt: «Sie hat mehr als geleitet. Sie hat geprägt. Und zwar im guten Sinn.»

Neben Schwester Elisabeth Müggler steht ein etwa zwanzig Zentimeter hohes Christbäumchen auf dem Tisch. Eine ihrer Klosterarbeiten, die sie in den letzten zwanzig Jahren meist abends gefertigt hat. Er ist reich behängt mit silbernem Baumschmuck und Kerzen, deren Flammen nicht einmal halb so gross sind wie ein Stecknadelkopf.
Sie habe schon als Kind im st.-gallischen Flawil gern solche feinen Stickereien oder «eben Nifeliarbeiten» gemacht, erzählt sie. Als sie dann 1998 im österreichischen Stift Wilhering bei Linz zufällig eine Ausstellung solch religiöser Volkskunst gesehen habe, habe sie sofort gewusst, dass das etwas für sie sei.
Sie habe allerdings anfangs manchen Lehrblätz bezahlt, weil sie kostbaren Damaststoff durch ungeschickte Handgriffe eher verschandelt als verschönert habe.
Doch Übung machte sie zur Meisterin, was sie wohl so nicht stehen lassen würde. Wer aber ihre Arbeiten anschaut, staunt ob der Vielfalt, der Kreativität, der Farbenfreude – und der Nifeliarbeit. Da gibt es neben Bildern auch Breverl, kleine, mit Perlen besetzte und bestickte Etuis für Schutzbriefchen. Mütter gaben diese ihren Söhnen mit, die in den Krieg zogen. Oder sie legten sie als «Tüfelsjägerli» kleinen Kindern in die Wiege, um sie vor Bösem zu bewahren.
«Beim Volksglauben sind Glaube und Aberglaube oft sehr nahe beieinander.»
«Beim Volksglauben sind Glaube und Aberglaube oft sehr nahe beieinander,» sagt Elisabeth Müggler. «Aber das macht nichts, der Herrgott hat ein grosses Herz.» Aus ihrem Mund tönt das in keiner Weise frömmlerisch. Vielmehr fröhlich. Und auch zuversichtlich.
Der eigentliche Name ihres Ordens lautet «Barmherzige Schwestern vom heiligen Kreuz». Sie lächelt beim Wort «barmherzig». Dann sagt sie: «Tönt schon etwas altmodisch.» Altmodisch ist sie definitiv nicht. Dafür ist sie zu weltoffen. Barmherzig passt aber ganz gut, im Sinne, wie es der Duden definiert: «mitfühlend, mildtätig gegenüber Notleidenden, Verständnis für die Not anderer zeigend».

Nach ihrer Pensionierung als Schulleiterin im Jahr 2003 hat sie zusammen mit einer Kollegin von der reformierten Kirche Dietikon den Verein Wabe Limmattal gegründet. Wabe steht für wachen und begleiten. Wachen bei und begleiten von Schwerkranken und Sterbenden und ihren Angehörigen. Dazu gehört auch ein Treffpunkt für Menschen mit einer leichten oder mittelschweren Demenz.
«Manchmal», so sagt Elisabeth Müggler, «gehen einem diese Begegnungen sehr nahe.» Auch dann sitzt sie abends in ihr Büro und nimmt eine Klosterarbeit hervor, um zur Ruhe zu kommen. «Bei diesem Tun bin ich ganz bei mir. Und ganz bei Gott.» Sie webt wohl auch manches Gebet mit ein. «Das ist eine zutiefst meditative Arbeit», sagt sie.

Und eine «unglaubliche Nifeliarbeit», denkt es in mir von selbst beim Betrachten eines Füllhorns mit Granatäpfelchen und anderen Früchten. Eine Traube besteht aus 72 kleinen Perlen und ist trotzdem nur so gross wie der Nagel des kleinen Fingers.
Die Klosterarbeiten erschöpfen sich aber nicht im Werken im stillen Kämmerchen. Sie führen, wie Elisabeth Müggler erzählt, auch immer wieder zu schönen Erlebnissen und Begegnungen. Denn es ist gar nicht so einfach, die kostbaren Materialien dafür zu finden. So gibt es etwa in der ganzen Schweiz keine geeigneten Seidenfäden mehr, seit die Nähfadenfabrik Zwicky in Wallisellen die Produktion eingestellt hat.

Elisabeth Müggler sucht und findet deshalb Damast- und Seidenstoffe, Perlen, Pailletten, aber auch Kreuze und kleine Madonnafiguren in Antiquitätenläden oder auf Flohmärkten. Einmal traf sie auf einer Toskanareise zufällig einen iranischen Kunsthändler, der sie bis heute mit alten Bilderrahmen beliefert. Ein anderes Mal lernte sie, ebenfalls in Italien, einen alten Mann kennen, der noch ganze Ballen von Damaststoffen aufbewahrte, nach denen niemand mehr fragte. «Er hatte eine Riesenfreude, ich hatte eine Riesenfreude.»
Ein kleines Stück von Bruder Klaus
Etwa fünfzig Klosterarbeiten hat Elisabeth Müggler in den letzten zwanzig Jahren gefertigt. Dazu gehören auch «Fatschenkinder» – jene vor allem in Süddeutschland und Österreich einst gebräuchlichen eingewickelten Jesuskinder.
Oder sie fasst Reliquien ein – an einem Knochensplitter, der von Bruder Klaus stammen soll, hat sie besonders Freude. Allerdings mache ihr unterdessen dessen Frau Dorothea, die er samt den zehn Kindern verliess, als er in die Einsiedelei zog, eigentlich mehr Eindruck. Die Klosterarbeit hat denn auch zwei Seiten: eine für Bruder Klaus, eine für seine Frau.

Die Begeisterung für dieses fast vergessene Kunsthandwerk bleibt beim Erzählen, doch etwas Traurigkeit schleicht sich ein. Es falle ihr immer schwerer. «Die Augen», sagt sie. Von klein auf sieht sie mit dem linken Auge nur Schemen. Nun lässt auch die Sehschärfe im rechten Auge nach. Sie müsse nun auf etwas gröbere Techniken umsteigen. Dem Herrgott werden gewiss auch diese gefallen.
Eine ihrer liebsten Klosterarbeiten gruppiert sich auf blassrosa Samt und drei Ebenen um ein kleines Medaillon der Maria mit Kind. Filigrane goldene Papierstreifen ranken üppig darum herum und winzige Blumen mit rosa Glasperlen blühen darauf. Man schaut und schaut und spürt dabei eine fast andächtige Ruhe. Obwohl es eine Nifeliarbeit ist.
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