Hommage an den VelotourismusMit Strom durch ein wildes Stück Schweiz pedalen
Die Herzschlaufe um den Napf verlangt von Velofahrern viel Kondition. Leichter geht es per E-Bike – dem Gefährt, das in der Corona-Krise neue Freunde findet.
«Viel Spass», wünscht der Mann vom Mietservice hinter dem Bahnhof Willisau, lächelt und geht. 57 Kilometer und 1600 Höhenmeter gilt es nun mit dem Velo zu bewältigen. Tröstlich, im Einsatz stehen E-Bikes. Die Technik erweist sich als unkompliziert: in die Pedalen treten und auf die Knöpfe des kleinen Kästchens am Lenker drücken. Sogleich macht sich beruhigender Schub unter dem Sattel bemerkbar, und Leichtigkeit stellt sich ein. Bereits der erste Anstieg nach der Passage durch die ruhige Altstadt mit den farbenprächtigen Fassaden, historischen Stadttoren und Brunnen lässt erahnen, was die Umrundung des Napfs mit sich bringen wird: ein herausforderndes Wechselspiel von Auf und Ab.
Auf die Herzschlaufe Napf, die in drei Tagesetappen von Willisau nach Langnau, weiter nach Entlebuch und wieder zum Ausgangspunkt führt, ist Tourenerfinder Paul Hasler besonders stolz. Denn sie macht noch intensiver als andere Teile der bekannten Herzroute den Facettenreichtum der Schweiz erfahrbar. Die Route durch ein eher unbekanntes und wildes Stück Schweiz wurde im Frühjahr 2018 ausgeschildert, als jüngste von insgesamt drei Herzschlaufen. Diese knüpfen an die eigentliche Herzroute an, eine ausgeklügelte Strecke, die quer durch die Schweiz führt. Auf dem Velo lassen sich in mindestens 13 Tagesetappen die landschaftlichen Reize des Landes auskosten, auf 720 Kilometern mit 12’000 Höhenmetern. Die Reise führt durch elf Kantone vom Genfer- zum Bodensee. Gerade in Corona-Zeiten eine gute Alternative, die Schweiz individuell und abseits grosser Menschenansammlungen zu entdecken.
Die Idee zur Herzroute hatte Paul Hasler vor dreissig Jahren, doch erst 2003 wurde die Vision Realität. Das Radwandern ist dem gebürtigen Ostschweizer, der im Bernbiet heimisch geworden ist, eine Herzensangelegenheit. «Auf dem Velo erschliesst man eine Gegend auf neue Art. Dafür eignet sich unser Land ideal», sagt Hasler. «Landschaften und Kulturräume wechseln permanent. Das macht das Reisen per Zweirad spannend, vorausgesetzt, man lässt sich Zeit.»
Lange, flache Strecken sind nicht Haslers Ding. Hügel und Kurven, die dem Velofreund Abwechslung und ein aufregendes Aussichtsprogramm bieten, gehören ins Programm. Und das auf Wegen und Strassen, die ein hinreichend verkehrsfreies Fahren ermöglichen.
Menschenleeres Postkartenpanorama
Den Schildern mit der «399» der Herzschlaufe folgend, ist man bald der Natur ausgeliefert. Hat man Eriswil passiert, taucht man vollends ein in ein menschenleeres Postkartenpanorama. Mittendrin, sich sanft erhebend, der Napf, höchster Berg zwischen Bern und Luzern. Mit seinen hügeligen Ausläufern, lichten Kreten und bewaldeten Tälern bietet er ein wahres Erlebnislabyrinth, durchzogen von kurvigen Strässchen. Am Horizont recken sich die Berner Alpen gen Himmel. Die Luft duftet würzig und frisch.
Hinter jeder Biegung fesselt etwas Neues die Aufmerksamkeit. Mal ein spektakulärer Weitblick, dann ein altes Bauernhaus mit kunstvoll verzierten Giebeln und gepflegtem Garten. Ein Hofbesitzer winkt zum Gruss, ein Hund springt fröhlich hinter den Velos her.
Die Stromvelos machen auch untrainierten Velofahrern die Reise leicht und gleichen unterschiedliche Fitnessstufen in einer Gruppe aus.
Bei so viel Unterhaltung für Augen und Seele schrumpft die Anstrengung des Fortbewegens zur Nebensächlichkeit. Denn trotz Motor unterm Hintern geht es bei dieser Topografie nicht ohne Engagement der Beinmuskeln. Aber nach ein paar Hügeln entwickelt sich ein Gefühl für die optimale Kombination von manueller Gangschaltung und elektrischer Unterstützung, die sich stufenweise zuschalten lässt. So wird das Vorwärtskommen per E-Bike auf leichte Art schnell zur Routine. Die Reifen summen leise und rhythmisch, und man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren: die Lust am Entdecken der Landschaft. Wenn man an der nächsten Steigung einen keuchenden Radfahrer überholt, der zwar ohne Strom unterwegs ist, aber den Anschein von Fitness macht, ist das ein Kick fürs eigene Glücksgefühl.
Ohne E-Bikes wären Haslers Routen für die meisten Leute wohl zu anspruchsvoll. Doch die Stromvelos, die man inzwischen flächendeckend mieten und überall wieder abgeben kann, machen auch untrainierten Velofahrern die Reise leicht und gleichen unterschiedliche Fitnessstufen in einer Gruppe aus.
Auf dem etwas steilen Anstieg von Wyssachen nach Oberwald läuft es besser als gedacht, die Unterstützung arbeitet auf höchster Stufe und harmoniert gut mit dem eingelegten Gang.
Poetische Routenbeschreibungen
Wenig später folgt die Belohnung für den kräftigen Pedaleneinsatz: eine lange, aufregende Abfahrt hinunter nach Sumiswald. Paul Hasler, Sohn der Autorin Eveline Hasler («Die Wachsflügelfrau»), hat in seiner Beschreibung für die Passage schöne Worte gefunden: «Die Abfahrt gehört ins Poesiealbum jedes Radfahrerherzens. Ein Tanz mit Hügeln und Ausblicken, ein Rausch der Impressionen.»
35 Kilometer der Eintagesetappe sind geschafft, Zeit, die Akkus von Mensch und Maschine aufzuladen. Etwa im urchigen Bären in Sumiswald mit währschaftem Zvieri und einer Akku-Ladestation. Für jeden E-Bike-Typ gibt es Ladeservice auf allen Herzrouten und -schlaufen; die durchgängige Versorgung mit Energie bleibt garantiert.
Die nächste Passage hinauf zur Lüderenalp hat es in sich. Aber die Dramaturgie der Landschaft entschädigt wiederum reichlich für die Anstrengung. Unterwegs lockt Schloss Trachselwald zu einem Abstecher – ein Schmuckstück aus dem 13. Jahrhundert mit verführerischer Aussicht. Der letzte Etappenteil hinunter zur Ilfis sorgt erneut für einen Adrenalinkick, denn jetzt reiht sich auf der Abfahrt Kurve an Kurve. Die Füsse ruhen auf den Pedalen; der Wind zupft das Haar aus dem Helm, und man geniesst, was nah und fern vorüberfliegt.
Später, wenn die E-Bikes in der Mietstation beim Bahnhof Langnau stehen und man im Zug sitzt, klingen die Eindrücke nach – als Bilderbuch eines wilden Stücks Schweiz.
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