Schummel-SportlerDer nächste absurde Fall: Haben 11’000 Läufer aufs Mal betrogen?
Sie springen kurz vor dem Ziel aus dem Gebüsch, fahren mit dem ÖV oder Auto. Für Ruhm und Geld machen Läufer so einiges. Der neuste Skandal kommt aus Mexiko. Er ist nicht der einzige.
Es wäre ein Sport-Betrug nie dagewesenen Ausmasses. Rund 11’000 Läuferinnen und Läufer stehen unter Verdacht, beim Marathon in Mexiko-Stadt vor zehn Tagen betrogen zu haben. Das ist ein Drittel des Teilnehmerfeldes. Zu Tausenden sollen sie abgekürzt haben, Teile der Strecke in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Autos zurückgelegt haben, schreibt die spanische Sportzeitung «Marca». Die Untersuchungen diesbezüglich laufen. Es dürfte eine Weile dauern, bis die Fälle aufgedeckt sind.
Es ist indes nicht das erste Mal, dass der Marathon in Mexiko wegen Betrügereien im Fokus steht. Immer wieder wurde von abkürzenden Athleten und Athletinnen berichtet, 2017 wurden rund 6000 der 28’000 Startenden deswegen disqualifiziert. Doch sie sind nicht allein. Eine Auswahl besonders skurriler Fälle.
Den Ruf ruiniert – wofür eigentlich?
Sie legte die Beine hoch – und war doch viel schneller als Usain Bolt. Mit über 56 km/h raste Joasia Zakrzewski plötzlich über die Strecke, zweieinhalb Meilen lang in diesem 50-Meilen-Rennen, dann wurde das Tempo wieder menschlicher.
Die Medizinerin und Ultraläuferin, die in diesem Jahr mit sagenhaften 411 Kilometern den Weltrekord bei den Frauen für die längste zurückgelegte Strecke innert 48 Stunden aufstellte, lief am 7. April als Dritte in Liverpool ins Ziel des GB Ultras, liess sich feiern und fotografieren. Ehe die Abschnittszeiten noch einmal genauer angeschaut wurden und der rasante Zwischenteil auffiel. Bald stellte sich heraus, dass die britische Rekordhalterin über 100 (160,9 km) und 200 Meilen (321,8 km) diesen nicht zu Fuss, sondern im Auto bewältigt hatte.
Sie habe sich «krank» gefühlt, sagte ein Freund der Schottin hinterher, sie sei erst in der Nacht davor aus Australien zurückgekehrt: die Beine müde, der Kopf leer. «Ich habe einen grossen Fehler gemacht», sagte Zakrzewski, die ihren guten Ruf für einen 3. Rang in einem Rennen ruinierte, in dem es weder Preisgeld gibt noch irgendwelche Qualifikationen für andere Läufe.
Die Studentin mit den 100 Euro
Was Kerstin Metzler-Mennenga hinkriegte, ist wohl einzigartig. Die Liechtensteinerin lief am Berlin Marathon 2007 in 2:42:21 Stunden Landesrekord und schaffte die Olympia-Norm – ohne auch nur einen Meter gerannt zu sein. Schon in Hamburg im gleichen Jahr hatte die gebürtige Churerin, die Mitglied des LC Uster war, liechtensteinische Bestzeit aufgestellt und sich für die WM qualifiziert. Dort startete sie und schaffte es auf Rang 53. Auch in Frankfurt 2006 war sie eine beachtliche Zeit gelaufen. Wobei sie bei allen drei Städtemarathons gar nicht antrat.
Die Studentin überredete männliche Athleten unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Studie und mit einem Anreiz von 100 Euro, neben dem eigenen einen weiteren Zeitsender zu tragen. In Berlin fiel ihrem Ghost-Runner blöderweise auf, dass eine Frau die genau gleiche Zeit wie er gelaufen war, woraufhin er sich beim Veranstalter meldete und Metzler-Mennenga entlarvt wurde. Dabei war sie eigentlich eine vorzügliche Läuferin – zumindest rückwärts. So hält sie mit 2:15:38 Stunden den Weltrekord im Rückwärtslaufen über die Halbmarathon-Distanz. Und auch über 5000, 10’000 Meter sowie über die Marathon-Distanz war sie verkehrt herum schon die Schnellste der Welt.
Der Präsidentschaftskandidat in dicker Jacke
17 Grad, Athleten und Athletinnen in kurzen Hosen und T-Shirts, schweissgebadet. Und plötzlich taucht er auf, kurz vor dem Ziel des Berlin Marathon 2007: ein Mann mit Windjacke, Mütze und langer Hose. Nun mag Roberto Madrazo zwar Mexikaner sein und die Temperaturen für ihn eher frisch. Doch während der 42,195 Kilometer könnte auch der 55-Jährige, der im Jahr davor bei den Präsidentschaftswahlen in seiner Heimat immerhin 22,26 Prozent der Stimmen erhalten hatte, etwas ins Schwitzen geraten sein. Vor allem angesichts seiner Superzeit von 2:41:11 Stunden, womit er seinen Bestwert um fast eine Stunde verbesserte und die Alterskategorie M55 gewann.
Vielleicht wäre das alles ja gar nicht aufgefallen, hätte er nicht diese ziemlich auffällige Kleidung getragen, was den Fotografen des entsprechenden Bildes dazu veranlasste, den Mann bei den Organisatoren zu melden. Diese stellten fest, dass Madrazo zwischen Kilometer 20 und 35 keinen Kontrollposten passiert hatte. Offenbar war er direkt von Messpunkt 20 zu 35 geschlendert, der nur wenige hundert Meter entfernt lag. So schaffte er die 15 Kilometer in nur 21 Minuten. Die Weltbestzeit für diese Distanz? 41:13 Minuten.
Der Überführte gab später an, er habe sich eine Verletzung zugezogen und nur in den Zielbereich gewollt. Weshalb er dann auf den letzten Metern enthusiastisch jubelte, konnte Madrazo dagegen nicht erklären – und wurde auf Lebenszeit gesperrt.
Der Mann mit dem Velo
Die Läuferszene von Mecklenburg-Vorpommern war im Januar 2021 in Aufregung. Die lokale Zeitung «Nordkurier» berichtete als Erste über einen möglichen Lauf-Betrüger. Bei diesem fehlten häufig Zwischenzeiten, die durch Zeitmatten oder Transponder am Schuh ausgelöst werden. Zudem gaben Konkurrenten und Zuschauerinnen an, der Verdächtige würde jeweils plötzlich verschwinden und später wieder auf der Strecke auftauchen.
In einem 13-seitigen Dossier sind die Schummeleien des Hobbyläufers bei 16 Wettkämpfen aufgelistet. Aus seinem Verein TC Fiko Rostock wurde er ausgeschlossen, weil er sich nicht reuig gab. Besonders aufgefallen ist der Mann, als er in der Schlussphase eines Ironman-Wettkampfs nur zweieinhalb Minuten pro Kilometer brauchte. Zum Vergleich: Weltmeister Jan Frodeno benötigte beim Halbmarathon im schnellsten 70.3-Ironman überhaupt im Durchschnitt 3:14 Minuten. Entlarvt hat den Norddeutschen auch Bildmaterial. So ist dieser bei Wettkämpfen zu sehen, wie er kurz vor dem Ziel aus dem Gebüsch gesprungen kommt. Manchmal sitzt er während der Läufe auch auf einem Velo.
Die Brüder im Toilettenhäuschen
Sie trafen sich in einem Toilettenhäuschen am Streckenrand. Dort übergab Sergio Motsoeneng seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Sefako Chip und Kleider, ehe dieser losspurtete. Später übernahm er Chip und Kleider wieder und lief die 87 Kilometer zu Ende. So wollte der Südafrikaner 1999 den traditionellen Comrades Run in seiner Heimat gewinnen. Trotz des gewieften Plans reichte es nur zu Rang 9.
Der Betrug fiel erst Monate später auf, als ein misstrauischer Gegner noch einmal die Fotos sichtete und bemerkte, dass Motsoeneng die Uhr einmal am rechten und einmal am linken Arm trug. Zudem hatte sie jeweils eine andere Farbe. Die Brüder gaben die Manipulation zu.
Dieses Überholmanöver bekommt keiner mit
Er wusste, dass er die beiden Führenden nicht mehr einholen konnte. Also begnügte sich Steven Cairns beim Kielder Marathon in Northumberland 2011 mit Rang 3. Doch als der Polizist aus Edinburgh einlief, hörte er: «Hier kommt der Viertplatzierte.» Verdutzt fragte er den Rennleiter, wer denn vor ihm ins Ziel gekommen sei. Dieser deutete auf einen Mann, der gerade ein Interview über seinen grossartigen Podestplatz gab. Er habe alles gegeben, sagte Rob Sloan da.
Cairns, der vermeintlich Vierte, fragte ihn, wo er ihn denn überholt habe. «Nach der 15-Meilen-Marke», bekam er als Antwort. Nur konnte sich niemand daran erinnern, auch wies Cairns da einen fünfminütigen Vorsprung auf Sloan auf. Überholt hatte Sloan ihn erst später, als er nach 20 Meilen in einen Bus stieg und damit gemütlich Richtung Ziel fuhr. Dummerweise erkannten ihn einige Mitfahrende, weshalb Sloan disqualifiziert und gesperrt wurde.
Stolpernd und untrainiert zum Erfolg
Vielleicht hat Rosie Ruiz ihre Geschichte irgendwann selbst geglaubt. Jedenfalls strickte sie diese in Interviews immer weiter, beschwerte sich darüber, wie ungerecht man sie behandle. Einmal sagte sie: «Ich finde, es wird nicht genug über laufende Frauen berichtet.»
Das hatte sie 1980 gleich selbst geändert. Wobei die gebürtige Kubanerin nicht unbedingt als Läuferin in die Geschichte des Marathons einging – obwohl sie den Boston Marathon in Rekordzeit gewonnen hatte und in 2:31:56 Stunden zur drittschnellsten Frau überhaupt wurde. Weil sie ziemlich untrainiert wirkte, ihr Körper schlaff, der Gang stolpernd, und weil sie sich im Ziel auch noch äusserst schnell von den Strapazen erholt hatte, kamen schnell Zweifel auf an der pfeilschnellen Frau.
Das Siegerinneninterview half nicht wirklich, diese zu zerstreuen. Ob sie viel Intervalltraining gemacht habe, wurde Ruiz gefragt. Ihre Antwort? «Ich bin mir nicht ganz sicher, was Intervalle sind. Was ist das?» Sie sei ganz einfach mit ziemlich viel Energie aufgewacht am Morgen, sagte sie. Diese reichte gerade noch, um regulär zu starten – und kurz vor dem Ziel zwischen dem Publikum zurück auf die Strecke zu springen, wie Augenzeugen berichteten. Es gab kein Foto oder Video von Ruiz auf der Strecke, keine Mitstreiterin konnte sich an sie erinnern.
Sechs Monate zuvor hatte sie sich in New York für den Boston Marathon qualifiziert – schon da mit einer bemerkenswerten Zeit. Nun war sie noch einmal 25 Minuten schneller. Nach den Betrugsvorwürfen meldete sich eine Frau, die sich erinnern konnte, während des Marathons in New York mit Ruiz U-Bahn gefahren zu sein und sie ins Ziel begleitet zu haben. Dort gingen die Helferinnen davon aus, dass sie den Lauf beendet hatte, und registrierten ihre Zeit. Bei Nachuntersuchungen konnte auch in New York kein Bild einer laufenden Rosie Ruiz gefunden werden. Sie wurde bei beiden Rennen disqualifiziert.
Überhaupt nahm es Ruiz nicht allzu genau mit dem Gesetz. So veruntreute sie in einem Unternehmen 60’000 Dollar, um sich Skiferien zu finanzieren. Oder sie versuchte sich als Kokain-Dealerin. Sie werde der Welt noch beweisen, wie schnell sie laufen könne, sagte die Frau immer, die nur deshalb in New York teilnehmen durfte, weil sie nach der offiziellen Einschreibefrist fälschlicherweise angab, an einem tödlichen Hirntumor zu leiden. Doch Ruiz lief nie (mehr) einen Marathon. 2019 starb sie an Krebs.
Die Jungspunde in der Ü-75-Kategorie
Es gibt ja Menschen, die sich ein Leben lang nur über Diplome definieren. Ein solcher dürfte Peter S. sein. Beim Berlin Marathon 2007, der einige Betrüger an den Start lockte, meldete er sich in der Kategorie der über 75-Jährigen an – und gewann diese in 3:30:14 Stunden und mit deutlichem Vorsprung. Nur war auf Fotos gut ersichtlich, dass Herr S. kaum dem angegebenen Alter entsprechen konnte.
Das tat erst recht nicht sein Sohn, der Mitte 20 war und abwechselnd mit seinem Vater rannte. Der Chip, der mit einem Klettband am Fussgelenk festgemacht war, wechselte immer wieder den Träger. So spurteten Jung-Vater und Noch-jünger-Sohn ihrem Sieg entgegen, der ihnen allerdings nicht die gewünschte Auszeichnung, sondern nur Hohn und Spott einbrachte.
Roosevelt will ihm schon die Medaille umhängen
Der Olympia-Marathon von 1904 in St. Louis hielt so manche bemerkenswerte Geschichte bereit. Den Sieger Thomas Hicks etwa, der sich ganz seinem Namen entsprechend unterwegs mehrere Schlucke Brandy gönnte, weil das leistungsfördernd wirken sollte. Oder die Begleitfahrzeuge und die Pferde, die auf der unbefestigten Strasse so viel Staub aufwirbelten, dass zahlreiche Läufer Hustenattacken erlitten.
Und da gab es Frederick Lorz, der noch vor Hicks ins Ziel kam und sich kurz als Olympiasieger feiern liess. US-Präsidenten-Tochter Alice Roosevelt wollte bereits den Siegerkranz auf Lorzes Kopf setzen und die Goldmedaille um dessen Hals legen, als es aus der Menge schallte: «Stopp! Er ist ein Betrüger!» Der 20-Jährige lächelte und gab zu, er habe sich nur einen Scherz erlauben wollen. Von Krämpfen geplagt, stieg er früh in ein Begleitfahrzeug. Allerdings musste er einen Teil der Strecke dann doch noch laufend bewältigen: Der Motor des Autos hatte versagt – wie seine Beine.
Die Ehrlichen, fast in der Unterzahl
Betrügereien im Laufsport sind nicht immer Geschichten einzelner unfairer Sportler. Es kann auch zu regelrechten Massenschummeleien kommen. 2017 wurden nach dem Mexiko City Marathon 6000 der 28’000 Laufenden disqualifiziert. Ihr Antrieb: die Qualifikation für den Boston Marathon zu schaffen. So fuhren viele Teilnehmende einige Kilometer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, ehe sie wieder ins Rennen einstiegen. Und obwohl der Veranstalter im Folgejahr auf Auszeichnungen der Besten verzichtete, blieben 2018 bei Überprüfungen der Zeiten sogar unglaubliche 13’000 hängen.
Einen skurrilen Fall gibt es auch aus China. 2010 engagierten 30 Läufer beim Xiamen Marathon Doubles. Diese schafften es allesamt unter die besten 100. Die Auftraggeber liessen ihre Doppelgänger wahlweise die gesamte Strecke alleine rennen oder sie stiegen spät wieder ein, nachdem sie sich kilometerweise hatten chauffieren lassen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 4. Mai 2023, wurde aufgrund der aktuellen Ereignisse überarbeitet und nochmals veröffentlicht.
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